Ein Drama in Livland. Jules Verne

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Ein Drama in Livland - Jules Verne


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berührte die jetzt in Riga herrschende Stimmung, die sich übrigens von der in den anderen großen Städten der baltischen Provinzen nicht unterschied. Allgemein erregte der Kampf zwischen dem germanischen und dem slawischen Teil der Bevölkerung die Gemüter aufs tiefste, und es ließ sich voraussehen, daß der Kampf heiß werden würde, vor allem in Riga, wo die beiden Rassen besonders hart aneinander stießen.

      In Gedanken versanken, beteiligte sich Dimitri nur wenig an dem Gespräch, obgleich dasselbe gerade seine Person öfter berührte. Seine Gedanken weilten »anderswo«, wie man zu sagen pflegt… Wo? Das hätte nur er selbst sagen können. Wenn er sich aber einer Antwort nicht entziehen konnte, so gab er diese in unbestimmter, ausweichender Weise, die den Arzt gar nicht befriedigte.

      »Ich bitte dich, Dimitri, sagte dieser wiederholt, du machst den Eindruck, als säßest du tief drinnen in Kurland, während wir doch in Riga sind!… Solltest du etwa gar die Absicht haben, dich von dem Kampfe fern zu halten? Die Meinung der Menge ist doch auf deiner Seite, die höchste Behörde tritt für dich ein. Willst du den Johausens wirklich noch einmal zum Siege verhelfen?«

      Wieder dieser Name, der auf den unglücklichen Schuldner des reichen Bankhauses wie ein Faustschlag wirkte.

      »Sie sind mächtiger, als du es glaubst, Hamine, antwortete Dimitri.

      – Doch weniger, als sie sich selbst den Anschein geben, das wird sich bald zeigen!« erwiderte der Doktor.

      An der Uhr schlug es halb neun. Es war Zeit, sich zurückzuziehen. Der Arzt und Herr Delaporte erhoben sich, um ihren Wirten Gute Nacht zu sagen. Draußen tobte ein abscheuliches Wetter: der Regen peitschte gegen die Fenster, der Wind pfiff kreischend um die Straßenecken, fing sich in den Schornsteinen und trieb zuweilen den Rauch der Ofen nach unten zurück.

      »Das ist ja abscheulich da draußen! sagte der Konsul.

      – Ja, wahrlich kein Wetter, einen Arzt auf die Straße hinauszujagen! erklärte der Doktor. Doch kommen Sie nur mit, Delaporte; ich biete Ihnen einen Platz in meinem Wagen an… einen Wagen mit zwei Beinen, doch ohne Räder.«

      Der Doktor umarmte Ilka, wie er das von jeher zu tun pflegte. Delaporte und er drückten dann noch Dimitri die Hand, der sie bis zur Haustür begleitete. Dann verschwanden beide in der Dunkelheit und dem rasenden Sturme.

      Ilka gab ihrem Vater noch den Gute Nachtkuß, und Dimitri preßte sie, heute vielleicht noch etwas zärtlicher als sonst, in die Arme.

      »Was ich noch sagen wollte, begann da das junge Mädchen, ich sehe ja deine Zeitung nicht. Hat sie der Briefträger nicht gebracht?

      – O doch, mein Kind. Ich begegnete ihm heut Abend bei meiner Rückkehr, als er gerade vor unserem Hause ankam, und da hat er mir das Blatt übergeben.

      – Ein Brief war nicht dabei? fragte Ilka.

      – Nein, liebes Kind, er hatte keinen.«

      So war es auch seit vier langen Jahren alle Tage: Es traf niemals ein Brief ein, wenigstens kein Brief aus Sibirien, keiner, auf dem Ilka die Schriftzüge Wladimir Yanofs hätte mit ihren Tränen benetzen können.

      »Gute Nacht, Vater, sagte sie.

      – Gute Nacht, mein Kind!«

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