Internationales Privatrecht. Klaus Krebs
Читать онлайн книгу.In der Antike gab es kaum Kollisionsrecht.[1] Die Römer wendeten für Fremde den Teil des eigenen Rechts an, der ihrer Ansicht nach Gemeingut aller Völker war (sog. ius gentium).[2] Von Oberitalien ausgehend, entwickelte sich ab dem frühen 19. Jahrhundert die sog. Statutenlehre, die drei verschiedene Statute (lat. statuta = Gesetz) vorsah: statuta personalia, statuta realia, statuta mixta. Für Fragen der Person (z. B. Handlungsfähigkeit) sollte nach der statuta personalia das Heimatrecht des Fremden gelten, für Immobilien gemäß der statuta realia das Recht des Ortes, an dem sich die unbewegliche Sache befand, und für alle anderen Angelegenheiten (z.B. Delikte) galt nach dem Auffangtatbestand der statuta mixta grundsätzlich das Recht des Handlungsortes. Die unscharfen Grenzen dieser drei Kategorien ließen eine eindeutige Zuordnung im Einzelfall jedoch kaum zu. Mit der Kritik von Carl Georg von Wächter in den Jahren 1841/42 fand die Statutenlehre daher ihr Ende.[3] An ihre Stelle trat die Entwicklung des modernen IPR, die eng mit den Namen Joseph Story, Pasquale Mancini und insbesondere Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) verbunden ist.[4]
9
Hinweis
Beachten Sie, dass der häufig gebrauchte Begriff „Statut“ zumeist nicht in diesem historischen Sinne verstanden wird, sondern die zur Anwendung berufene Rechtsordnung als Ergebnis der kollisionsrechtlichen Prüfung meint.[5]
Anmerkungen
Kegel/Schurig § 3 I S. 162.
Vgl. Rauscher Rn. 21.
Gebauer JZ 2011, 213, 220; Rauscher Rn. 29.
Eingehende Behandlung mit Abbildungen Kegel/Schurig § 3 IX-XI S. 181 ff.; knapper Rauscher Rn. 30 ff.
Vgl. Hoffmann/Thorn § 2 Rn. 33; Sendmeyer JURA 2011, 588.
1. Teil Einführung und Überblick › F. Rechtsquellen des IPR und ihre Rangfolge
F. Rechtsquellen des IPR und ihre Rangfolge
10
Zu den Wesensmerkmalen des IPR gehört die teils schwer durchschaubare Gemengelage von Europarecht, staatsvertraglichen Regelungen und autonomem deutschen Recht.
Hinweis
Lassen Sie sich davon nicht abschrecken, sondern verstehen Sie diese „Rechtsquellenpluralität“ als Chance. Während in einer typischen Zivilrechtsklausur die heranzuziehende Rechtsquelle meist offensichtlich ist, werden „IPR-Klausuren“ häufig nach einem nicht einschlägigen Gesetz bearbeitet. Dies zu vermeiden ist nicht schwer. Denn in Prüfungen werden nur Kenntnis und Zusammenspiel einer sehr begrenzten Anzahl nationaler und internationaler Kollisionsnormen erwartet. Mit deren Beherrschung werden Sie in der Klausur punkten können: Weil das Aufspüren der richtigen Rechtsquelle bereits zu den Herausforderungen im IPR gehört, an der etliche Studierende scheitern, zahlen sich die Kenntnis der wesentlichen Rechtsquellen und ihrer Rangfolge aus. Zusätzlich vereinfacht wurde das Auffinden der richtigen Rechtsquelle durch die neu gefasste „Überblicksnorm“ des Art. 3 Nr. 1, der die für „IPR-Klausuren“ wichtigsten EU-Verordnungen aufführt. Um die entsprechenden Verordnungen und Staatsverträge nachfolgend leichter auffinden zu können, werden jeweils die Fundstellen in den Gesetzessammlungen Jayme/Hausmann (im Folgenden: J/H) und Arzt/Staudinger (im Folgenden: A/S) in den Fußnoten mit angegeben.
1. Teil Einführung und Überblick › F. Rechtsquellen des IPR und ihre Rangfolge › I. Europäisches Recht
I. Europäisches Recht
11
Der Einfluss des Europarechts auf das nationale IPR wächst stetig. Art. 81 AEUV liefert der EU die dafür nötige Kompetenzgrundlage. Die Motive für den europäischen Vereinheitlichungsprozess, an dem der Mitgliedstaat Dänemark nicht beteiligt ist,[1] sind vielfältig:
• | Erstens verkompliziert die Vielfalt an nationalen IPR-Vorschriften die Bestimmung des anwendbaren Rechts und führt so zu erhöhten Rechtsfindungs- und Transaktionskosten.[2] |
• | Zweitens birgt es die Gefahr des sog. forum shopping, bei dem der Kläger seine Klage in demjenigen Land anhängig macht, dessen nationales IPR zur Anwendung eines für ihn günstigen Sachrechts führt. |
• | Drittens werden Rechtsverhältnisse seltener nach einem Recht als wirksam und nach einem anderen als unwirksam angesehen (sog. hinkende Rechtsverhältnisse). Diese Nachteile nationaler IPR-Gesetzgebung werden durch Kollisionsrechtsvereinheitlichung abgebaut. |
• | Schließlich bringt die sukzessive Ablösung völkerrechtlicher Verträge[3] durch europäisches Verordnungsrecht den Vorteil, dass bei Aufnahme neuer Staaten in die EU nicht erst Beitrittsübereinkommen geschlossen werden müssen, um die IPR-Vorschriften zur Geltung zu bringen.[4] Es bedarf auch keiner Ratifizierung von Protokollen mehr, um die Auslegungskompetenz des EuGH zu begründen; diese stellt sich gem. Art. 267 Abs. 1 AEUV vielmehr automatisch ein.[5] |
1. EU-Verordnungen
12
Das Verordnungsrecht der EU bildet neben dem deutschen EGBGB heute die Hauptquelle des IPR. Im Unterschied zum EGBGB, das alle wichtigen nationalen Kollisionsnormen in einem Gesetz bündelt, verteilt sich das europäische Kollisionsrecht auf eine Vielzahl einzelner Verordnungen, die in ihrer Struktur zahlreiche Parallelen aufweisen.[6]
Für das Examen wichtig sind insbesondere die in Art. 3 Nr. 1 a) bis g) aufgeführten:
a) | Die Rom II-VO,[7] die das Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse regelt, |
b) | die Rom I-VO,[8] die das Internationale Vertragsrecht regelt, |
c) | die Europäische Unterhaltsverordnung[9] (EuUntVO), |
d) | die sog. Rom III-VO[10] zum Internationalen Scheidungsrecht, |
e) | die Europäische Erbrechtsverordnung[11] (EuErbVO), |
f)
|