Ein feines Haus. Emile Zola

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Ein feines Haus - Emile Zola


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abgeblättert, so daß man den Putz sehen konnte.

      »Ja, das macht Eindruck«, sagte der Architekt langsam, die Augen auf die Decke geheftet. »Sie verstehen, diese Häuser hier, die sind gebaut, um Eindruck zu machen ... Allerdings sollte man die Wände nicht allzusehr abklopfen. Noch keine zwölf Jahre ist das alles alt, und schon gehtʼs ab ... Die Fassade wird aus schönem Stein mit bildhauerischen Mätzchen hingesetzt, die Treppe wird dreifach lackiert, die Wohnungen werden vergoldet und bepinselt; und das schmeichelt den Leuten, das flößt Ansehen ein ... Oh, das ist noch solide genug, solange wie wir leben, hält das immer noch!«

      Er ließ ihn erneut die Diele durchqueren, die ihr Licht durch ein Mattglasfenster erhielt. Links, zum Hof zu, lag ein zweites Zimmer, in dem seine Tochter Angèle schlief; und da es ganz in Weiß gehalten war, herrschte darin an diesem Novembernachmittag Grabestraurigkeit. Hinten am Gang lag sodann die Küche, in die der Architekt ihn durchaus führen wollte, denn er sagte, man müsse alles kennenlernen.

      »Treten Sie doch ein«, sagte er mehrmals und stieß die Tür auf.

      Aus der Küche drang fürchterlicher Lärm. Trotz der Kälte stand das Fenster weit offen. Die Ellbogen auf die Schutzstange vor dem Fenster gestützt, beugten sich die schwarzbraune Zofe und eine fette Köchin, eine geradezu überquellende Alte, auf den engen Schacht eines Innenhofes hinaus, der die in jedem Stockwerk einander gegenüberliegenden Küchen mit Licht versorgte. Sie schrien beide zugleich herum, reckten ihre prallen Hüften, während aus der Tiefe dieses Schlauches mit Gelächter und Flüchen vermischte pöbelhafte Stimmen heraufschollen. Das war gleichsam das Abflußrohr eines Gullys: die ganze Dienerschaft des Hauses war hier versammelt und ergötzte sich. Octave entsann sich der bürgerlichen Majestät des Hauptaufgangs.

      Aber von einem Instinkt gewarnt, hatten sich die beiden Frauen umgewandt. Sie standen betroffen da, als sie den Hausherrn mit einem anderen Herrn erblickten. Ein kurzes, leises Pfeifen war zu hören, Fenster schlossen sich, alles sank in Totenstille zurück.

      »Was ist denn, Lisa?« fragte Campardon.

      »Herr Campardon«, erwiderte die Zofe ganz aufgeregt, »es war wieder mal Adèle, diese Schmutzliese. Sie hat die Eingeweide eines Kaninchens zum Fenster hinausgeworfen ... Der Herr sollten mal mit Herrn Josserand reden.«

      Campardon blieb ernst, denn er war bestrebt, sich auf nichts einzulassen. Er kehrte in sein Arbeitszimmer zurück, während er zu Octave sagte:

      »Sie haben alles gesehen. Die Wohnungen sind in jedem Stockwerk gleich. Meine eigene kostet zweitausendfünfhundert Francs Jahresmiete, und das im dritten Stock! Die Mieten steigen von Tag zu Tag ... Herr Vabre muß aus seinem Haus an die zweiundzwanzigtausend Francs jährlich herausholen. Und das wird sich noch erhöhen, denn es wird davon gesprochen, daß vom Place de la Bourse bis zur neuen Oper eine breite Straße angelegt werden soll ... Ein Haus, zu dem er den Grund und Boden vor kaum zwölf Jahren umsonst gekriegt hat, als damals das Dienstmädchen eines Drogisten jenes Großfeuer verursacht hatte!«

      Als sie eintraten, erblickte Octave über einem Zeichentisch im hellen Licht des Fensters ein Heiligenbild mit einem prächtigen Rahmen, eine Muttergottes, vor deren offener Brust ein riesiges Herz in Flammen stand. Er vermochte eine gewisse Überraschung nicht zu unterdrücken; er blickte Campardon an, den er in Plassans als großen Spötter kennengelernt hatte.

      »Ach, das habe ich Ihnen ja gar nicht gesagt«, versetzte dieser und wurde ein klein wenig rot, »ich bin zum Diözesanarchitekten ernannt worden, ja, in Evreux. Oh, an Bezahlung bekomme ich eine Lappalie, im ganzen kaum zweitausend Francs im Jahr. Aber zu machen ist gar nichts, von Zeit zu Zeit eine Reise dahin; im übrigen habe ich einen Inspektor dort ... Und sehen Sie, es macht viel aus, wenn man ›Regierungsbaumeister‹ auf seine Visitenkarten drucken lassen kann. Sie können sich nicht vorstellen, wieviel Aufträge mir das in der feinen Gesellschaft verschafft.« Beim Reden betrachtete er die Muttergottes mit dem lodernden Herzen. »Alles in allem«, fuhr er in einer jähen Anwandlung von Offenheit fort, »sind mir ihre Mätzchen schnuppe!«

      Da Octave aber angefangen hatte zu lachen, bekam es der Architekt mit der Angst zu tun. Warum sollte er sich diesem jungen Mann anvertrauen? Er warf ihm einen scheelen Blick zu, setzte eine zerknirschte Miene auf, bemühte sich, seinen Satz zurückzunehmen.

