Der Weg ins Freie. Arthur Schnitzler

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Der Weg ins Freie - Arthur Schnitzler


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hatte in früherer Zeit Entdeckungsreisen unternommen, wobei er, wie Hofrat Wilt behauptete, nicht so sehr auf die Unerforschtheit der betreffenden Landstriche als auf gute Fahrgelegenheiten und einwandfreie Küche Wert gelegt haben sollte. Seit einigen Jahren aber begab er sich nur mehr auf Reisen, um Vorträge zu halten und Frauen zu erobern. Wenn er wieder daheim war, lebte er mit seiner Gattin in bester Kameradschaft. Schon manchmal, aber immer flüchtig, hatte Georg die Möglichkeit eines Verhältnisses mit Frau Oberberger erwogen. Er war sogar einer von jenen, die ihren Hals geküßt hatten, woran sie sich wahrscheinlich selbst nicht mehr erinnerte. Und als sie jetzt den Schleier zurückschlug, ließ Georg wieder einmal den Reiz dieses nicht mehr ganz jugendlichen, aber anmutig-bewegten Gesichts mit Vergnügen auf sich wirken. Er wollte ihr ins Wort fallen, sie aber sprach weiter: »Wissen Sie, daß Sie sehr blaß sind? Sie müssen ein nettes Leben führen. Was ist das übrigens für ein Weib, durch das Sie mir diesmal entrissen werden?«

      Hofrat Wilt, unhörbar wie meistens, stand plötzlich neben ihnen. Beiläufig, überlegen und galant warf er hin: »Küß die Hand schöne Frau, grüß Sie Gott Baron ...« und wollte weiter.

      Frau Oberberger aber fand es angemessen, ihm vorerst noch mitzuteilen, daß Baron Georg sich soeben zu einer Orgie begebe, wie das so seine Art sei, dann folgte sie dem Hofrat in den zweiten Stock, auf die Gefahr hin, wie sie bemerkte, daß man ihn, wenn er zugleich mit ihr bei Ehrenbergs erschiene, für ihren fünfundneunzigsten Liebhaber halten würde.

      Es war sieben Uhr, als Georg sich endlich in einen Wagen setzen konnte, um nach Mariahilf zu fahren. Er fühlte sich von den zwei Stunden bei Ehrenbergs geradezu abgespannt, und mehr noch als sonst freute er sich auf das Zusammensein mit Anna, das ihm bevorstand. Seit jenem Vormittag in der Miniaturenausstellung hatten sie einander beinahe täglich gesehen; in Gärten, in Bildergalerien, bei ihr zu Hause. Meist unterhielten sie sich über die kleinen Begebenheiten ihres Daseins, oder plauderten von Büchern und Musik. Von vergangenen Zeiten sprachen sie nicht oft; und wenn es geschah, ohne Mißtrauen und Zweifel. Denn noch waren die Abenteuer, aus denen Georg kam, für Anna nicht vom beängstigenden Dufte des Geheimnisvollen umwoben; und daß sie selbst schon manche schwärmerische Neigung empfunden hatte, vernahm Georg aus ihren scherzenden Andeutungen heiter, unbesorgt, ja ohne weiter zu fragen. In einem menschenleeren Saal der Liechtensteingalerie hatte er sie vor acht Tagen zum erstenmal geküßt, und von diesem Augenblick an nannte Anna ihn du, als wäre eine fremdere Anrede ihr von nun an wie etwas Lügenhaftes erschienen.

      Der Wagen hielt an einer Straßenecke. Georg stieg aus, zündete sich eine Zigarette an und ging auf und ab, dem Hause gegenüber, aus dem Anna kommen mußte.

      Nach wenigen Minuten schon trat sie aus dem Tor. Er eilte über die Straße ihr entgegen, und beglückt küßte er ihr die Hand. Wie gewöhnlich, weil sie auf ihren Fahrten meist zu lesen pflegte, hatte sie ein Buch mit sich, in einem Einband von gepreßtem Leder.

      »Es ist ja kühl, Anna«, sagte Georg, nahm ihr das Buch aus der Hand und half ihr in die Jacke, die sie über dem Arm getragen hatte.

      »Ich habe mich nämlich ein bißchen verspätet«, sagte sie »und war sehr ungeduldig, dich zu sehen. Ja«, setzte sie lächelnd hinzu, »man hat auch seine Temperamentsausbrüche. Was sagst du denn zu meinem neuen Kostüm«, fragte sie, indem sie weiterspazierten.

      »Steht dir sehr gut.«

      »In meiner Lektion hat man gefunden, ich sähe aus wie eine Hofdame.«

      »Wer hat das gefunden?«

      »Frau Bittner selbst, und ihre beiden Töchter, die ich unterrichte.«

      »Ich würde lieber sagen: wie eine Erzherzogin.«

      Anna nickte befriedigt.

