Münchhausen. Karl Immermann

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Münchhausen - Karl  Immermann


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nur auf die Schüssel, aus welcher sie mit ihren Löffeln die Speise zum Munde führten.

      Nachdem sie aber abgegessen und sich die Mäuler gewischt hatten, trat eines nach dem andern vor den Herrn und sagte: »Baas, meinen Spruch.« — Der Hofschulze teilte hierauf jedem eine sprichwörtliche Redensart oder eine Bibelstelle mit. So sagte er zum ersten Knechte, einem rothaarigen Kerl: »Jach sein zum Hader, zündet Feuer an, und jach sein zu zanken, vergießt Blut«; zum zweiten, einem dicken, langsamen Menschen: »Gehe hin zur Ameise, du Fauler, sieh ihre Weise an und lerne«; zum dritten, einem kleinen schwarzäugichten verwegen blickenden Gesellen: »Besser ein Sperling in der Hand, als ein Reiher auf dem Dache.« — Die erste Magd empfing den Spruch: »Hast du Vieh, so warte sein, und trägt dir‘s Nutzen, so behalte es«; und zur zweiten sagte er: »Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt endlich an die Sonnen.«

      Nachdem jeder auf solche Weise bedacht worden war, gingen alle zu ihren Arbeiten, der eine gleichgültig, der andere betroffen aussehend. Die zweite Magd war von ihrem Spruche blutrot geworden. Der Jäger, welcher allgemach den ortsüblichen Dialekt verstehen lernte, hatte diesem Unterrichte mit Erstaunen zugehört und fragte nach dessen Beendigung, was er bezwecke?

      »Daß sie darüber nachdenken«, sagte der Hofschulze. »Wenn sie heute abend hier wieder zusammenkommen, so sagen sie mir, was sie sich bei den Sprüchen gedacht haben. Die meiste Arbeit auf dem Lande ist der Art, daß die Leute nebenbei noch allerhand Gedanken haben können, und da fallen ihnen denn alle die schlechten Sachen ein, die hernachmals in Liederlichkeit, Lug und Trug ausbrechen. Beim Pferdefüttern denken sie, wie sie Hafer auf die Seite bringen können, und wenn die Magd die Kuh melkt, so steht ihr immer der Liebste vor Augen. Kriegt aber der Mensch so einen Spruch auf zu raten, so ruht er nicht ehender, als bis er die Moral davon heraus hat, und derweile ist die Zeit vergangen, ohne daß ihm etwas Übles in den Sinn kam.«

      »Ihr seid ja ein wahrer Weltweiser und Priester!« rief der Jäger, dessen Verwunderung hier mit jedem Augenblicke zunahm.

      »Es läßt sich viel mit dem Menschen ausrichten, wenn man ihm die Moral beibringt«, sagte der Hofschulze bedächtig. »Die Moral steckt aber in kurzen Sprüchen besser, als in langen Reden und Predigten. Meine Leute halten sich viel länger, seitdem ich auf die Moral verfallen bin. Freilich das ganze Jahr hindurch geht es mit den Sprüchen nicht; während der Bestellzeit und in der Ernte hört alles Nachdenken auf. Dann tut es aber auch nicht not, denn sie haben zu Schlechtigkeiten keine Zeit.«

      »Ihr macht also förmliche Abschnitte in Eurem Unterrichte?« fragte der Jäger.

      »Bei Winterszeit gehen die Sprüche gemeiniglich nach dem Dreschen an und dauern bis zum Säen«, versetzte der Hofschulze. »Im Sommer aber werden sie von Walpurgis bis gegen die Hundstage zugeteilt. Das sind die Zeiten, wo es bei dem Bauer am wenigsten zu verrichten gibt.«

      Der Jäger erkundigte sich, was für eine Bewandtnis es mit dem Rotwerden des einen Mädchens gehabt habe, und erhielt darauf folgende Antwort: »Die hat etwas auf dem Gewissen, und in solchen Fällen ist es meine Manier, einen Spruch anzubringen, woraus das räudige Schaf sieht, daß ich um den Fehler weiß. Wir wollen abwarten, ob er bis heute abend gewirkt haben wird.«

      Er ließ den jungen Mann allein, und dieser sah sich in Haus, Hof, Baumgarten und Wiesen um. Mehrere Stunden brachte er in dieser Beschauung zu, da jedes einzelne ihn anzog. Die ländliche Stille, das Wiesengrün, die Wohlhabenheit, die aus dem ganzen Hofe ihm entgegenstrotzte, machte den angenehmsten Eindruck auf ihn und regte in ihm den Wunsch an, lieber in so weiter Naturfreiheit, als in den engen Gassen einer kleinen Stadt die acht oder vierzehn Tage zuzubringen, welche bis zum Empfange der Nachrichten vom alten Jochem verstreichen konnten. Da er sein Herz auf der Zunge trug, so ging er auf der Stelle zu dem Hofschulzen, der im Eichenkampe ein paar Bäume zum Fällen anschlug, und sprach sein Begehr aus. Er erbot sich dagegen zu allem, worin er seinem Wirte nützlich werden könne.