      »Sie sind mir schnuppe und sind mir auch wieder nicht schnuppe ... Mein Gott, ja, ich bringe es eben zu etwas. Sie werden sehen, Sie werden sehen, mein Freund, wenn Sie ein wenig älter geworden sind, werden Sie es wie alle Welt machen.« Und er sprach von seinen zweiundvierzig Jahren, von der Leere des Daseins, gab sich melancholisch, was in schroffem Gegensatz zu seiner blühenden Gesundheit stand. An dem Künstlerkopf, den er sich mit dem lang wallenden Haar und dem nach Heinrich IV. benannten Bart5 zurechtgemacht hatte, entdeckte man den flachen Schädel und die eckige Kinnlade eines Spießbürgers mit beschränktem Verstand und gierigen Gelüsten. In jüngeren Jahren war er von einer Fröhlichkeit gewesen, die einem auf die Nerven ging.

      Octaves Augen waren an einer Nummer der »Gazette de France6« haftengeblieben, die zwischen Plänen herumlag. Da läutete der immer verlegener werdende Campardon nach der Zofe, um sich zu erkundigen, ob die gnädige Frau nun endlich zu sprechen sei. Ja, der Doktor breche gerade auf, die gnädige Frau werde gleich kommen.

      »Ist Ihre Gattin denn leidend?« fragte der junge Mann.

      »Nein, es geht ihr wie immer«, sagte der Architekt mit verdrossener Stimme.

      »Aha, und was fehlt ihr denn?«

      Der Architekt, der wieder verlegen wurde, antwortete ausweichend: »Sie wissen ja, bei den Frauen geht immer was entzwei ... So geht es ihr seit dreizehn Jahren, seit ihrer Niederkunft ... Sonst ist sie kerngesund. Sie werden sogar finden, daß sie üppig geworden ist.«

      Octave drang nicht weiter in ihn. Eben erschien Lisa wieder und brachte eine Visitenkarte; und der Architekt entschuldigte sich, stürzte zum Salon und bat den jungen Mann, er möge sich gedulden und inzwischen mit seiner Frau plaudern. Octave hatte durch die rasch geöffnete und wieder geschlossene Tür in der Mitte des großen in Weiß und Gold gehaltenen Raumes den schwarzen Fleck einer Soutane erblickt.

      Im selben Augenblick kam Frau Campardon von der Diele her herein. Er erkannte sie nicht wieder. Früher, als er noch ein junger Bengel gewesen und sie in Plassans bei ihrem Vater, Herrn Domergue, dem Inspektor beim Brücken- und Straßenbauamt, gesehen hatte, war sie mager und häßlich gewesen und mit zwanzig Jahren so schmächtig wie ein Backfisch, dem die Pubertätskrise zu schaffen macht; und nun, da er sie wiedersah, war sie mollig, hatte die helle und ausgeruhte Gesichtsfarbe einer Nonne, zärtliche Augen, Grübchen und sah aus wie eine Naschkatze. Hatte sie auch nicht hübsch werden können, so war sie doch um die Dreißig herum gereift und hatte dabei den süßen Geschmack und den frischen Duft von Herbstobst angenommen. Es fiel Octave nur auf, daß ihr das Gehen Mühe machte und sie dabei in der Hüfte hin und her schwankte, was ihr bei dem langen, resedafarbenen seidenen Morgenrock, den sie trug, etwas Schmachtendes verlieh.

      »Aber Sie sind ja jetzt ein Mann!« sagte sie fröhlich mit ausgestreckten Händen. »Wie Sie seit unserer letzten Reise gewachsen sind!« Und sie betrachtete ihn: er war groß, brünett, ein hübscher Bursche mit gepflegtem Schnurrbart und Kinnbart. Als er sein Alter nannte, zweiundzwanzig Jahre, brach sie in Verwunderung aus: er sehe mindestens wie fünfundzwanzig aus.

      Er, den die Gegenwart einer Frau, selbst die des verworfensten Dienstmädchens, mit Entzücken erfüllte, lachte perlend und liebkoste sie mit dem Blick seiner samtweichen altgoldfarbenen Augen.

      »Ach ja«, sagte er lässig mehrere Male, »ich bin gewachsen, ich bin gewachsen ... Erinnern Sie sich noch, wie Ihre Cousine Gasparine mir Murmeln gekauft hat?« Darauf erzählte er ihr, wie es ihren Eltern ging. Herr und Frau Domergue lebten glücklich in dem Haus, in dem sie sich zur Ruhe gesetzt hatten; sie klagten nur, daß sie recht einsam wären, sie verargten es Campardon, daß er ihnen während eines geschäftlichen Aufenthaltes in Plassans ihre kleine Rose entführt hatte. Dann suchte der junge Mann das Gespräch wieder auf die Cousine Gasparine zu bringen, denn er hatte eine alte Neugier zu befriedigen, die er als frühreifer Schlingel anläßlich eines unaufgeklärt gebliebenen Ereignisses empfunden hatte: der jähe Anfall von


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