Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert
Читать онлайн книгу.und ließ ihn eintreten.
In dem chinesisch ausgestatteten Vorzimmer standen Bambusmöbel in den Ecken und von der Decke hing eine gemalte Laterne herab. Als er den Salon durchschritt, stolperte Frédéric über ein Tigerfell. Die Kerzen waren noch nicht angesteckt, aber ganz hinten im Boudoir brannten zwei Lampen.
Die kleine Martha kam, um zu sagen, daß ihre Mutter sich ankleidete. Arnoux hob sie bis zu seinem Munde empor, um sie zu küssen; dann ließ er Frédéric, da er selbst im Keller gewisse Weinflaschen wählen wollte, mit dem Kinde allein.
Sie war seit der Reise nach Montereau sehr gewachsen. Ihr braunes Haar fiel in langen, geringelten Locken auf die nackten Arme herab. Ihr Kleid, bauschiger als das Röckchen einer Tänzerin, ließ ihre rosigen Waden sehen, und das ganze hübsche Persönchen duftete frisch wie ein Bukett. Sie nahm die Komplimente des jungen Mannes mit koketter Miene entgegen, blickte ihn prüfend an und verschwand, sich zwischen den Möbeln durchwindend wie eine Katze.
Er empfand keinerlei Verwirrung mehr. Die mit Papierspitzen verhängten Lampenglocken verbreiteten ein milchiges Licht und milderten den Ton der in malvenfarbener Seide gehaltenen Wände. Durch die Stäbe des Ofenschirms, der einem großen Fächer glich, sah man die Kohlenglut im Kamin; vor der Uhr stand ein Kästchen mit Silberschließen. Hier und dort lagen intime Gegenstände: eine Puppe mitten auf dem Kanapee, ein Tuch auf der Rücklehne eines Stuhls, und auf dem Nähtisch ein baumwollenes Strickzeug, von dem zwei Elfenbeinnadeln mit den Spitzen nach unten herabhingen. Es war alles in allem ein friedlicher, trauter, hübscher Raum.
Arnoux kam wieder herein, und unter der andern Portiere erschien Madame Arnoux. Da der Schatten auf sie fiel, unterschied er anfangs nur ihren Kopf. Sie trug ein Kleid von schwarzem Samt und im Haar ein langes, algerisches Netz aus Maschen von roter Seide, das, um ihren Kamm geschlungen, auf ihre linke Schulter herabfiel.
Arnoux stellte Frédéric vor.
»O! ich erkenne den Herrn wieder,« sagte sie.
Dann kamen alle Gäste fast zu gleicher Zeit. Dittmer, Lovarias, Burrieu, der Komponist Rosenwald, der Dichter Théophile Lorris, zwei Kunstkritiker, Kollegen Hussonnets, ein Papier-Fabrikant, und endlich der berühmte Pierre-Paul Meinsius, der letzte Repräsentant der monumentalen Malerei, der an seinem Ruhm dasselbe Vergnügen hatte wie an seinen achtzig Jahren und seinem dicken Bauch.
Als man ins Speisezimmer ging, nahm Madame Arnoux seinen Arm. Ein Stuhl war für Pellerin leergeblieben. Arnoux mochte ihn gern, obwohl er ihn ausbeutete. Überdies fürchtete er seine scharfe Zunge – so sehr, daß er, um ihn zu besänftigen, in der Kunsthandlung sein Porträt, von den übertriebensten Lobsprüchen begleitet, veröffentlicht hatte; und Pellerin, der empfänglicher für Ruhm war als für Geld, erschien ganz atemlos gegen neun Uhr. Frédéric glaubte sie längst wieder ausgesöhnt.
Die Gesellschaft, die Speisen, alles gefiel ihm. Der Saal, einem mittelalterlichen Raum ähnlich, war in gedämpftem Kupfer gehalten. Eine holländische Etagère stand vor einem Tschibukständer, und die verschiedenen böhmischen Gläser rund um den Tisch wirkten inmitten der Blumen und Früchte wie eine Garten-Illumination.
Er konnte unter zehn Senfsorten wählen. Er aß Daspachio, Curry, Ingwer, Amseln aus Corsika, römische Lerchen; er trank seltene Weine, Lip-fraoli und Tokayer. Arnoux setzte seinen Stolz darein, gut zu bewirten. Mit Rücksicht auf die Delikatessen stellte er sich gut mit allen Postbeamten und stand mit den Köchen großer Häuser in Verbindung, die ihm Saucen lieferten.
