FILM-KONZEPTE 64 - Andreas Dresen. Группа авторов

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FILM-KONZEPTE 64 - Andreas Dresen - Группа авторов


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von einem unausweichlichen Automatismus getriebene letztliche Entscheidung für Karl, wird alternierend auch Werners Perspektive ähnlich überzeugend vermittelt. Wir sehen und begreifen, welche Katastrophe die Trennung für den introvertierten Mann bedeutet. Wir fühlen mit Werner, als der Film ihn allein in der leblos gewordenen Wohnung aus einer sich im Film regelmäßig wiederholenden Perspektive des gleichen, nun aber unbelebten Raums zeigt und ahnen, dass es sich um einen existenziellen Konflikt handelt, aus dem es kaum einen guten Ausweg geben wird. Der Absturz ist dennoch brutal, gerade nach der Retardierung durch die Begegnung am Gartenfest. Die Verzweiflung Inges und die liebevollen, etwas hilflosen Gesten Karls entlassen uns – zerrissen, nun vor allem mit der überlebenden Inge und ihrem Schuldgefühl fühlend, aber auch mit etwas Hoffnung für diese beiden.

      Deutlich wird: WOLKE 9 setzt keine der am Konflikt Beteiligten herab, hält sich von jeglichem Gut-Böse-Schema fern, ja erzeugt Verständnis für alle Hauptfiguren. Der Film besitzt, so gesehen, Züge einer klassischen Tragödie. Er macht es sich nicht leicht und bietet keine Konfliktauflösung nach Wunsch oder im Sinne eines intellektuellen Konzepts. Vielmehr führt er in echte Konflikte und menschliche Bewährungsproben hinein, deren Härte nicht zugedeckt werden soll. Im Gegenteil. Es geht darum, Konflikte ›durchzuarbeiten‹, die in ähnlicher Form auch mit jeder und jedem von uns vor der Leinwand zu tun haben. Man verlässt das Kino und wird das Dilemma nicht so leicht los, und doch entlässt der Film sein Publikum auch hier nicht ohne Hoffnung. Dresen liebt Figuren, die – wie schon die in HALBE TREPPE – sich nicht unterkriegen lassen, wieder aufstehen …

      In dieser Hinsicht ähnelt WOLKE 9 auch dem drei Jahre später ins Kino gekommenen HALT AUF FREIER STRECKE. Dabei ist die Lage der Hauptfigur dort von Beginn an völlig ausweglos. Denn der Film beginnt gleich damit, dass Frank Lange (Milan Peschel) im Beisein seiner Frau Simone (Steffi Kühnert) von einem Arzt an einem CT-Bild seines Gehirns erklärt bekommt, er habe einen inoperablen Hirntumor, und auf Nachfrage: Er habe vielleicht noch ein paar Monate. Der Film zeigt uns nun unerbittlich die Stationen des Verfalls, beginnend mit dem Zustand, den Alltag aufrecht erhalten zu wollen und die Krankheit sowie erste Fehlleistungen nicht wahrzuhaben und zu verdrängen, über die Phase, noch einmal gute Erlebnisse mit der Familie zu haben, was dann an zunehmenden Verlusten von Erinnerungsvermögen und Orientierungsfähigkeiten sowie weiterer körperlicher und mentaler Funktionen scheitert. Zuletzt liegt Frank als schwerer Pflegefall im ersten Stock seines Hauses in einem Pflegebett und wird von Simone versorgt, unterstützt durch Pflegedienstkräfte und eine Palliativärztin. Hier stirbt Frank schließlich.

      Verbunden mit dem schonungslosen Blick auf den Verfall bis hin zum Tode, wird aber auch erlebbar, mit wie viel gutem Willen die Familie ihm Zuwendung entgegenzubringen sucht und allen Fehlschlägen zum Trotz auch leistet. In einem Moment ergibt sich zwischen Simone und Frank noch einmal Sex, ein tragisch-schöner Augenblick. Wiederholt kommt es zu solch ›guten Szenen‹, so etwa das spontane Umräumen der Weihnachtstafel an Franks Bett. Zuvor aber gab es auch Szenen, die offenbar Franks Halluzinationen darstellen, für uns im Kino aber auf den ersten Blick irritierend wirken, so vor allem ein Talk-Show-Interview von Harald Schmidt (er selbst) mit einer Personifikation des Tumors (Thorsten Merten). Das Ganze erschließt sich nach und nach: Die Szene ist einerseits Ausdruck der psychischen Verfassung Franks, andererseits auch ein ironischer Blick auf das Talk-Show-Metier und ein gewollter bitter-komischer Bruch im filmischen Geschehen.

