Die Ahnen. Gustav Freytag

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Die Ahnen - Gustav Freytag


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Ingrams Händen hingen die kleinen Brüder der Walburg. »Kommt zu mir, ihr Knaben«, rief Ingram heftig und zog sie mit sich fort.

      Aber Winfried selbst trat ihm in den Weg. »Mein sind die Knaben, und mein ist jedes Haupt dieses Zuges.«

      »Die Söhne meines Gastfreunds sind‘s, und die Sorge für ihr Wohl nehme ich auf mich«, rief Ingram in aufloderndem Zorn.

      »Durch das Gut des Herrn sind die Kinder gelöst, und nicht durch das deine«, antwortete der Bischof.

      »Krieger sollen sie werden und nicht kniebeugende Christen«, rief Ingram, die Knaben festhaltend.

      »Ich aber fürchte, Ingram,« versetzte Winfried, »daß ihnen der wilde Haushalt deines Hofes nicht gedeihen wird, und ich habe die Pflicht, sie davor zu bewahren, denn meiner Lehre gehören sie. Gib die Hände frei, die du festhältst.«

      In hellem Ausbruch der Wut faßte Ingram nach seinem Schwert, der Bischof faßte die Hände der Knaben und stand dem Wütenden mit gehobenem Haupt gegenüber. »Nicht das erstemal stehe ich vor deiner Waffe«, rief er mahnend.

      Der Graf trat schnell vor Ingram und hielt ihm selbst die Schwerthand fest. »Unsinnig bist du, Ingram, daß du dich gegen einen Geschorenen regst. Laß dir Gutes raten, Mann; hebst du das Schwert, so verlierst du die Hand.«

      Aber Ingram riß sich los, ihm wirbelte es vor den Augen, blutigrot waren die Gesichter, welche ihn höhnisch anschauten, und ganz außer sich rief er: »Von meinen Göttern scheidet er mich, und die ich liebe, löst er von mir, rächen will ich den Schaden oder nicht leben«, und im Sprunge schwang er sein Schwert gegen den Bischof. Da sah er plötzlich vor sich nicht das verhaßte Gesicht des Priesters, sondern ein Frauenantlitz, marmorbleich, voll Schrecken die Augen, auf der Wange eine blutigrote Wunde, und er fuhr zurück, entsetzt über die Verwandlung.

      »Greift den Friedensbrecher!« rief Herr Gerold. Wildes Geschrei erhob sich und Schwerter blitzten. Ingram aber rannte mit gehobener Waffe der Höhe zu; seine Freunde und Genossen aus der Heidenschaft drängten sich zwischen ihn und die zornige Menge, bis die Rufe der Verfolgenden in der Ferne verklangen und den Gejagten das schützende Dunkel des Waldes umschloß.

      6. Walburg

      Nach dreitägiger Lehre und Festfeier waren die Gaugenossen heimgezogen, die Christen mit gehobenem Haupt, die Heiden in Kleinmut. Aber draußen in dem weiten Land der Thüringe wirkte die Bewegung fort, welche durch den Zauber eines kräftigen Mannes aufgeregt war, der Windstoß aus dem Waldtal wurde zum starken Sturme, er durchfuhr das ganze Land und warf alte Heidenbäume nieder.

      Winfried wohnte nicht mehr in der Hütte des Memmo. Auf den Rat des Grafen war ihm beim Meierhof eine Halle errichtet worden, damit er würdiger das Volk empfange. Doch war er selten daheim, von Reisigen und von einem Gefolge ansehnlicher Männer begleitet zog er rastlos durch das Land, und wo er erschien, stritten die Männer über Opfermahle und ihr künftiges Heil in der Himmelsburg. Viele zogen das weiße Gewand der Täuflinge an, noch mehre standen unsicher zur Seite, ohne Waffen gegen das laute Wort aus Menschenbrust und gegen das Wesen des Mannes, der so sicher wie ein Gott Bescheid wußte, wo andere sich im Zweifel ängstigten. Fand er auch überall bittere Feinde, wider den ersten Andrang seiner Lehre vermochten sie sich nur wenig zu wehren, denn gütig und schonend sprach er zu dem einzelnen, und jedem gab er seine Ehre, er war freundlich zu den Frauen, sein Antlitz wandelte sich in helle Fröhlichkeit, wenn er mit den Kindern sprach, und wo er einen Bedrängten oder Darbenden fand, gab er alles, was er selbst gerade hatte und bat so feierlich und dringend, daß er oft auch die Harten zur Guttat beredete. Im ganzen Lande sagten die Leute, daß er ein milder und vornehmer Mann sei, und darum hörten sie ihn williger.

