Tausend Und Eine Nacht. Gustav Weil
Читать онлайн книгу.mitten im Zimmer hingestreckt. Neben dem Haupte eines jeden blieb ein Sklave mit gezogenem Schwerte stehen und sagte zur Hausherrin: »O erhabene Gebieterin und mächtige Herrin, du darfst nur ein Zeichen geben und ihre Köpfe fallen.« »Wartet noch«, erwiderte diese, »ich will zuerst sie fragen, wer sie sind.« Da schluchzte der Träger und rief: »O meine erhabene Gebieterin, laß mich nicht die Schuld anderer büßen, alle haben unrecht gehandelt, nur ich nicht! wie schön war unser Tag, ehe diese Kalender gekommen, die, sobald sie in eine Stadt eingezogen, so viel Unheil stiften, bis sie verwüstet ist.« Dann setzte er auch noch weinend folgende Verse hinzu:
»Wie hoch ziert den Mächtigen die Nachsicht, besonders, wenn sein Feind hilflos ist; bei der heiligen Freundschaft, die zwischen uns bestand, laßt den Ersten nicht um des Letzten willen sterben.«D. h. den Lastträger, wegen des Ungestüms des zuletzt gekommenen Kalifen.
Die Wirtin mußte, so aufgebracht sie war, doch lachen und wandte sich dann zu den übrigen Gästen und sprach: »Saget mir, wer ihr seid, ihr habt nur noch kurze Zeit zu leben, wenn ihr nicht dartut, daß ihr vornehmen Standes, hohe Richter oder Häupter eures Volkes seid, sonst habt ihr wahrlich zu viel gegen uns gewagt.« Als der Kalif dies hörte, sagte er. »Djafar entdecke ihr eilig, wer wir sind, sie möchte uns sonst aus Unkenntnis umbringen lassen.« Djafar erwiderte hierauf: »Du hättest dies wohl zum Teile verdient.« Der Kalif sagte ihm zornig: »Es ist jetzt keine Zeit, dich über mich lustig zu machen.« Indessen fragte die Wirtin die Kalender, ob sie Brüder seien. Diese antworteten: »Nein, wir sind weder Brüder noch arme Derwische.« »Bist du halbblind geboren?« fragte sie den einen. »Nein bei Gott«, erwiderte er, »in meinem Leben haben sich so außerordentliche Begebenheiten ereignet, daß, wenn sie mit einer Nadel in das hohle Auge gestochen wären, sich ein jeder daraus belehren könnte; erst später verlor ich ein Auge, dann ließ ich meinen Bart abschneiden und wurde Kalender.« Nachdem die Wirtin, welche einen jeden der Kalender dasselbe gefragt, von jedem dieselbe Antwort erhielt und der letzte noch hinzusetze, jeder von ihnen sei aus einer anderen Stadt, Sohn eines Königs und selbst Regent, da sagte die Wirtin den Sklaven: »Verschonet den, der mir seine Lebensgeschichte und den Grund, warum er hierhergekommen, erzählt, und bringet denjenigen um, der dies zu tun sich weigert.«
Die Reihe kam zuerst an den Träger, der die Wirtin auf folgende Weise anredete: »Du weißt wohl, meine Gebieterin, daß ich ein Lastträger bin, deine Wirtschafterin hieß mich ihr folgen. Ich ging mit ihr zum Weinhändler, dann zum Metzger, dann zum Obsthändler, von diesem zu einem, der trockene Früchte verkauft, endlich zum Zuckerbäcker und Spezereihändler, dann kam ich hierher und somit wäre meine ganze Geschichte zu Ende.« Die Wirtin lachte und sagte ihm: »Dein Leben sei dir geschenkt, du kannst gehen;« er aber wünschte, noch da zu bleiben, um die Erzählungen der übrigen Gäste zu hören.
Geschichte des ersten Kalenders
Nun nahm der erste Kalender das Wort und sprach: »Wisse, o meine Gebieterin, folgendes ist der Grund, warum ich ein Auge und meinen Bart verloren: Mein Vater und mein Oheim waren beide Könige: letzterer hatte einen Sohn und eine Tochter. Als ich groß geworden, besuchte ich zuweilen meinen Oheim und brachte oft bei ihm mehrere Monate zu, denn es bestand das freundschaftlichste Verhältnis zwischen mir und meinem Vetter. Bei einem dieser Besuche erfuhr ich von meinem Vetter die allergrößten Ehrenbezeugungen; er lud mich zu Gast, ließ Schafe schlachten und klaren Wein dazu bringen. Nachdem wir ziemlich viel getrunken hatten, sagte er zu mir: »Ich arbeite schon ein ganzes Jahr an etwas, womit ich dich nun bekannt machen will, du darfst aber nicht weiter davon mit mir sprechen; willst du dies beschwören?« Als ich geschworen hatte, verließ er mich einige Augenblicke, erschien dann wieder mit einer Frau in reicher Kleidung, mit herrlichem Kopfputz und die feinsten Wohlgerüche verbreitend, so daß ihr Anblick uns noch mehr als der genossene Wein berauschte. Nachdem wir eine Weile noch zusammen getrunken hatten, bat er mich, mit dieser Frau nach einem mir wohlbekannten Denkmal, das er mir genau beschrieb, zu gehen. Ich mußte, meinem Eid gemäß, tun, wie er gesagt, und durfte nicht einmal fragen, was daraus werden sollte. Wir hatten kaum das Grab mit der Kuppel erreicht und uns daselbst niedergelassen, da kam mein Vetter mit einem Töpfchen Wasser, mit einem Säckchen Gips und mit einer eisernen Hacke. Er öffnete das Grab mit der eisernen Hacke, legte die weggebrochenen Steine auf die Seite der über dem Grab sich erhebenden Kuppel, grub dann mit der Hacke den Boden des Grabes auf, bis er auf eine äußere Platte stieß, so breit und so lang, wie die Tür des Grabes. Diese hob er weg und man sah darunter eine Treppe; er winkte dann der Frau und sagte ihr: »Komm hierher, hier findest du, was du wünschst.« Die Frau ging hinunter und verschwand vor meinen Augen. Er wandte sich dann zu mir und sagte: »Nun erzeige mir den letzten Gefallen und schließe das Grab hinter uns.«
