Ungeduld des Herzens / Нетерпение сердца. Стефан Цвейг

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Ungeduld des Herzens / Нетерпение сердца - Стефан Цвейг


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und zeigt mir ihren Kronschatz, ein dickes Büschel langstieliger Rosen: wie viele ich davon haben wollte? Alle, sage ich, alle! Nur so einfach zusammenbinden, ober ob es mir lieber wäre in einem schönen Korb? Ja, ja, einen Korb. Der Rest meiner Monatsgage geht auf die splendide Bestellung, in den letzten Tagen des Monats werde ich dafür das Abendessen und das Kaffeehaus mir abknausern müssen oder Geld ausleihen. Aber das ist mir im Augenblick gleichgültig oder vielmehr, es freut mich sogar, daß mich meine Narrheit teuer zu stehen kommt, denn die ganze Zeit schon fühle ich eine böse Lust, mich Tölpel gründlich zu bestrafen, mich bitter zahlen zu lassen für meine zwiefache Eselei.

      Also nicht wahr, alles in Ordnung? Die schönsten Rosen, gut arrangiert in einem Korb, und zuverlässig gleich abgeschickt! Aber da läuft mir die Frau Gurtner verzweifelt auf die Straße nach. Ja wohin denn und zu wem sie die Blumen schicken solle, der Herr Leutnant hätten ja nichts gesagt. Ach so, ich dreifacher Tölpel habe das in meiner Aufregung vergessen. Zur Villa Kekesfalva, ordne ich an, und rechtzeitigerweise erinnere ich mich dank jenem erschreckten Ausruf Ilonas an den Vornamen meines armen Opfers: für Fräulein Edith von Kekesfalva.

      »Natürlich, natürlich, die Herren von Kekesfalva«, sagt Frau Gurtner stolz, »unsere beste Kundschaft!«

      Und, neue Frage – ich hatte mich schon wieder zum Weglaufen bereitgemacht – ob ich nicht noch ein Wort dazuschreiben wolle? Dazuschreiben? Ach so! Den Absender! Den Spender! Wie soll sie sonst wissen, von wem die Blumen sind?

      Ich trete also nochmals in den Laden, nehme eine Visitenkarte und schreibe darauf: »Mit der Bitte um Entschuldigung.« Nein – unmöglich! Das wäre schon der vierte Unsinn: wozu noch an meine Tölpelei erinnern? Aber was sonst schreiben? »In aufrichtigem Bedauern« nein, das geht schon gar nicht, am Ende könnte sie meinen, das Bedauern gelte ihr. Am besten also gar nichts dazuschreiben, überhaupt nichts.

      »Nur die Karte legen Sie bei, Frau Gurtner, nichts als die Karte.«

      Jetzt ist mir leichter. Ich eile zurück in die Kaserne, schütte meinen Kaffee hinunter und halte schlecht und recht meine Instruktionsstunde ab, wahrscheinlich nervöser, zerfahrener als sonst. Aber beim Militär fällt’s nicht sonderlich auf, wenn ein Leutnant morgens verkatert in den Dienst kommt. Wie viele fahren nach durchbummelter Nacht von Wien so ausgemüdet zurück, daß sie kaum die Augen aufhalten können und im schönsten Trab einschlafen. Eigentlich kommt’s mir sogar gut zupaß, die ganze Zeit kommandieren, examinieren und dann ausreiten zu müssen. Denn der Dienst lenkt die Unruhe doch einigermaßen ab, freilich, noch immer rumort zwischen den Schläfen das unbehagliche Erinnern, noch immer steckt mir etwas dick in der Kehle wie ein galliger Schwamm.

      Aber mittags, ich will gerade zur Offiziersmesse hinüber, läuft mit hitzigem »Panje Leutnant« mein Diener mir nach. Er hat einen Brief in der Hand, ein längliches Rechteck, englisches Papier, blau, zart parfümiert, rückwärts ein Wappen fein eingestanzt, ein Brief mit steiler, dünner Schrift, Frauenschrift. Ich reiße hastig den Umschlag auf und lese: »Herzlichen Dank, verehrter Herr Leutnant, für die unverdient schönen Blumen, an denen ich mich furchtbar freute und noch freue. Bitte kommen Sie doch an jedem beliebigen Nachmittag zum Tee zu uns. Ansage ist nicht nötig. Ich bin – leider! – immer zu Hause. Edith v. K.«

      Eine zarte Handschrift. Unwillkürlich erinnere ich mich an die schmalen Kinderfinger, wie sie sich an den Tisch preßten, erinnere mich an das blasse Gesicht, wie es plötzlich purpurn erglühte, als hätte man Bordeaux in ein Glas geschüttet. Ich lese noch einmal, zweimal, dreimal die paar Zeilen und atme auf. Wie diskret sie hingleitet über meine Tölpelei! Wie geschickt, wie taktvoll sie zugleich ihr Gebrechen selbst andeutet. »Ich bin – leider! – immer zu Hause.« Vornehmer kann man nicht verzeihen. Kein Ton von Gekränktsein. Eine Last stürzt mir vom Herzen. Wie einem Angeklagten ist mir zumute, der schon lebenslängliches Zuchthaus sich zugesprochen vermeinte, und der Richter erhebt sich, setzt das Barett auf und verkündet: »Freigesprochen.« Selbstverständlich muß ich bald hinaus, um ihr zu danken. Heute ist Donnerstag – also Sonntag mache ich draußen Besuch. Oder nein, lieber doch schon Samstag!

