Lieber Liebe. Beate Morgenstern

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Lieber Liebe - Beate Morgenstern


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sie auf ein Schild, in Messing geprägt sein Vor- und Nachname und zuvor der einer Frau. Fuhr ihr dieser Frauenname vor seinem Vor- und Nachnamen ins Herz wie etwas sehr Böses, Scharfes. Kündete messingene Platte von unverbrüchlicher Zusammengehörigkeit, womöglich über den Tod hinaus. Wegen großer Täuschung hätte sie laut wehklagend umkehren können, aber nichts da, musste ihren Leidensweg weitergehen. Ihr Kopf übervoll vom merkwürdigen Frauennamen Thea, drückte sie gegen Klingelknopf. Hörte bald Schritte, aber es blieb dunkel hinter den gläsernen Scheiben. Thea-Thea. Wurde in eine Dämmerung eingelassen. Harald in hellen Jeans und khakifarbenem Hemd gerade noch zu erkennen. Am Ende ihrer Kraft, lehnte sie sich an ihn. Hatte bis zu dem Augenblick an Wiedersehen nicht glauben können. Betäubender westlicher Aftershave-Duft umhüllte ihn. War fast zu viel für sie: ein Mann, der so aussah wie er und auch noch auf sich hielt. Sie doch bloß ein großgewachsenes, dunkelhaariges älteres Mädchen, grad noch nicht mager und eher spitznasig, mit Mausaugen, wie Jo sagte, weil sie etwas eng standen. Na ja, na ja, sagte Harald endlich und löste sich aus ihrer Umarmung. Wenn du nicht angerufen hättest! Sie sagte den Satz so, als hätte sie dann wahrscheinlich sterben müssen. Ich habe aber angerufen. Ich hab doch gesagt, ich rufe an, erwiderte Herr Harald. - Was man sagt, ist eines, was man tut, ist das andere. Sie beharrte auf dem Recht, ein paar Tage unglücklich gewesen zu sein. So ungläubig? - Ja. Immer. In allem. Wäre ich ein Mann, müsste ich Thomas heißen. - Thomasia?, schlug er vor. - Klingt nicht, sagte sie. Mochte ihn nicht loslassen, was ihn offenbar belustigte. Sie betraten sein Zimmer. Groß war es, wie sie sich gedacht hatte, noch größer als ihre Räume zu Hause. Die Stuckdecke geweißt, das Innere des Stuckovals blau getüncht wie ein Himmel. Regale bis an die Decke hinauf, antike Möbelstücke. Teppiche auf dem Parkettfußboden. Wo die Wände frei waren, kleine Bilder, Originale. Eine breite, niedrige Liege, ein Teppich darüber. Etwa der Luxus, den sie sich und Jo gestattete. (Sie hatte Jos Wohnung nach und nach neu hergerichtet.) Ihre Sorge unberechtigt, Haralds Zuhause sei zu behäbig oder sonst von minderem Geschmack. Mochte Frau Thea ihre Hand im Spiel gehabt haben. Der Raum durch eine Glastür mit einem zweiten verbunden, dem von Frau Thea wohl. Sie leben so dicht beieinander, dachte sie beklommen. Lassen vielleicht sogar die Tür offenstehen. Thea-Thea, wiederholte sie, um sich zu gewöhnen. Tee davor oder danach?, fragte er. Es gibt auch Kuchen. Ich weiß doch, du magst Kuchen. Ihre Hände mussten sich ständig von seiner Anwesenheit überzeugen. Tee danach, konstatierte er. Sie nickte. Er war bereit, war sie es auch. Gab kein Vorspiel, als erstes ihre Hand bei ihm, wurde schon Gewohnheit. Von seinem fortdauernden leisen Reden vergaß sie alles im selben Augenblick, war in einem Zustand, der ihr nicht erlaubte, sich Worte zu merken. Erzählte er auch mehr für sich hin. Doch nach erstem Akt und Vorhang herunter durfte gemeinschaftlich geplaudert werden. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Fiel ihr wieder Aufgabe zu, mit lieben Händen über ihn hinwegzufahren, während sie redeten. Er voller Staunen über sie, sie über ihn. Behauptete er wieder, sie sei siebzehn, siebenundsiebzig und siebenhundert. Und du hast die Kraft von zehn Frauen. - Und du von zwölf Männern. - Sechs! Ich kenne mich selbst nicht! - So etwas gibt es doch nicht. Nur bei Frauen. - Du bist so eine. - Bei Frauen ist das nicht ungewöhnlich. Von Männern hab ich nie so was gehört. - Bei mir war es auch nie so. Ich hab viele Frauen gehabt. Ich war nicht immer ein Held. Er weidete sich am Erzählen von Missgeschicken, log, frühere Geliebte würden sicher nichts Gutes über ihn sagen, ihn gar Schlappschwanz nennen. - Und deine Frau? - Erklärte er sich nun länger. Das sei seit Jahren vorbei, sie sei auch älter. Traf für Ehemann traurigste Feststellung: Wahrscheinlich habe sie sich nie dafür interessiert. Ich hab