Die Ahnen. Gustav Freytag

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Die Ahnen - Gustav Freytag


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doch war es weniger feindselig. Und Herr Bernheri hob wiederum an: »Gekränkt bin ich wie ihr alle, und wären meine Beine gesund und mein Sinn weniger gewitzigt, so würde ich vielleicht selbst den Streithengst besteigen; so aber mahnt mich die Erfahrung vieler Jahre und meine eigene Krankheit zur Vorsicht. Zuerst will ich euch verkünden, was unfehlbar geschehen wird, wenn wir gegen den Grafen rüsten. Dorfhäuser werden brennen und Männer erschlagen werden, und das Ende wird sein, daß er außer dem Raub, den er jetzt gepackt hat, sich noch größeren fordert wegen der Mühe und Kosten seiner Rüstung, und daß er uns mehr schädigt als wir ihn, denn das Kloster bedarf zum Gedeihen den Frieden, er aber den Krieg, und er vermag uns von unseren Gütern in Thüringen zu scheiden. Vor dem König aber wird er recht behalten und nicht wir, denn schwerlich hätte er seinen Vater in der Hölle geschaut, wenn er nicht wüßte, daß der König ihm bei den Wiesen gegen das Kloster helfen will. Darum, wie sehr ich den Grimm über seine Missetat fühle, bin ich dennoch gewillt, ihm diesmal ein wenig nachzugeben, vielleicht, daß er sich begnügt, das Land nur auf seine Lebenszeit zu behalten und bei seinem Tode dem Kloster zurückzugeben. Dies ist die Hoffnung welche uns bleibt, denn er ist ein angefressener Stamm, und mancher Wurm nagt in seinem Holze, auch ihn ängstigen zuweilen seine Missetaten jetzt und noch mehr in der Zukunft.«

      Unter hellem Geschrei der Mönche sprang Tutilo auf und rief dem Abt mit harter Stimme entgegen: »Jetzt erkennen die Brüder alle, in welchem Sinne du die Worte des Gebetes gerufen hast: ›Erlaß uns unsere Verpflichtung, wie auch wir sie erlassen unseren Verpflichteten‹, du selbst hoffst, daß du für dein eigenes Unrecht ein mildes Urteil empfangen wirst, weil du andere Verbrecher straflos dahinziehen läßt. Aber du sollst auch verstehen, was die Brüder gemeint haben, als sie laut riefen: ›Befreie uns von dem Argen‹, denn damit meinten sie nicht den Grafen Gerhard allein, sondern noch jemanden. Niemals hätte der Graf gewagt, Klostergut anzugreifen, wenn er nicht wüßte, daß solche, die zu Wächtern des Klosters gesetzt sind, selbst eigennützig mit dem Gut der Kirche schalten. Oft hast du das bewiesen; unter anderem auch neulich, als der fremde Händler starb, den wir in seiner letzten Krankheit ein Jahr lang gepflegt hatten. Denn bei seinem Tode verließ er dem heiligen Wigbert ein Kästchen mit edlen Steinen, die er aus Welschland gebracht hatte, und wir hofften, daß die Steine den Altären ein Schmuck werden sollten und außerdem vielleicht einmal jährlich den Brüdern ein frohes Liebesmahl verschaffen. Du aber hast die Steine an dich genommen und durch den Schmied in Becher schlagen lassen, die du selbst gebrauchen wirst oder auch ein anderer, wie es dir gefällt. Nicht als ein Vater, sondern als ein Tyrann herrschest du über die Gemeinde. Deinen Günstlingen gestattest du jede Unbill und dagegen versagst du den Brüdern auch die erlaubte Erquickung. So tatest du neulich, da du ein Verbot erließest, welches ich lächerlich und kindisch schelte, daß nämlich der Koch an den Fasttagen den Brüdern niemals Lebkuchen backen soll. Diese Speise war vielen eine heilsame Ergötzlichkeit, worauf sie sich durch die Woche freuten. Du aber hast dies aus Bosheit verwehrt, weil es ihnen lieb war. Antworte, wenn du vermagst, zuerst wegen der kleinen Dinge, denn noch Weiteres haben wir über dich zu klagen.«

      Dieser Angriff wurde durch starkes Gebrumm der Brüder bekräftigt. Da ihnen manche Speise versagt war, so hatte das Erlaubte für die meisten um so größeren Wert, und sie dachten und murmelten viel über Trunk und Kost. Und Tutilo wußte, daß sie wegen dem entzogenen Gebäck ihrem Abte stärker zürnten als wegen Ärgerem.

      Das Gesicht des Abtes rötete sich bei der Beschuldigung, und er rief: »Schweig mit deinen ungebührlichen Reden, sowohl aus Scham vor mir, als aus Furcht vor den Heiligen. Ganz ungehörig ist, was du an geweihter Stätte über das Pfeffergebäck vorbringst. Denn jeder Verständige wird mir recht geben, daß der Pfeffer, welchen sie hineintun, für Mönche allzu hitzig ist, und weil sie die Speise stark mit Honig würzen, schmeckt ihnen nachher jeder Wein sauer und sie ziehen bei ihrem Trunk ärgerliche Gesichter. Was aber den Schatz betrifft, so habe ich allein das Recht zu erwägen, wie er dem Kloster den größten Vorteil bringt. Die Becher habe ich zum Geschenk bestimmt für solche, an deren gutem Willen das Heil des Klosters hängt, und ich selbst traure, daß es nötig ist, durch Gaben zu sühnen, was deine Untreue verbrochen hat. Denn mit Empörern verhandelst du, und du verleitest die Brüder zur Untreue gegen Herrn Heinrich, unseren König. Aber allzu lange habe ich die Tücke deines Wesens ertragen, und ich bin entschlossen, mit dir zu verfahren, wie unser Vater, der Heilige Benedikt, gebietet, wenn ein Präpositus von dem bösen Geiste des Hochmuts aufgeblasen wird. Mehr als viermal habe ich dich mit Worten gemahnt, jetzt naht der Tag deiner Strafe; fügen sollst du dich, oder du wirst aus dem Kloster geworfen zu einer Warnung für die anderen. Die Pforte sperre ich dir auf, du magst auslaufen, wohin du willst, und die Toren, welche dir anhängen, mit dir.«