      Aber ich hielt mir nicht Wort. Ich war zu ungeduldig. Mich bedrängte die Unruhe, meine Schuld endgültig beglichen zu wissen, möglichst bald fertig zu werden mit dem Unbehagen einer unsicheren Situation. Denn immer kribbelte mir noch die Angst in den Nerven, bei der Offiziersmesse, im Café oder sonstwo würde jemand von meinem Mißgeschick zu sprechen anfangen: »Na, wie war denn das da draußen bei den Kekesfalvas?« Dann wollte ich schon kühl und überlegen erwidern können: »Reizende Leute! Ich war gestern nachmittags wieder bei ihnen zum Tee«, damit jeder gleich sehen könne, daß ich dort nicht etwa mit Stunk abgeglitten war. Nur einmal Strich und Punkt unter die leidige Affäre gesetzt haben! Nur einmal damit fertig sein! Und diese innere Nervosität bewirkt auch schließlich, daß schon am nächsten Tag, am Freitag also, während ich gerade mit Ferencz und Jozsi, meinen besten Kameraden, über den Korso schlendere, mich der Entschluß plötzlich überfällt: noch heute machst du den Besuch! Und ganz unvermittelt verabschiede ich mich von meinen etwas verwunderten Freunden.

      Es ist eigentlich kein sonderlich weiter Weg hinaus, höchstens eine halbe Stunde, wenn man tüchtig ausschreitet. Zuerst fünf langweilige Minuten durch die Stadt, dann die etwas staubige Landstraße entlang, die auch zu unserem Exerzierfeld führt und auf der unsere Rösser schon jeden Stein und jede Biegung kennen (man kann die Zügel ganz locker lassen). Erst in ihrer halben Breite zweigt links bei einer kleinen Kapelle an der Brücke eine schmälere, von alten Kastanien beschattete Allee ab, gewissermaßen eine Privatallee, wenig benutzt und befahren und von den gemächlichen Windungen eines kleinen, tümpeligen Baches ohne Ungeduld begleitet.

      Aber merkwürdig – je mehr ich mich dem kleinen Schlößchen nähere, von dem nun schon die weiße Rundmauer und das durchbrochene Gittertor sichtbar werden, um so rascher sackt mir der Mut zusammen. So wie man knapp vor der Tür des Zahnarztes nach einem Vorwand sucht, um noch kehrt zu machen, ehe man die Klingel zieht, möchte ich noch rasch echappieren. Muß es wirklich schon heute sein? Soll ich nicht überhaupt durch jenen Brief die peinliche Affäre als endgültig beigelegt betrachten? Unwillkürlich verlangsame ich den Schritt; zum Umkehren bleibt schließlich immer noch Zeit, und ein Umweg weist sich allemal willkommen, wenn man nicht den graden Weg gehen will; so biege ich, den kleinen Bach auf einem wackligen Holzbrett überquerend, von der Allee zu den Wiesen ab, um zunächst einmal von außen das Schloß zu umkreisen.

      Das Haus hinter der hohen Steinmauer präsentiert sich als ein einstöckiges weitgestrecktes Gebäude im späten Barockstil, nach altösterreichischer Art mit dem sogenannten Schönbrunner Gelb gefärbelt und mit grünen Fensterläden versehen. Durch einen Hof abgesondert, drücken sich ein paar kleinere Gebäude, offenbar für das Gesinde, die Verwaltung und die Stallungen bestimmt, in den großen Park hinein, von dem ich bei jenem ersten nächtlichen Besuch nichts wahrgenommen hatte. Jetzt erst merke ich, durch die sogenannten Ochsenaugen, die ovalen Durchbrüche jener mächtigen Mauer, hineinspähend, daß dieses Schloß Kekesfalva keineswegs, wie ich unter dem Eindruck der inneren Einrichtung vermeinte, eine moderne Villa ist, sondern ein rechtes ländliches Gutsherrenhaus, ein Adelssitz alter Art, derlei ich im Böhmischen ab und zu bei Manövern im Vorbeireiten gesehen hatte. Auffällig wirkte nur der merkwürdige viereckige Turm, der, mit seiner Form ein wenig an die italienischen Campaniles erinnernd, sich ziemlich ungehörig emporstemmt, vielleicht Überrest eines Schlosses, das vor Zeiten hier gestanden haben mag. Nachträglich entsinne ich mich jetzt, vom Exerzierfeld aus diese sonderbare Warte öfters wahrgenommen zu haben, freilich in der Meinung, es sei der Kirchturm irgend eines Dorfes, und nun erst fällt mir auf, daß der übliche Turmknauf fehlt und der merkwürdige Kubus ein flaches Dach besitzt, das entweder als Sonnenterrasse oder Observatorium dient. Je mehr ich aber des Feudalen, Altererbten dieses adligen Gutsbesitzes gewiß werde, um so unbehaglicher fühle ich mich: gerade hier, wo sicher auf Formen besonders geachtet wird, mußte ich derart tölpelhaft debütieren!

      Aber schließlich gebe ich mir, nach beendeter Umkreisung wieder beim Gittertor von der anderen Seite angelangt, den entscheidenden Ruck. Ich durchschreite den Kiesweg zwischen den kerzengrade geschnittenen Bäumen und lasse an der Haustür den schweren bronzegetriebenen Klopfer niederfallen, der hier nach altem Brauch statt einer Glocke dient. Sofort erscheint der Diener – sonderbar, er scheint gar nicht erstaunt über den unangemeldeten


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