      »Also jetzt erzähl mir Anna, was du seit gestern alles erlebt hast.«

      Ernsthaft begann sie. »Um zwölf, nachdem ich mich am Haustor von dir getrennt, Mittagessen im Familienkreis. Nachmittag ein wenig geruht und an dich gedacht. Von vier bis halb sieben Schülerinnen bei mir, dann gelesen, »grüner Heinrich« und Abendblatt. Zu faul, um noch auf die Straße zu gehen, im Hause herumgetrenderlt. Nachtmahl. Die übliche häusliche Szene.«

      »Bruder?« fragte Georg.

      Sie antwortete mit einem »ja«, das weitere Fragen abschnitt. »Nach dem Nachtmahl ein bißchen musiziert ... sogar zu singen versucht.«

      »Warst du zufrieden?«

      »Für mich reicht es ja immer aus«, sagte sie, und Georg glaubte eine leichte Traurigkeit im Klang ihrer Worte zu vernehmen.

      Rasch berichtete sie weiter: »Um halb elf im Bett gelegen, gut geschlafen, um acht Uhr früh auf ... man kann ja bei uns nicht länger liegen ... Toilette gemacht bis halb zehn, bis elf im Haus herum ...«

      »... getrenderlt«, ergänzte Georg.

      »Richtig. Dann zu Weils, den Buben unterrichtet.«

      »Wie alt ist der eigentlich?« fragte Georg.

      »Dreizehn«, erwiderte Anna mit einem komisch-bedenklichen Gesicht.

      »Na das ist wirklich nicht so jung.«

      »Gewiß nicht«, sagte Anna. »Aber erfahre zu deiner Beruhigung, daß er seine Tante Adele liebt, eine zarte Blondine von dreiunddreißig Jahren und vorläufig nicht daran denkt, ihr die Treue zu brechen ... Also Fortsetzung der Chronik. Um halb zwei zu Hause angelangt, allein gegessen Gott sei Dank, Papa schon im Bureau, Mama in schlafendem Zustand. Von drei bis vier wieder geruht, noch mehr und noch bedeutender an dich gedacht, als gestern, dann Besorgungen in der Stadt, Handschuhe, Sicherheitsnadeln und etwas für Mama, und endlich mit der Tramway lesend nach Mariahilf herausgefahren zu den zwei Bittner Fratzen ... So nun weißt du alles. Zufriedenstellend?«

      »Abgesehen von dem dreizehnjährigen Jüngling.«

      »Also ich gebe ja zu, daß das beunruhigend sein mag, aber jetzt wollen wir einmal hören, ob du mir nicht düsterere Geständnisse zu machen hast.«

      Sie waren in einer schmalen, stillen Gasse, die Georg ganz fremd vorkam, und Anna nahm seinen Arm.

      »Ich komme eben von Ehrenbergs«, begann er.

      »Nun«, fragte Anna, »hat man dich sehr zu umstricken gesucht?«

      »Das kann ich eben nicht sagen. Man schien sogar ein wenig froissiert, daß ich diesen Sommer gar nicht im Auhof war«, setzte er hinzu.

      »Hat Klein-Elschen sich produziert?« fragte Anna weiter.

      »Nein. Was sich nach meinem Fortgehen ereignet haben mag, das weiß ich natürlich nicht.«

      »Jetzt wirds ja wohl nicht mehr der Mühe wert sein«, sagte Anna mit überquellendem Spott.

      »Du irrst dich, Anna. Es sind Leute oben, für die zu singen es sich sehr verlohnte.«

      »Wer denn?«

      »Heinrich Bermann, Willy Eißler, Demeter Stanzides ...«

      »O, Stanzides!« rief Anna aus. »Jetzt tut es mir eigentlich leid, daß ich nicht auch oben war.«

      »Mir scheint«, sagte Georg, »das ist nicht so spaßhaft gemeint als gesagt.«

      »Gewiß nicht«, erwiderte Anna. »Ich finde diesen Demeter zum Totschießen schön.«

      Georg schwieg ein paar Sekunden und plötzlich, erregter als es sonst seine Art war, fragte er: »Ist es am Ende er? ...«

      »Was für ein Er?«

      »Der, den du ... mehr geliebt hast als mich!«

      Sie lächelte, drängte sich fester an ihn und erwiderte einfach, aber doch ein bißchen spöttisch: »Sollt ich wirklich jemanden lieber gehabt haben als dich?«

      »Du hast es mir ja selber gestanden«, erwiderte Georg.

      »Ich hab dir aber auch ›gestanden‹, daß ich mit der Zeit dich mehr lieben werde, als ich je einen andern geliebt habe, oder lieben könnte.«

      »Weißt


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