Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris. Maria Anna Oberlinner

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Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris - Maria Anna Oberlinner


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Großteil der Weisungen aus der ars agendi legen. Dabei nimmt Ovid den lukrezischen Prätext aber nicht als vorbildhaftes Muster, sondern er entfernt sich im Verlauf seiner Weisungen sukzessive von diesem Bezugstext, bis es zu einem endgültigen Bruch mit diesem kommt. Die Bezugnahme manifestiert sich auch lexikalisch darin, dass die Wiederholung von Formen des Verbs simulare bei Ovid auf die epikureische simulacra-Theorie anspielt. Daraus kann man folgern, dass Ovid durch seine Weisungen zum Verstellen (simulare), welche eine Charakterisierung der ersten tractatio-Hälfte als ars simulandi zulassen, letztlich eine parodistische Inversion des lukrezischen Textes und seiner Philosophie erreicht, die auf einer Vermeidung von Illusion beruht.

      Ausgehend von den Erkenntnissen zu diesem spezifischen Lehrgedicht, also der Untersuchung dieser Einzeltextreferenz, und bestehenden Forschungsergebnissen betrachte ich in Kapitel 4.2 Ovids Haltung dem didaktischen Genre allgemein gegenüber. Dabei zeigt sich, dass Ovid die Grenzen dieser grundsätzlich offenen Gattung weiter auslotet und dem Lehrgedicht durch die Verbindung elegischer und didaktischer Elemente seine persönliche Prägung gibt. Auch integriert er andere Lehrgedichte funktional in sein elegisch-didaktisches Hybrid-Projekt der Remedia amoris und ordnet diese seinem eigenen Werk unter. Mit den Instruktionen dazu, wie man sich von unglücklicher Liebe lösen kann, ist zugleich auch die Demontage der Gattung Elegie und ihrer Regeln (dies stellt Contes [1989] zentrale These dar) verbunden, wobei aber die in der Form und metrisch-rhythmischen Gestaltung inhärenten elegischen ‚Obertöne‘ die Ernsthaftigkeit einer Absage an diese Welt konterkarieren. Der letztgenannte Aspekt, der durch einen Forschungskonsens bereits bestätigt ist und so auch in dieser Arbeit referiert werden soll, sei an das Ende des Kapitels gestellt.

      Meine darauf folgenden Betrachtungen zu Ovids Referenzen auf Horaz und Catull (Kapitel 4.3) stehen im Kontext einer Analyse der (eroto-)jambischen und satirischen Elemente, die ebenfalls für das Programm der Heilmittel gegen die Liebe funktionalisiert werden. Dabei werden die parodistischen Rekurrenzen auf Horaz vorwiegend als Systemreferenz realisiert, wobei sie jedoch in konkreten intertextuellen Bezugnahmen auf Textpassagen und Motive begründet liegen. Dagegen stehen die Liebesgedichtzyklen des Catull’schen Œuvres als Einzeltextreferenz im Vordergrund. Ausgangspunkte für meine Schlussfolgerungen sind dabei zunächst die Anspielungen auf die Autosuggestionspassage in Horaz’ dritter Satire des ersten Buches und Ovids parodistischer Umgang mit dem moralphilosophischen vitium-Begriff sowie die karikierende Referenz auf die Existenz von Liebessklaven, wie sie Ovid bereits in sat. 2, 3 und 2, 7 begegnet sind. Dabei zeige ich, dass Ovid Horaz, insbesondere seine produktive Gattungsrevolution in den Bereichen Satire und Jambus, teilweise in Form einer ‚aemulatio Horatii‘ nachahmt und teilweise parodiert und so für die eigene ‚destruktive‘ Gattungsrevolution der Remedia nutzt. Denn auch der jambische Tonfall der Epoden und die lineare Entwicklung der Epoden-Persona stehen, wie ich denke, im Hintergrund der parodistischen Aufnahme in den Remedia.

      Die parodistische Referenz auf das Verhalten der Epoden-Persona ist vergleichbar damit, wie Ovid mit dem Sprecher-Ich Catulls umgeht. Dabei ist die Bedeutung der Liebesgedichtzyklen um Lesbia und Juventius und das Verhalten des Catull’schen Ich für die Remedia jedoch insofern größer, als sich zeigen lässt, dass die erkennbare emotionale Entwicklung Catulls motivisch und strukturell grundlegend für den zweiten tractatio-Teil, die ars vitandi, ist. Denn Ovid zeigt parodistisch, wie Catull ein Negativbild ist, dessen Fehler man vermeiden muss, um nicht rückfällig in der Liebe zu werden – Catull demonstriert schließlich, wenn man die Carmina einer intentional naiven Lesart unterzieht und in der Reihenfolge ihrer narrativen Präsentation liest, dass er das Prinzip der emotionalen Indifferenz, das Ovid in der zweiten Remedia-Hälfte entfaltet, missachtet. Die sich im wiederkehrenden Motiv des Nebenbuhlers konstituierende ‚Rivalen-Klammer‘, die sich um diesen zweiten tractatio-Teil legt, gründet ebenfalls auf dem ‚Beziehungsnarrativ‘ Catulls und belegt zusätzlich die Bedeutung dieses Prätextes für die Remedia. Diese Beobachtungen liegen auch der Analyse konkreter lexikalischer Anspielungen auf Catull (insbesondere anhand des Verbs desinere und dominanter Wortfelder zu ‚sprechen und schweigen in Liebesangelegenheiten‘) zugrunde, die meiner Ansicht nach eine Bezeichnung des zweiten Remedia-Teil als ‚ars desinendi et tacendi‘ zulassen. Den Ausführungen stelle ich einen Überblick über die Gestaltung der jambischen Gattung bei Catull und eine detaillierte Betrachtung der Liebeszyklen voran. Mit meiner Klassifikation fünf emotionaler Stadien, die das Catull’sche Ich in der linearen Repräsentation der Carmina durchläuft und die für die Betrachtung der Sammlung als ‚Geschichten eines Rückfalls‘ wesentlich sind, leiste ich auch einen Beitrag zur Catull-Forschung. Eine einführende, zusammenfassende Darstellung von Ovids Bezugnahmen auf den früheren Dichter an anderen Stellen seines Werkes dient als zusätzliche Legitimation der Analyse von Catulls Einfluss.