gedacht, so ist das eben, sagte er. Was man sich als Halbwüchsiger vorstellt, bekommt man nicht. Ich hab auch Träume gehabt, wie es mit einer Frau sein könnte. Aber dann habe ich die Hoffnung aufgegeben. Immer dasselbe, habe ich gedacht. Es hat mich inzwischen gelangweilt. - Du hast dir die falschen Frauen ausgesucht. - Es gibt zärtliche Frauen. Da ist nicht viel mit Sex. Und es gibt heiße Frauen. Du zündest sie an, eine Explosion. Und alles ist vorbei. Aber du bist zärtlich und heiß. Die Mischung ist es, die findest du nicht oft. - Glaube ich nicht. Es ist doch ganz natürlich. - Glaube es doch. Ich habe ein bisschen Erfahrung. - Ich würde so gern für immer bei dir sein! - Ich habe eine Frau. - Ja. - Vor zehn Jahren wäre das vielleicht möglich gewesen. Langsam sagte er das. Aber heute hat sie keine Chance mehr! Sie wollte ihn. Aber das Leben seiner Frau zu zerstören, lag ihren Gedanken fern. Hielt sich sowieso nicht für eine Frau, derentwegen ein Mann eine andere verließ. Jo war allein gewesen, als sie ihn kennenlernte. Sie überlegte, was vor zehn Jahren zwischen Harald und seiner Frau gewesen war, dass er zu dem Zeitpunkt sie hätte verlassen können. Hatte er vorher leise von ihr geredet, redete nun sie von dem, was ihre Hände erfuhren, wie schön diese und wie schön jene Stelle und welche ganz besonders. Wollte er nun Bauchseite gestreichelt bekommen. Spürte sie auch da ihren gemeinsamen Wünschen nach. Nicht lange, da stieß er Stalltür auf und ließ feurigen beiden Rossen wieder freien Lauf, die rasten über sie hinweg, dass ihre Sinne schwanden. War ihr nach Sterben zumute. Schien ein kleiner, wünschenswerter Schritt von diesem Aufsteigen in Unendlichkeit bis zu gänzlichem Auslöschen. Du musst sagen, wenn du genug hast. - Das muss der Mann. Ich kann es nicht. Ich kann nicht aufhören, bis du aufhörst. - Ein letztes Mal!, versprach er. - Ja! - Wieder wandte er ihr den Rücken zu. Hätte sie sich nun gern ausgeruht. Deine Hand, deine Hand, murmelte unnachgiebiger Herrscher Harald. Durfte ihn nie loslassen, den im Kampf nicht Besiegten und jetzt Zufrieden-Kleinen. Stand der Gastgeber doch noch auf, damit sie Tee und Kuchen bekäme als Zehrung für den Weg. Sie freute sich an seinem Umhergehen in Nacktheit, dem athletischen Körper, an wunderbaren Männerorganen. Aber wäre gewiss mit weniger Prächtigem auch sehr zufrieden gewesen, denn Liebe verzauberte ihr den Mann. Wie du daliegst, sagte er, sie aus Ferne betrachtend. Wie denn? Lag sie doch noch immer so, wie er sie verlassen hatte. Schamlos, sagte er. Hast du nicht genug? - Doch. Eingeladen zu Tee und Kuchen, setzte sie sich auf. Da hockten sie nun, das Tablett zwischen sich. Teppichblumen ringelten sich an ihren Leibern hoch. Dachte sie sich Harald als indischen Derwisch, vollkommen beweglich sein Körper, die Hautfarbe stimmte in etwa. Sie sog den Duft von Tausendundeiner Nacht ein, aber war Sündrüchlein dabei und nicht bloß erzählt worden. Er lachte ausnehmend. Wie man sieht, es schmeckt dir wieder mal, sagte er. Du isst, wie du liebst. -Aber ich trinke nicht, und ich rauche nicht. Und man denkt, alles andere tue ich auch nicht. Aber das macht mir nichts. Ich lache bloß, wenn andere sagen, du trinkst nicht, du rauchst nicht, und in der Liebe ... Sie denken, da tauge ich auch nicht. - Man sieht es dir nicht an, sagte er. - Das ist gut. Sie überlegte, dass sie keine Männer haben wollte, die bei ihr nur das eine sehr ausgiebig in bisher nicht gekannter Weise erhofften. Den Blick auf die Uhr brauchte sie nicht, um zu merken, ihr Herr wurde unruhig. Ich zieh mich an, sagte sie. - Eine Viertelstunde noch. - Wenn ich deiner Frau begegne? - Du kannst aus jeder Wohnung im Haus kommen. - Was machst du, wenn sie was mitkriegt? - Ich leugne. Und dann ist es aus mit uns. - Aha, dachte sie. War nun wohl unterrichtet, völlig aufgeklärt und mit Tatsachen bekannt gemacht. Kleidung lag auf dem Boden, ein Stück im anderen wie kurzzeitig gehochzeitet habend. Zog sie nun das eine aus dem anderen heraus und sich über den Leib, der hatte als Speis genug gedient. Gastgeber brachte Besuch zur Tür, hielt ihr zum Kuss die Wange hin. (Hatte sie heute nicht geküsst, war wohl unnötiges, pubertäres Spiel.) Ich melde mich!

