Münchhausen. Karl Immermann

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Münchhausen - Karl  Immermann


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auch sie sich jezuweilen durch ihn verwundet. In dem Glauben nämlich, ihr dadurch nur noch um so mehr zu gefallen, sprach er einige Male seine Meinung aus, daß nur das Weib ihren Empfindungen treu bleibe, bei dem Manne aber der Spruch gelte: »Aus den Augen, aus dem Sinne!« weshalb denn auf kein von diesen unbeständigen Wesen gegebnes Versprechen jemals zu rechnen sei. Er konnte freilich nicht wissen, wie ungestüm solche Aussprüche ihren Erwartungen entgegentraten. Sie pflegte darauf zu versetzen: »Herr von Münchhausen, Karls und Ihre Erscheinung widerlegt mir im Sinne höherer Ahnung zum voraus diesen Satz.« Wenn sie nun das sagte, verstand er sie wirklich nicht, und war auch nicht so dreist, es ihr zu versichern.

      Indessen gingen diese einzelnen Mißstimmungen immer bald in dem Gefühle der Hingebung und Begeisterung unter, welches Vater und Tochter ihm widmeten; ja sie dienten durch den Kontrast dazu, diesem Gefühle nur noch größere Leidenschaftlichkeit zu geben. Dagegen war der Schulmeister dem Freiherrn gegenüber in einer eignen Stimmung, die sich nur mit den Scherzbildern vergleichen ließ, welche von der einen Seite angesehen, ein lächelndes Gesicht, von der andern betrachtet, eine verdrießliche Fratze zeigen. Die Persönlichkeit Münchhausens nebst seinen Reden hatte nicht verfehlen können, auch auf den Schulmeister einen tiefen Eindruck zu machen; wir wissen, welche Aussichten für die Bestätigung seiner teuersten Überzeugungen auch er an diesen Mann des Schicksals knüpfte. Nun aber konnte er sich schon nicht mit der Darstellungsweise Münchhausens überall einverstanden erklären. Er war von seinem Elementarunterrichte her an Einfachheit gewohnt; er hatte den Knaben und Mädchen die Erschaffung der Welt, den Sündenfall, die Opferung Isaaks, und die Geschichte des keuschen Joseph, ohne Episoden einzumischen, immer schlicht heraberzählt. Der Freiherr aber, überwältigt von seinen Erinnerungen, überfüllt mit Bezügen, Rückblicken und Seitenblicken, schachtelte dermaßen Nebengeschichten in seine Hauptgeschichten ein, und verstieg sich oft in ein solches Labyrinth dabei, daß dem armen Schulmeister, welcher notgedrungen den Theseus in jenen Irrgängen spielen mußte, der Faden der Ariadne häufig aus den Händen schlüpfte. Außerdem hatte er zu bemerken, daß Münchhausen, der ihn für einen untergeordneten Mitesser ansah, wie er es denn in der Tat auch war, ihm keinesweges mit der gefälligen Aufmerksamkeit begegnete, wie dem alten Baron und dem Fräulein, ja sich sogar vergebens von ihm anmahnen ließ, die Wanderung der vertriebenen Spartaner nach dem Fürstentume Hechelkram urkundlich für ihn auseinanderzusetzen.

      Er war daher abwechselnd böse auf den Freiherrn, und hingerissen von ihm. So wahr ist es, daß jeder Prophet schon in seiner ersten Gemeine den Thomas findet, welcher ihm heute folgt, und ihn morgen verleugnet.

      An einem der Erzählabende sagte der alte Baron zu seinem Gaste: »Weiß Gott, daß ich nicht gern an Wunder glaube, und im Grunde auch der Meinung bin, die Natur sei ein Haus, worin man noch immer jeden Tag neue Zimmer und Kammern entdeckt, aber wenn ich bedenke, wie Ihr, liebster Münchhausen, uns dahergeschleudert wurdet, just, als wir, wie ich nun von Emerentien und dem Schulmeister herausgebracht habe, gleichzeitig nach einem Manne, wie Ihr seid, das allerlebhafteste Verlangen empfanden, und auf einen Schuß den dicken Sehnsuchtsseufzer hervorstießen — so weiß ich wahrhaftig nicht, ob dergleichen mit rechten Dingen zugehen kann.«

      »Und was wäre denn daran so wunderbar, wenn Sie, meine Freunde, mich herangeseufzt hätten?« rief Münchhausen. »Darüber sind wir denn doch nun wohl aufgeklärt, daß dem menschlichen Geiste, wenn er sich recht in einem Punkte konzentriert, ein gesteigertes Vermögen beiwohnt, wie denn z. B. Görres in einem überaus glaubwürdigen Buche, in seiner christlichen Mystik, erzählt, die heilige Katharina habe einmal wegen leichter Indisposition nicht kommunizieren können, und deshalb während der Altarhandlung in einer entfernten Ecke der Kirche gekniet; das habe aber gar nichts zu sagen gehabt, denn die Hostie sei über das ganze Schiff der Kirche hinweg ihr in den Mund geflogen.