      Ich möchte meinen Ausführungen noch eine kurze Bemerkung zu meinem Gebrauch von Sprecher-, Persona- und Autorbegriff voranstellen, die teilweise moderner Erzähltheorie entnommen, aber auch auf Werke der Antike anwendbar sind,42 wobei dies in der Forschung aber nicht unumstritten ist.43 Wenn man über die Diegese in literarischen Werken spricht, wird im literaturwissenschaftlichen Diskurs ein Sprecher-Ich angesetzt, das als eine fiktionale Figur innerhalb des aufgespannten literarischen Raumes, innerhalb der intradiegetischen Welt agiert, spricht etc. Die erzählte Welt wird dabei von einem extradiegetischen Erzähler konstituiert, der nicht mit dem historischen Autor gleichzusetzen, sondern eine literarische Persona ist; so erschafft etwa die ovidische Persona die Remedia amoris und nicht der 43 v. Chr. geborene Dichter. In den Remedia wie auch der Ars tritt nun diese Persona als ‚Ich‘ sagende Figur, als Lehrer im Liebeskurs, als magister/praeceptor amoris bzw. sanitatis sichtbar auf. Aus Gründen der Praktikabilität werde ich, etwa auch um bei Detailanalysen eine unnötige terminologische Verkomplizierung zu vermeiden, in folgender Arbeit die Begriffe Sprecher(-Ich), Persona44 und Autorname – Ovid oder auch Lukrez, Catull, Horaz etc. – synonym verwenden, zumal dies in der anglophonen Forschung in der Regel problemlos praktiziert wird.45 Wenn ich den Namen des Autors verwende, beabsichtige ich also keine Gleichsetzung mit der historischen Figur (was ich, in Anbetracht der lange autobiographischen Lesart der Gedichte Catulls und der steten Versuche, Lesbia mit Clodia zu identifizieren, als einen für Catull besonders wichtigen Hinweis erachte); ist bei einer Nennung tatsächlich die Autorfigur gemeint, ist dies explizit markiert. Denn trotz der grundlegenden Trennung von historischer und literarischer Ebene können in diesen antiken Werken auch Realitätsreferenzen möglich sein. In manchen Fällen sind diese sogar wahrscheinlich. In den Epoden etwa, die auch vor dem Hintergrund der Schlacht von Actium geschrieben wurden, kann es zu einer Übereinstimmung von fiktivem Sprecher-Ich und realhistorischem Autor kommen; eine Trennung ist nicht immer sicher bestimmbar oder sinnvoll, etwa wenn bestimmte Passagen oder Texte bewusst mit autobiographischen Angaben aufgeladen sind. So gibt es auch Stimmen, die in den Remedia in der Passage des Literaturexkurses eine Äußerung des Autors Ovid hören.46 Denn es können sich auch in der fiktiven Persona nur vereinzelte, implizierte Referenzen auf autobiographische Aspekte oder Spiegelungen der historischen Realität finden. Bei der Betrachtung der Remedia als literarischer Parodie von Prätexten und Gattungstraditionen, auf die intertextuell Bezug genommen wird, und bei der Analyse der praecepta, die durch die instruierende Persona präsentiert werden, geht es mir jedoch nicht um die reale Figur Ovid und Fragen etwa nach historischen und politischen Implikationen. In dieser Arbeit bleibe ich in der Welt der Literatur und bei ihren Gesetzen, die in den Remedia unter Rückgriff auf andere Intertexte produktiv verhandelt werden.

      2 Der Aufbau der Remedia amoris

      Eine detaillierte und strukturierte Inhaltsangabe und Skizze des Aufbaus liefert bereits Hans Joachim Geisler in seinem Kommentar zur ersten Hälfte der Remedia (1969); seine Analyse wurde durch andere Kommentatoren sowie Barbara Weiden Boyd modifiziert und erweitert,1 weswegen hier nur die Grundzüge der Werkkonzeption angeführt und die bisherigen Forschungsergebnisse mit eigenen Beobachtungen ergänzt werden.

      Ein zweigeteiltes Proöm und ein vier Verse umfassender Epilog rahmen die eigentliche, wiederum zweigeteilte tractatio, der eine kurze Erörterung zum richtigen Zeitpunkt für die Heilung vorangeht. Im Dialog mit Amor (V. 1–40) verteidigt


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