Die Erziehung der Gefühle. Gustave Flaubert

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Die Erziehung der Gefühle - Gustave Flaubert


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gab sich nicht mehr mit Metaphysik ab. Nationalökonomie und die französische Revolution nahmen ihn ganz in Anspruch. Er war jetzt ein langer hagerer Bursche von zweiundzwanzig Jahren mit großem Mund und entschlossener Miene. An diesem Abend trug er einen schlechten Lasting-Paletot, und seine Stiefel waren weiß von Staub, denn er hatte den Weg von Villenauxe zu Fuß gemacht, um Frédéric noch zu sehen.

      Isidore näherte sich ihnen, Madame lasse den jungen Herrn bitten, nach Haus zu kommen, und in der Furcht, er könne sich erkälten, schicke sie ihm seinen Mantel.

      »Bleibe doch!« sagte Deslauriers.

      Und sie gingen weiter, von einem Ende zum andern der beiden Brücken, die sich auf die schmale, von dem Kanal und dem Fluß gebildete Insel stützten.

      Wenn sie an der Seite von Nogent gingen, hatten sie eine Gruppe von Häusern vor sich; rechts sah man die Kirche hinter den Sägemühlen, deren Schleusen gesperrt waren; und links, längs des Flusses, umsäumten Sträucherhecken die Gärten, die kaum zu unterscheiden waren. Aber nach Paris zu führte die Landstraße abwärts in gerader Linie, und in der Ferne verloren sich die Wiesen im nächtlichen Dunst. Die Nacht war still und von weißlicher Klarheit. Der Geruch feuchten Laubes stieg zu ihnen empor, und nur das Plätschern der Brunnen hundert Schritt weiter war wie das dumpfe Geräusch von Wellen im Dunkeln.

      Deslauriers blieb stehen und sagte:

      »Wie die guten Leute ruhig schlafen, es ist seltsam! Aber Geduld! Ein neues 89 bereitet sich vor! Man ist der Konstitution, der Verfassungsurkunden, der Spitzfindigkeiten und Lügen müde! Ah! hätte ich ein Blatt oder eine Tribüne, wie wollte ich das alles durcheinanderrütteln! Allein um etwas zu unternehmen, was es auch sei, ist Geld nötig! Es ist ein Fluch, der Sohn eines Schankwirts zu sein und seine Jugend auf der Suche nach Brot zu vergeuden!«

      Er senkte den Kopf, biß sich auf die Lippen und zitterte vor Kälte in seinen dünnen Kleidern.

      Frédéric warf ihm die Hälfte seines Mantels um die Schultern. Sie wickelten sich beide hinein und wandelten, einander umfassend, Seite an Seite weiter.

      »Wie soll ich ohne dich dort leben?« sagte Frédéric, den die Bitterkeit seines Freundes ebenfalls traurig stimmte. »Mit einer Frau, die mich liebt, würde ich etwas erreichen können… Warum lachst du? Die Liebe ist die Nahrung und gleichsam die Atmosphäre des Genies. Außerordentliche Erschütterungen bringen erhabene Werke hervor. Ich verzichte übrigens auf die Mühe, eine nach meinem Geschmack zu suchen! Und wenn ich sie je fände, sie stieße mich zurück! Ich gehöre zu dem Stamme der Enterbten und werde als König oder Bettler enden, was weiß ich.«

      Ein Schatten reckte sich auf das Pflaster und gleichzeitig vernahmen sie die Worte:

      »Ihr Diener, meine Herren!«

      Der sie ansprach, war ein kleiner Mann mit einem weiten braunen Überrock und einer Mütze, unter deren Schirm eine spitze Nase hervorsah.

      »Monsieur Roque?« sagte Frédéric.

      »Der bin ich,« erwiderte die Stimme.

      Er rechtfertigte seine Anwesenheit mit der Bemerkung, daß er von einer Besichtigung seiner Wolfseisen in seinem Garten am Ufer komme.

      »Und Sie sind wieder zu uns zurückgekehrt? Sehr schön! ich habe es von meinem Töchterchen gehört. Mit Ihrer Gesundheit geht es gut, hoffe ich? Sie reisen doch noch nicht ab?«

      Und er ging, augenscheinlich durch Frédérics Empfang zurückgeschreckt.

      Madame Moreau verkehrte allerdings nicht mit ihm; Vater Roque lebte mit seiner Haushälterin im Konkubinat und war wenig geachtet, obwohl er Wahlmann und Verwalter von Monsieur Dambreuse war.

      »Des Bankiers in der Rue d’Anjou?« begann Deslauriers wieder, »weißt du, was du tun müßtest, mein Guter?«

      Isidore unterbrach sie nochmals. Er hatte den Auftrag, Frédéric endlich mitzubringen. Madame beunruhigte sich wegen seines Ausbleibens.