      Nun sage ich immer: Was dem einen recht ist, muß dem andern billig sein. Können die Frommen sich das Venerabile von hundert und mehreren Schritten herbeibeten, so haben die Weltlichen, wenn sie nur ihr Verlangen auch energisch auf einen Punkt richten, gewiß ebenfalls die Macht, diesen Punkt, bestehe er nun in Geld, Frauen, Ehre, herbeizuziehn; und jede Partei kriegt auf solche Weise, was sie wünscht, die Frommen empfangen das eine, was not tut, die Weltlichen das andre, was hilft. Ich bin also überzeugt, daß Ihre drei Sehnsuchten meinem Mietpferde magische Schlingen um die Füße legten, die es in den Dornenweg entlängst der Gartenhecke zogen, und daß es dann vor der mystischen Gewalt Ihrer Seufzer scheute, solchergestalt aber durch die nachfolgenden Zwischenursachen hindurch mich zu Ihnen beförderte.«

      »Ja, Münchhausen«, rief der alte Baron, »Ihr seid gleichsam aus der Luft wie ein Donnerkeil unter uns geschlagen!«

      Münchhausen fuhr fort: »Wie käme es denn, wenn eine solche Macht des menschlichen Willens nicht bestände, daß so manches gute, schöne Mädchen sich mit dem häßlichsten, einfältigsten Tropfe vermählt? Der Tropf hat es sich einmal in den Kopf gesetzt, eine schöne Frau zu bekommen; er richtet sein ganzes Verlangen auf eine solche, und sie gibt ihm richtig ihre Hand, ohne selbst zu wissen, wie es zugegangen ist. Wieder ein anderer hat mehr Liebhaberei an Ehrenstellen und hohen Posten; er weiß nichts, gar nichts, er kann eigentlich keinem Schreiberdienste vorstehen, aber er ist ein Mann von »Gesinnung« d. h. nach der Auslegung, die wir Eingeweihten unter uns dem Worte geben; er besitzt die stärkste Intensivität des Sinns, sich und seinen Herrn Vettern alles mögliche Gute und noch etwas mehr zu verschaffen, überzeugt, daß, wenn es nur ihm und den Herrn Vettern wohl gehe, es auch mit dem Glücke des Landes wohl bestellt sei.

      Louis quatorze sagte: »l‘Etat, c‘est moi«. Wir haben nun gegenwärtig keinen Louis quatorze, aber eine Clique haben wir, eine schöne, vollständig organisierte Clique, mit Ober- und Untercliquiers von dauerhafter Gesinnung und die Clique sagt: »l‘Etat, c‘est la clique«.

      Mais, pour revenir à mes moutons: Ein Gesinnungsmann ohne Kenntnisse und Verstand wünscht sich in der Stille so lange mit solcher Inbrunst zum Statthalter oder Minister, bis er eines Tages, also brevetiert, aufsteht. Die Welt schreit von kleinen Intrigen, die gespielt worden seien; ach, Possen! sie sollte dafür sich einen Blick in große Naturgeheimnisse anzueignen suchen. Die mystische Kraft der Sehnsucht hat gewirkt, daß dem Gesinnungsmanne die Statthalterei in den Mund flog, wie...«

      »Eine gebratene Taube!« fiel der alte Baron ein.

      »Die Hostie der heiligen Katharina, nach Görres«; sagte Münchhausen. »Ich habe mir im Herzogtume Dünkelblasenheim einmal den Landesorden ersehnt; d. h. ich habe nicht sehnsuchtsvoll, wiewohl vergebens, danach geseufzt, sondern ihn realiter an meinen Rock herbeigesehnt. Der Herzog ist ein guter alter Mann, seine Bildung datiert noch von Gellerts Fabeln, darüber ist er nicht hinausgekommen, und in heiterer Rückerinnerung an dieses kindliche Lehrmittel hat er den Orden vom grünen Esel gestiftet, mit Komturen, Großkreuzen und Kleinkreuzen. Der Esel frißt in einer Umkränzung von Sternen Disteln, und die Ordensdevise lautet: »l‘appetit vient en mangeant«. Nun, nach diesem grünen Eselorden verlangte ich heftig, denn man war in Dünkelblasenheim kaum noch beim Wege angesehen, wenn man nicht zu den Eseln gehörte; so wurden die Ritter nach einer abkürzenden Redefigur benannt. Eines Morgens kommt mein damaliger Stiefelputzer Kalinsky vor mein Bette, hält mir den Frack, der in der Stube gehangen hatte, ausgespreitet unter die Augen und ruft: »Herr von Münchhausen, Sie sind über Nacht auch ein Esel geworden.« Ich sehe hin und erstaune denn doch ein wenig, denn richtig sitzt im dritten Knopfloch das changeante Band, und daran hängt das Kreuz mit dem Distelfreunde und der Devise. Ich springe aus dem Bette, erkundige mich im Hause, ob jemand sich habe einschleichen und den Spaß verüben können? Aber die Türe war die ganze Nacht über fest verschlossen gewesen, Kalinsky war der erste, der von außen kam.

      Der Orden ist da, wo aber stecken deine Verdienste? frage ich mich selbst. Hast du irgend Verdienste um Dünkelblasenheim? Ich prüfte auf das ernsteste mein Gewissen; ich löste die letztgedachte Hauptfrage in sechs Unterfragen auf:

* * * * * *

      Aber auf alle Fragen und Unterfragen mußte ich mir mit Nein! antworten. Ich hatte kein Verdienst, gar kein Verdienst, nicht das geringste Verdienst um jenen Staat. Um andere Staaten habe ich mir Verdienste erworben, aber nicht um Dünkelblasenheim. Ich lüge Ihnen nichts vor, mein Wahlspruch ist: »la vérité, toute la vérité, rien que la vérité.«

      Und


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