      Die Schönheit ist eine gar gute Mitgift. Sie ist ein Schlüssel, der wie jener kleine goldne, sieben Schlösser, von denen keins dem andern ähnlich sah, zauberisch öffnet. Ein Paß ist sie, auf den der Träger, ohne daß in den Nachtquartieren Visas genommen zu werden brauchen, frei durch alle Welt geht; in Romanen und Novellen spannt sich die Schönheit über alle Klüfte und Abgründe der Unwahrscheinlichkeit hinweg, wie die siebenfarbige Brücke der Iris.

      Wäre der Jäger nicht so schön gewesen, was für weitläuftige Motive hätte ich ersinnen und erspinnen müssen, um den Hofschulzen zur Gewährung des Quartiers an ihn willig zu machen! So jedoch brauche ich nur zu sagen, daß der Alte die schlanke und doch kräftige Gestalt, das ehrliche und dabei vornehm-prächtige Antlitz des Jünglings eine Zeitlang betrachtete, erst zwar nachhaltig den Kopf schüttelte, dann aber freundlich werdend nickte und zuletzt ihm seine Bitte erfüllte. Er wies dem Jäger ein Eckstübchen im obern Stocke des Hauses an, von wo man nach der einen Seite über den Eichenkamp nach den Hügeln und Bergen, nach der andern über weite Wiesenflächen und Kornfelder sah.

      Freilich mußte der Gast anstatt des Mietzinses die Erfüllung einer sonderbaren Bedingung versprechen. Denn der Hofschulze ließ auch der Schönheit nicht gern etwas ganz unentgeltlich zufließen.

      Fünftes Kapitel

Der Jäger verdingt sich zum Wildschützen, und des Abends erzählen Knechte und Mägde die Ergebnisse ihres Nachdenkens über die moralischen Sprüche

      Er fragte nämlich den jungen Mann, ehe und bevor er ihm Quartier zusagte, ob er, wie sein grüner Anzug, das Gewehr und die Weidtasche zu lehren scheine, ein Liebhaber von der Jagd sei? Jener erwiderte darauf, daß, solange er denken könne, er mit Leidenschaft, ja mit einer wahren Raserei gepirscht habe, wobei er denn freilich verschwieg, daß durch sein Pulver und Blei außer einem Sperlinge, einer Krähe und einer Katze noch kein Gottesgeschöpf vom Leben zum Tode gebracht worden war. Wirklich verhielt es sich so. Er konnte nicht leben, ohne nicht des Tages einige Male geknallt zu haben, schoß aber regelmäßig vorbei und hatte nur in seinem achtzehnten Jahre einen Sperling, in seinem zwanzigsten eine Krähe, in seinem vierundzwanzigsten eine Katze erlegt; das war alles. Ein sonderbares Ereignis vor seiner Geburt mochte ihm die bei so wenigen Erfolgen sonst unbegreifliche Neigung, wie ein Mal, aufgedrückt haben. Wenigstens hielt er selbst dafür, daß aus dieser Signatur der Hang abzuleiten sei, über den er in besonnenen Stunden höchst verdrießlich werden konnte.

      Nachdem der Hofschulze die bejahende Antwort des Gastes empfangen hatte, rückte er mit seinem Antrage hervor, welcher dahin ging, daß der Jäger täglich ein paar Stunden gegen das Wild im Felde liegen solle, welches seinen Kornbreiten, besonders den die Hügel hinansteigenden manchen Schaden zufüge. »Dort in den Bergen«, sagte der alte Bauer, »sind die großen Jagden der Edelleute; die Kreaturen haben mir schon in den vergangenen Jahren Saat genug abgeatzt und daniedergewälzt, aber in diesem ist es erst recht schlimm geworden, denn der junge Graf drüben ist auch ein scharfer Jäger und hat seinen Wildstand vermehrt, so daß die Hirsche und Rehe wie die Schafe aus dem Walde treten und mein‘ Mühe und Schweiß verruinieren. Ich verstehe mich nicht auf die Sache und den Knechten mag ich es nicht gerne erlauben, weil sie unter dem Vorwande, sich auf den Anstand zu stellen, mir leicht unordentlich werden können, darum haben die Bestien mitunter gewirtschaftet, daß sich einem das Herz im Leibe umwenden mußte. Nun kommen Sie mir gerade zupaß, und wenn Sie mir diese vierzehn Tage bis zur Ernte die Höllenteufel aus dem Korne halten, so sollen Sie damit Ihr Quartier bezahlt haben.«

      »Was? Ich ein Wildschütz? Ich ein Wilddieb?« rief der junge Mann und lachte so herzlich und schallend auf, daß er den Hofschulzen ansteckte. Noch lachend strich dieser über das feine Tuch, aus welchem die Kleidung seines Gastes gemacht war, und sagte: »Eben darum, weil es bei Ihnen wohl keine sonderliche Gefahr haben wird, wenn Sie auch attrapiert werden. Sie werden sich schon eher loszumachen wissen, als so ein armer Knecht. Die Fliegen fangen sich in den Spinnweben, die Wespen schlüpfen durch. Doch was ist das überhaupt ein Verbrechen, sein Eigentum gegen die Ungetüme, die es fressen und zugrunde richten, zu verdefendieren!« rief er, indem plötzlich der lachende Ausdruck seines Gesichts in den des loderndsten Zornes überging. Die Stirnadern schwollen ihm an, das Blut trat dunkelrot in seine Wangen, die Augäpfel verloren ihr Weißes und wurden rötlich; man hätte vor dem Alten erschrecken


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