      Da erhob sich der Konvent in wilder Bewegung, die Bande der Zucht zerrissen in der Wut, welche die Seelen erfüllte. Dicht vor den heiligen Reliquien brach die Empörung aus, von ihren Sitzen sprangen die Mönche an die Stufen des Hochaltars mit heißen Gesichtern und glühenden Augen; starke Arme streckten sich und mißtönendes Geheul erfüllte die Kirche.

      Aber auch im Rücken der Streitenden klang lauter Ruf, und die eiserne Gittertür, welche den Vorhof vom Hauptschiff der Kirche trennte, krachte in ihren Angeln. Denn dort hinten drängte gewaltsam ein wilder Haufe mit Leibern und Stangen. Nur wenige von den Mönchen hörten auf den Lärm, der von außen kam, doch Rigbert lief durch die Kirche nach dem Eisengitter und schrie, sich mit ausgebreiteten Armen davorstellend: »Immo, Unseliger, was wagst du? Bist du des Lebens müde, daß du mit den Ungeweihten in die Klausur brichst?«

      »Wir sind nur müde vom Stehen und Harren«, rief Immo lustig hinein. »Meinst du, die Schule wird fernbleiben, wo die Mönche einander knuffen? Öffne die Tür, Rigbert, wenn du ein guter Genosse bist.«

      »Niemals, denn es wird euer Verderben. Was willst du in der Kirche?«

      »Schläge zu Ehren des heiligen Wigbert austeilen, wen es auch trifft. Wer ist in der Not?«

      »Sie bedrängen den Herrn Abt.«

      »Wie, das gute Weinfaß? Gesellen, wir helfen dem Abt!«

      Die Schüler riefen gellenden Kampfschrei, und wieder rasselten die Stangen an dem Tor, gegen welches sich der Mönch mit seinem Leib stemmte; da griff Immo behend durch das Gitter und schob den Riegel zurück. Die Tür flog auf, und die Schüler drangen herein; allen weit voraus sprang Immo dem Chore zu. Über den Rücken zweier Mönche, die er als Bock gebrauchte, flog er wie ein Federball vor den Altar und stand allein mitten unter den Tobenden, nahe dem Abt, der das schwere Kreuz vom Altar gehoben hatte und den Aufrührern entgegenhielt, während die Brüder seiner Partei wie eine Schar gescheuchter Hühner auseinandergeflattert waren und hinter dem Altar und den Stühlen Schutz suchten.

      »Hara!« rief der wilde Immo, »zu Hilfe dem Herrn Abt. Komm heran, Dekan Tutilo, damit ich dich lehre, deinem Abt den Fuß zu küssen.«

      Die Mönche wichen beim Anblick des Jünglings zurück, der mit drohender Gebärde einen Eisenstab schwingend vor ihnen stand. Der allgemeine Zorn wandte sich gegen den Einbrecher. »Hinaus mit dem Frevler!« schrien viele Stimmen. »Die Klausur ist gebrochen, geißelt den Missetäter!« Ein Mönch sprang hinter den Altar und riß die Geißel, welche dort für die Mönchbuße lag, aus dem Kasten; von Hand zu Hand ging die blutbesprengte, Tutilo packte sie und stürzte damit auf den Schüler los. Aber im Nu lag der starke Mann von einem Schlage getroffen am Boden, Immo hob die Geißel über ihn und rief: »Das sei dein Lohn, bellender Hund!« So schnell war die Tat, so unerwartet der Frevel und so wild schlug der trotzige Jüngling, dessen Kraft die Brüder wohl kannten, daß alle einen Augenblick starr standen und dem Getöse plötzliche Stille folgte. Aber gleich darauf erhob sich wieder das Getümmel und Geschrei: »Zu Boden mit dem Bösewicht, werft ihn in den Kerker, bindet ihn auf das Kreuz!« Während sich so die Anhänger des Tutilo zum Angriff anfeuerten und Immo mit flammenden Augen gegen sie die Stange hob, da geschah, was allen unerhört war: die beiden Alten Bertram und Sintram warfen sich zwischen den Haufen gegeneinander auf die Knie und baten zu gleicher Zeit und mit denselben Worten einer den anderen um Verzeihung. Denn als der Kampfzorn die Brüder ergriff und zwiespältig schied, da hatte sich zum erstenmal ereignet, daß die beiden nicht derselben Meinung waren, und Bertram hatte auf der Seite des Abtes, Sintram aber auf der des Tutilo die Faust geballt. Und als sie nun beide zu gleicher Zeit sahen, daß sie einander mit der drohenden Faust gegenüberstanden,


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