      Am selben Tag ging es ihr gut, am nächsten weniger gut, war doch das Versprechen, sich zu melden, eher vage gewesen. Wartete tags darauf noch eindringlicher, bis sie sich mal eben aus dem Haus begab, denn musste ja nun Nahrung herangeschafft werden für zwei Menschen. Hatte Harald wohl bloß drauf gewartet, dass sie mal wegging, denn bei Heimkehr kündete Jo die Nachricht aus seinem Sessel, spuckte sie aus wie was ganz Widerwärtiges mit Augen wie Stein und gänzlich erstarrtem Gesicht: Dein Herr Dorisch hat wieder angerufen. War Jo vielleicht ein Troll, ein Unhold, bärenstark und bösartig. Wartete auf eine Gelegenheit, auf einen Tag, an dem er ihr es heimzahlen würde. Dorau, sagte sie. Und? - Nichts. Er ruft wieder an. Wasser schoss ihr in die Augen, dass sie sich schleunigst abwandte vom Mitbewohner und in ihre Kammern abtauchte.

      Tage vergingen. Er macht sich keine große Mühe mit mir, dachte sie. Er hat sich gemeldet. Das genügt ihm. Wagte nicht, bei Harald anzurufen, obwohl die Frau tagsüber in der Redaktion arbeitete. Doch mal war sie krank oder nahm den monatlichen Hausarbeitstag, der berufstätiger Frau ab bestimmtem Alter zustand. Wählte endlich doch seine Nummer, zagend zunächst. Da nichts Schlimmes davon kam, in nächsten Stunden mutiger. Ja bitte? Mit einem Mal nüchterne Harald-Stimme. Jaja, entschuldige, brachte sie stotternd heraus. Hier bin ich.


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