      »Gut! gut! er kommt gleich,« sagte Deslauriers, »er wird nicht draußen schlafen.«

      Und nachdem der Diener gegangen war:

      »Du solltest den Alten bitten, dich bei Dambreuse einzuführen. Nichts ist nützlicher, als in einem reichen Hause zu verkehren. Da du einen schwarzen Anzug und weiße Handschuhe hast, nutze sie aus! Du mußt zu diesen Leuten gehen! Später führst du mich dann ein! Ein Millionär, bedenke! Sieh zu, ihm zu gefallen und seiner Frau ebenfalls. Werde ihr Geliebter!«

      Frédéric wehrte lebhaft ab.

      »Aber es gibt klassische Beispiele dafür, sage ich dir. Denke an Rastignac in der Comédie humaine! Du wirst sicher Erfolg haben!«

      Frédéric hatte so großes Vertrauen zu Deslauriers, daß er schwankend wurde, und indem er Madame Arnoux vergaß oder sie in die auf die andere gemünzte Prophezeiung miteinschloß, konnte er sich eines Lächelns nicht erwehren.

      Der Schreiber fügte hinzu:

      »Der letzte Rat: Mache deine Examina! Ein Titel ist immer gut; und geh mir mit deinen katholischen und satanischen Poeten, die in der Philosophie ebenso vorgeschritten sind, wie man im XII. Jahrhundert war. Deine Verzweiflung ist albern. Männer von Bedeutung haben einen schwierigeren Anfang gehabt, um mit Mirabeau zu beginnen. Überdies, unsere Trennung wird nicht so lange dauern. Ich werde meinem Gauner von Vater an die Kehle müssen. Es ist Zeit, daß ich zurückkehre, adieu! Hast du fünf Francs, mein Mittagessen zu bezahlen?«

      Frédéric gab ihm zehn Francs, den Rest der am Morgen von Isidore entnommenen Summe.

      Zwanzig Schritt hinter den Brücken, am linken Ufer, glänzte in dem Dachstübchen eines niedrigen Hauses Licht.

      Deslauriers bemerkte es. Da rief er emphatisch, indem er seinen Hut zog:

      »Venus, Himmelskönigin, sei gegrüßt! Aber die Rot ist die Mutter der Weisheit! Hat man uns deswegen nicht genug verlästert, daß Gott erbarm!«

      Diese Anspielung auf ein gemeinsames Abenteuer stimmte sie froh! Sie lachten laut auf der Straße.

      Dann, nachdem er seine Rechnung im Gasthaus berichtigt hatte, begleitete Deslauriers Frédéric bis zur nächsten Ecke; – und nach einer langen Umarmung trennten sich die Freunde.

      3.

      Zwei Monate später beschloß Frédéric, der eines Morgens in der Rue Coq-Héron gelandet war, sogleich seinen großen Besuch zu machen.

      Der Zufall war ihm günstig gewesen. Vater Roque hatte ihm eine Rolle Papiere gebracht und ihn gebeten, sie selbst bei Monsieur Dambreuse abzugeben; und er fügte der Sendung ein versiegeltes Schreiben bei, in dem er seinen jungen Landsmann empfahl.

      Madame Moreau schien dieser Schritt zu überraschen. Frédéric verbarg seine Freude darüber.

      Monsieur Dambreuse hieß eigentlich Graf d’Ambreuse; allein, seit 1825, nachdem er mit der Zeit seinen Adel und seine Partei aufgegeben, hatte er sich der Industrie zugewandt; und unterrichtet über alle Ereignisse, beteiligt an allen Unternehmungen, bei allen guten Gelegenheiten auf der Lauer, verschlagen wie ein Grieche und arbeitsam wie ein Auvergnat, hatte er ein Vermögen angesammelt, das beträchtlich sein sollte; außerdem war er Offizier der Ehrenlegion, Mitglied des Generalrats der Aube, Deputierter, nächstens Pair von Frankreich; selbst gern gefällig, ermüdete er den Minister durch seine beständigen Bitten um Beistand, um Orden, um Tabakbüros, und in seiner Abneigung gegen die Regierung zur Linken schloß er sich dem Zentrum an. Seine Frau, die hübsche Madame Dambreuse, die von den Modejournalen genannt wurde, präsidierte bei Wohltätigkeitsvereinen. Indem sie den Herzoginnen schmeichelte, beschwichtigte sie den Groll des vornehmen Faubourg und erweckte den Glauben, daß Monsieur Dambreuse sein Eindringen vielleicht noch bereuen werde und ihm noch einmal Dienste erweisen könnte.

      Der junge Mann war erregt, als er zu ihnen ging.

      »Ich hätte besser getan, meinen Frack anzuziehen. Sie laden mich gewiß für die nächste Woche zum Ball ein? Was werden


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