Als ich, fuhr der erste Kalender fort, immer noch berauscht, so wie mein Freund befohlen, das Grab bedeckt hatte, ging ich nach meines Oheims Hause, der damals auf der Jagd war, zurück und schlief bald ein. Des anderen Morgens überdachte ich alles, was am vorhergehenden Tage sich zugetragen, fand es aber so außerordentlich, daß ich glaubte, geträumt zu haben. Da aber, als ich nach meinem Vetter fragte, niemand mir zu sagen wußte, was aus ihm geworden, ging ich nach dem Begräbnisort und suchte die Kuppel, konnte sie aber nicht finden, obwohl ich ein Grab nach dem anderen durchwanderte, bis mich endlich die Nacht überfiel. Nun wurde ich immer mehr um meinen Vetter besorgt, denn ich wußte ja nicht, wohin die Treppe unter dem Grab führte; immer glaubte ich noch, das ganze sei nur ein Traum gewesen. Ich ging wieder nach Hause, aß ein wenig, denn ich hatte den ganzen Tag weder an Essen noch Trinken gedacht, und legte mich zur Ruhe. Ich brachte die folgenden vier Tage auf dieselbe Weise zu und suchte beständig jene mir bekannte Kuppel und konnte sie nicht finden. Ich wurde so melancholisch und trüb gestimmt, daß ich wohl wahnsinnig geworden wäre, wenn ich nicht den Entschluß gefaßt hätte, nach meiner Heimat zu meinem Vater zurückzukehren. Ich hatte aber kaum die Stadttore meines Wohnorts erreicht, da fiel man mit Knüppeln über mich her, legte mich in Ketten und schleppte mich hinweg. Als ich mich nach der Ursache dieser grausamen Behandlung erkundigte, sagte man mir, der Vezier habe gegen meinen Vater sich empört und die ganze Armee gewonnen, meinen Vater ermordet, selbst den Thron bestiegen und sogleich Befehle erteilt, mir aufzulauern und mich festzunehmen. Wie ich dies hörte, fiel ich bewußtlos nieder, und als ich wieder zu mir kam, stand ich vor dem Vezier, der schon längst mein Feind war; denn da ich von Kindheit an ein großer Freund vom Bogenschießen war und einst von der Terrasse meines Schlosses einen Vogel, der sich auf dem Dach niedergelassen, schießen wollte, kam er zufällig dazwischen, und der Pfeil, statt den Vogel zu töten, verletzte ihm ein Auge. Ich war ihm daher kaum gegenübergestellt, da riß er mir ein Auge mit seinen eigenen Händen aus, so daß es über meine Wangen herunter auslief, und seitdem bin ich halbblind. Nachdem dieses geschehen war, ließ er mich binden und in eine Kiste sperren; dann sagte er dem Henker meines Vaters: »Gürte dein Schwert um, besteige dein Pferd, nimm diesen Menschen mit in die Wüste, daß wilde Tiere und Raubvögel sein Fleisch verzehren.« Der Henker tat, wie ihm befohlen worden; er ritt mit mir fort, und als wir mitten in der Wüste waren, stieg er vom Pferde ab, zog mich aus der Kiste heraus und wollte mich töten; da fing ich an heftig zu weinen und folgendes Klagelied zu singen:
»Ich nahm euch als Harnisch und Schild, damit ihr meiner Feinde Pfeile von mir abhalten solltet, aber ihr wurdet selbst zu deren Spitzen. Ich hoffte, daß ihr jedes Unheil von mir entfernen werdet, nun bin ich zufrieden, wenn ihr nicht selbst mich ins Verderben stürzt.«
Als der Henker meine Klagen hörte und meine Tränen sah, ward er gerührt und entschloß sich, mich leben zu lassen. »Rette dich so schnell du kannst«, sagte er mir, »komme nie mehr in dieses Land, sonst kostet es mein und dein Leben, erinnere dich der Verse eines Dichters:
»Fürchtest du eine Gewalttat, so suche dein Leben zu retten; lasse dein Haus das Schicksal seines Erbauers verkünden! denn leicht kannst du ein Land mit dem anderen vertauschen, für dein Leben gibt‘s aber kein zweites.«
Ich küßte vor Freude dem Henker die Hand, denn ich hatte alle Hoffnung zu meiner Rettung verloren; nun, da mir das Leben geschenkt wurde, verschmerzte ich leicht das verlorene Auge. Ich machte mich sodann auf den Weg und reiste wieder zu meinem Oheim. Als ich ihm meine und meines Vaters Geschichte erzählt hatte, erwiderte er: »Auch ich habe der Leiden genug, denn mein Sohn ist verschwunden, niemand kann mir sagen, was aus ihm geworden ist.« Dabei weinte er so heftig,