      Aber auch das Dorf, in dem er zuerst eingekehrt war, wies nach wenigen Wochen die Verwandlung. Auf dem Meierhofe, welchen Frau Hildegard dem Christengott als Geschenk dargebracht hatte, erhob sich bei der Halle ein Turmgerüst und daran ein großer im Viereck eingehegter Raum, der dem Gottesdienste geweiht war. Außerdem mehre neue Blockhäuser: ein Schlafhaus für die losgekauften Frauen und Kinder, daneben ein Arbeitshaus, in dem sich an jedem Wochentage die Spindeln drehten und Webstühle klapperten; und gegenüber ein zweites Arbeitshaus mit einem großen Kreuz über dem Giebel, die erste Schule im Lande. Dort saßen die Knaben, deren Vormund der Bischof geworden war, auf niedrigen Holzbänken, sie lernten in ihrer Sprache das Vaterunser und den Glauben und im Latein Kirchengebete und Gesang, dabei auch ein wenig das Verständnis der lateinischen Worte. Denn Memmo erfand für sie wichtige Sprüche mit deutschen und lateinischen Wörtern in der Art wie: meus avus heißt mein Ahn, pater heißt der Vater, vir bin ich, der Mann, filius der Sohn. Memmo lächelte jedesmal stolz, wenn er den Knaben einen neuen Spruch beibrachte, er strich denen, welche gut lernten, so zart über das gelbe Kraushaar, wie seinem Stieglitz über das rote Käppchen, aber den Ungefügen zahlte er unerbittlich ihr Kerbholz mit einer großen Birkenrute, welche der Unartigste jeden Sonnabend neu liefern mußte, damit er selbst die ersten Streiche empfange. Auch Schreibgerät bereitete er, um den Knaben das Geheimnis der Schrift zu offenbaren. Er kochte den schwarzen Zaubersaft der Tinte, während ihn die Knaben ängstlich umstanden; er lehrte seine Schüler kleine Holztafeln schneiden und einrahmen und für den Gebrauch des Griffels mit einer dünnen Lage Wachs überziehen, für die Tinte aber mit weißem Birkenbast bekleiden. War Gottfried im Dorfe, so unterrichtete dieser im Kirchengesang, zu seiner Schule gehörten auch die Frauen und Mädchen. So oft die Weise des Abendliedes von der Höhe über das Dorf klang, hörten die Landleute mit der Arbeit auf und sahen furchtsam zu dem Hofe empor, wo dem neuen Gott der Nachtgruß geboten wurde. Und wenn Memmo mit seinen Schülern durch Wiese und Holz zog und ihnen die Tugenden der Bäume und Kräuter erklärte, dann wurden seine kleinen Gesellen von den Dorfknaben angeschrien wie gezähmte Vögel von wilden, und er hatte zuweilen mit seinem Stocke Arbeit, um die Köpfe der Raufenden auseinanderzubringen.

      Weit durch das Land lief das Gerücht von der neuen Schule und von der seltsamen Christenzucht. Obgleich das unkriegerische Wesen den Ansehnlichen mißfiel, so dünkte doch manchem vorteilhaft, einen jüngeren Sohn daran zu wagen, die armen Leute aber warben dringend um Aufnahme, und schon dachte Winfried daran, die Schule nach dem großen Markt der Thüringe zu verlegen.

      Einige Frauen und Kinder waren durch ihre Freunde abgeholt worden, aber die Mehrzahl saß noch unter dem Schutz des Bischofs und begehrte sich kein besseres Glück, denn der Haushalt war wohlgeordnet, und aller Bedarf des Lebens wurde in fester Ordnung bereitet. Die Christen hatten nach der großen Versammlung auf die Mahnung des Bischofs freiwillige Spenden zugetragen: Lebensmittel, Flachs, sogar Viehhäupter. Anderes gewann eigener Fleiß der Hausenden. Was Wald und Flur von eßbaren Früchten bot, wurde gesammelt, die Ernte des Gutes von eifrigen Händen eingebracht, jedem einzelnen wußten die Väter nach seinen Kräften ein Amt zu geben, welches dem Haushalt nützlich war. Neben dem Meier und seiner Frau standen Walburg und Gertrud der Wirtschaft vor, die eine im Frauenhause, die andere in den Ställen und auf dem Felde. So oft Winfried von seinen Reisen heimkehrte, empfing er wie ein Gutsherr die Berichte seiner Getreuen, er stand fröhlich unter den Kindern, freute sich der guten Köpfe, welche Memmo lobte, und mahnte die Säumigen. Und jedesmal hatte er einen besonderen Gruß für Walburg und ihre Brüder.

      Walburg war genesen. Memmo hatte seine ärztliche Kunst wohl an ihr bewährt, mehre Wochen hatte er ihr die Arbeit in freier Luft verboten, heut war ihr völlige Heilung verkündet und sie stand zum erstenmal im Hofe, das Antlitz zur Hälfte mit dem Schleiertuch bedeckt, welches nach dem Gebot des Paters die vernarbte Wange noch einige Zeit von der wehenden Luft scheiden sollte. Sie hielt eine Webe Leinwand an das Licht, prüfte die Fäden und maß an einem Stab die Länge, während zwei kleine Mädchen die rollenden Falten in ihren Schoß aufnahmen. »Es ist noch keine Herrenleinwand,« sagte sie in fröhlichem Eifer zu Gottfried, indem sie auf seinen stummen Gruß mit Kopfnicken antwortete, »denn der ehrwürdige Bischof wollte, daß wir zunächst für die Kinder arbeiten sollten. Denke, mein Bruder, jeder der Knaben soll zu seiner Wolljacke noch zwei Hemden und ein Paar Bundschuhe erhalten. Wie Söhne von Häuptlingen werden sie einhergehen, und das ist gut, damit sie jedermann achte, weil sie doch jetzt deine Schüler sind. Und dann sind noch Betten zu stopfen für Große und Kleine, und Inlett und Überzug zu nähen, und wir haben alle Hände voll zu tun, damit das Haus in Ordnung sei, wenn der kalte Winter kommt. Viele


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