Aber besonders gefiel Frédéric die Unterhaltung. Seinem Geschmack an Reisen kam Dittmer entgegen, der vom Orient erzählte; seine Neugierde in Theaterangelegenheiten wurde durch Anhören von Rosenwalds Plaudereien über die Oper befriedigt, und die schreckliche Existenz der Bohème erschien ihm komisch durch Hussonnets Fröhlichkeit, der in pittoresker Weise erzählte, wie er sich einen ganzen Winter nur von Holländer Käse ernährt hatte. Durch eine Diskussion über die florentinische Schule zwischen Lovarias und Burrieu lernte er Meisterwerke kennen; es eröffneten sich ihm neue Horizonte, und er vermochte schwer seine Begeisterung zurückzuhalten, als Pellerin rief:
»Lassen Sie mich in Ruh mit Ihrer abscheulichen Realistik! Was will das sagen, Realistik? Die einen sehen schwarz, die andern blau, die Menge sieht einfältig. Es gibt nichts weniger Realistisches als Michel-Angelo, nichts Gewaltigeres! Die Sorge um die äußere Wahrheit kennzeichnet unsern heutigen Tiefstand, und alle Kunst wird, wenn man so fortfährt, was weiß ich zu welchem Kram, handele es sich um Religion oder Poesie, um Politik oder öffentliche Interessen. Man erreicht ihren Zweck, ja, ihren Zweck! – der darin besteht, uns eine unpersönliche Exaltation zu verschaffen, nicht mit kleinen Werken, trotz aller ihrer Feinheiten in der Ausführung. Da sind zum Beispiel die Bilder von Bassolier: sie sind hübsch, kokett, sauber und nicht plump! Die kann man in die Tasche stecken, auf die Reise mitnehmen! Liebhaber kaufen sie für zwanzigtausend Francs; es sind nicht für einen Groschen Ideen darin; allein ohne Idee nichts Großes, ohne Größe nichts Schönes! Der Olymp ist ein Berg! Das stolzeste Monument werden immer die Pyramiden sein! Üppigkeit ist mehr wert als Geschmack, die Wüste mehr als ein Trottoir und ein Wilder mehr als ein Haarkünstler.«
Frédéric betrachtete Madame Arnoux, während er diese Dinge anhörte. Sie fielen in seine Seele wie Erzstücke in einen Schmelzofen, verstärkten seine Leidenschaft und erweckten seine Liebe.
Er saß drei Plätze weit von ihr, auf derselben Seite. Zuweilen neigte sie sich ein wenig vor, indem sie den Kopf wandte, um einige Worte an ihr Töchterchen zu richten, und wenn sie dabei lächelte, bildete sich ein Grübchen in ihrer Wange, was ihrem Antlitz einen Ausdruck noch zarterer Güte verlieh.
Bei den Likören verschwand sie. Die Unterhaltung wurde sehr frei; Monsieur Arnoux glänzte darin, und Frédéric war erstaunt über den Cynismus dieser Männer. Indessen bildete ihre ausschließliche Beschäftigung mit den Frauen etwas wie einen Ausgleich zwischen ihnen und ihm, und das hob ihn in der eigenen Achtung.
Als er wieder in den Salon zurückgekehrt war, nahm er, um seine Fassung wiederzugewinnen, eins der Alben, die auf dem Tisch lagen. Die großen Künstler der Zeit hatten es mit Zeichnungen geschmückt, hatten Prosa, Verse oder einfach ihren Namenszug hineingeschrieben; unter den berühmten Namen fanden sich viele Unbekannte, und die seltensten Gedanken zeigten sich unter einer Flut von Albernheiten. Alle enthielten eine mehr oder weniger direkte Huldigung für Madame Arnoux. Frédéric hätte sich gescheut, eine Zeile dazuzuschreiben.
Sie ging in ihr Boudoir, um das Kästchen mit den Silberschließen zu holen, das er auf dem Kamin bemerkt hatte. Es war ein Geschenk ihres Mannes, eine Arbeit aus der Zeit der Renaissance. Die Freunde Arnoux’ machten ihm Komplimente, seine Frau dankte ihm; von Rührung ergriffen, gab er ihr vor allen einen Kuß.
Man plauderte in Gruppen, hier und dort; der gute Meinsius saß mit Madame Arnoux in der Nähe des Kamins auf einer Polsterbank; sie neigte sich zu seinem Ohr, wobei ihre Köpfe sich berührten; – und Frédéric hätte für einen berühmten Namen und weiße Haare gern hingenommen, taub, häßlich und hinfällig zu sein, nur, um in die Lage zu kommen, die ihn zu gleicher Intimität berechtigte. Er verwünschte seine Jugend und überließ sich seiner Qual.
Aber dann kam sie in die Ecke des Salons, wo er stand, und fragte ihn, ob er einige der Gäste kenne, ob er die Malerei liebe und wie lange er in Paris studiere. Jedes Wort aus ihrem Munde schien Frédéric etwas Neues, etwas, das ausschließlich zu ihrer Person gehöre. Er betrachtete aufmerksam die Fransen ihres Kopfputzes, die ihre nackten Schultern mit den Spitzen liebkosten, und er wandte seine Augen nicht mehr davon ab, versenkte den Blick in dieses blendende Fleisch, allein er wagte nicht, seine Lider zu heben, um ihr gerade ins Antlitz zu schauen.
Rosenwald unterbrach sie, indem er Madame Arnoux bat, etwas zu singen. Während er präludierte, wartete sie, ihre Lippen öffneten sich und ein weicher, langgezogener Ton stieg empor.
Frédéric verstand nichts von den italienischen Worten. Es begann mit einem ernsten Rhythmus, wie ein Kirchengesang, dann sich crescendo belebend, vermehrten sich die sonoren Töne und verhallten allmählich, und mit getragenem, vollem Klang wiederholte sich die liebliche Melodie.
Sie stand neben dem Klavier, die Arme herabhängend, mit