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      HALT AUF FREIER STRECKE: Der wiederkehrende Blick auf den Baum aus Richtung des Pflegebetts wird Zug um Zug sinnbildlich aufgeladen

      Immer deutlicher zeigt sich dann aber, wie unsicher und zunehmend überfordert alle sind. Irgendwann sagt Simone in ihrer Erschöpfung sogar, sie wünsche sich inzwischen, dass er bald einschlafen möge. Vorsorglich rät ihr die angesprochene Palliativärztin davon ab, Frank in ein Hospiz zu geben. Es gehe auch darum, gibt sie zu bedenken, die Kinder erleben zu lassen, dass Sterben nicht nur schrecklich sein muss, darum, ihnen diese Erinnerung in ihr Leben mitzugeben. Der Dialog mit der Ärztin markiert im Film den dramaturgischen Punkt, an dem neben der Familie noch einmal die Schwester, der Vater (Otto Mellies, besonders berührend), die Freundin aus jungen Jahren, ein befreundeter Kollege am Bett erscheinen. Wir werden Zeugen vieler kleiner, teils hilfloser, aber echter und anrührender Gesten der Nähe, die eine gute Atmosphäre, einen Kokon menschlicher Wärme schaffen, die sich auf uns überträgt, bis Frank schließlich ruhig stirbt. Auch bei diesem Film kulminieren zum Schluss – vielleicht am stärksten von allen Filmen Dresens – Momente, in denen Trauer mit Hoffnung, und mit dem Mutmachen zum Weiterleben zusammengeht. Eine Art säkularer Epiphanie. Sie wird innerhalb der Handlungswelt, durch die von Frank noch selbst erwünschte und damit bedeutungsvoll hergestellte Raumanordnung von Krankenbett und Fensterblick, der einen ausladenden Baum rahmt, visuell-metaphorisch und dabei semantisch metamorph unterstützt.

      Solche besonderen Ambivalenzen, die das Ironische und das Tragische mit menschlicher Nähe und einem Schuss Utopie verbinden, wobei alles letzthin auf genau beobachteter, in der Imagination der filmischen Welt aufgehobener Realität fußt – eine Melange, die so letzthin nur das Kino herzustellen vermag. Das ist es wohl, was den Dresen-Ton ausmacht.

       Zum diesem Band

      Ein schlanker Band wie dieser muss sich zum Prinzip des pars pro toto bekennen, sollen die einzelnen Beiträge substanziellerer Art sein. Die Auswahl der Filme, um die es in den Aufsätzen des Bandes gehen soll, ist schon aus diesem Grund auf die Kinofilme des Regisseurs konzentriert und vernachlässigt notgedrungen primär für das Fernsehen produzierte Arbeiten, wie sie vor allem in den 1990er Jahren in größerer Zahl entstanden. Aber auch nicht alle Kinofilme konnten mit längeren Betrachtungen bedacht werden. Während die Einleitung – nicht zuletzt im Bemühen um einen gewissen Ausgleich – auch auf einige wichtige Filme einging, die ansonsten nicht oder weniger stark thematisiert werden, zeigt sich, dass die daran herausgearbeiteten Charakteristika auf vielfältige Weise auch in den Filmen anklingen, die im Band näher betrachtet werden. Die Perspektiven, aus denen auf die Filme geblickt wird, sind übrigens auch vielfältig, ebenso wie der Kreis der hier Schreibenden, deren Generationszugehörigkeit und biografische wie fachliche Herkunft.

      Manche Eigenart, die in der Einleitung hervorgehoben wurde, klingt auch in dem, die Reihe der Beiträge eröffnenden Interview mit Andreas Dresen vom Juli 2021 an. Eigens für unser Heft der Film-Konzepte gibt er darin Auskünfte zu Arbeitsprinzipien und seiner Art, filmische Welten zu entfalten.

      Die Reihe der Aufsätze beginnt dann mit einem Text von Stefanie Mathilde Frank über Andreas Dresens Spielfilmdebüt STILLES LAND. Sie interessiert sich dafür, wie der Film mit Blick auf den Mikrokosmos eines kleinen Theaters in der Provinz das Porträt eines sehr spezifischen Diskursraums der Wende entwirft – eines Raums, der »Machtsphäre und Lebenswelt« verknüpft und auf manches in der damaligen Theaterpraxis (auch am Anklamer Theater selbst) verweist. Zugleich mache er heute aber auch viel Typisches an den Verhaltensweisen jener Zeit zwischen Verunsicherung, Kritik und Vorsicht, Aufbegehren und Anpassung erlebbar und offenbart, so Frank, wie kompliziert Geschichte ist.

      Daniel Wiegand setzt sich in seiner Untersuchung mit der lange in Kritiken wiederkehrenden Redeweise vom ›Authentischen‹ auseinander, das Dresens Filme präge und – etwa durch Improvisation befördert – zur ›ungefilterten‹ Alltagsdarstellung mache. Mit der eingehenden Betrachtung ausgewählter Montage-Sequenzen aus NACHTGESTALTEN und DIE POLIZISTIN tritt er dieser Idee entgegen und arbeitet heraus, dass und wie die Filme auf genau kalkulierten, hochkomplexen Blick- und Ton/Bild-Konstruktionen basieren, die sich nahtlos der jeweiligen filmischen Erzählung und Gesamtstimmung einfügen. Zugleich wird, so Wiegand, an den gewählten Sequenzen deutlich, wie Dresens Filme auf ambivalente Weise und mit feinem Humor auch magische Momente ins Spiel bringen.

      Danach befasst sich Hans J. Wulff mit Qualitäten und Eigenarten des Schauspiels von Axel Prahl, der ja eine Zeitlang, vor allem durch den Erfolg von HALBE TREPPE und WILLENBROCK, gleichsam als Gesicht der Dresen-Filme galt. Wulff denkt über dessen Bedeutung nicht nur für die Filme des Regisseurs nach, in denen Prahl die Hauptrolle spielte, sondern auch über kleinere und dennoch nachhaltig im Gedächtnis


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