Der Ochsenkrieg. Ludwig Ganghofer

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Der Ochsenkrieg - Ludwig  Ganghofer


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Hirtin hatte richtig prophezeit: Nicht nur die Augen, auch die Hände wurden ihm nötig. Bald lachte er, bald schalt er wieder, wenn er bei einem Sprung daneben trat, und immer warf er einen Blick nach der Hirtin, wie in Sorge, ihr spottendes Lachen hören zu müssen. Aber sie wandte keinen Blick nach ihm, sie sprang und sprang, wobei die Eisenbügel des Sattels leise klirrten, und kümmerte sich nimmer um den Weglosen, den zu führen sie gekommen war.

      Moorle, auf seiner kleinen Insel, betrachtete diesen Vorgang mit wachsendem Erstaunen. Er streckte den Hals und wurde ungeduldig. Und als er die Hirtin neben seinem Herrn, der das schlanke Mädchen noch um einen halben Kopf überragte, auf den schönen, grünen Almboden treten sah, stieß er ein Gewieher aus und machte einen verzweifelten Sprung. Bis an die Schultern versank er, schlug und arbeitete, kam in die Höhe, tauchte wieder hinunter, fand eine hilfreiche Insel, zögerte und ließ sein Wiehern klingen, hörte den sorgenvollen Lockruf seines Herrn und machte rasende Sprünge. Und als der Rappe den sicheren Almboden erreichte, bis über den Hals herauf in einen Eisenschimmel verwandelt, begann er wie in bewußter Rettungsfreude ein so irrsinniges Umhertollen, daß die Kühe, Kalben und Ochsen vor Schreck mit gehobenen Schwänzen unter rasselndem Schellenklang davonrannten. Moorles junger Herr begann bei diesem Bilde heiter zu lachen. Auch den strengen Mund der Hirtin kräuselte ein Lächeln. Die Kühe, die vor dem lebensfreudigen Moorle Angst bekamen, liefen ihr zu, und während sie den Weg zur Hütte nahm, war die halbe Herde des Ahnfeldes um sie herum, ein dicker Kranz von fetten Rücken und gehörnten Wackelköpfen.

      Da tauchte hinter einem Steinhügel eine kleine, verkrüppelte Menschengestalt auf. Ein Knabe? Oder ein Greis? Das Gesicht war blaß und runzlig, aber die Augen waren jung — es waren die gleichen blauen Augen, wie sie in dem strengen, sonnverbrannten Gesicht der Hirtin glänzten. Arme und Beine waren mager und kurz, der von schwarzen Haarsträhnen umhangene Kopf saß tief zwischen hohen Schultern, und der Rücken war zu einer häßlichen Krümmung entstellt. Doch dieser Krüppel war besser gekleidet, als sich die Bauernsöhne in den Tälern drunten zu tragen pflegten; fast sah er aus wie ein verzärteltes Herrenkind, das man durch schmuckes Gewand für die Mißgestalt seiner Glieder entschädigen wollte. In der einen Hand hielt er ein kurzes, gebogenes Messer, in der andern ein Stück weißen Lindenholzes, aus dem eine fliegende Schwalbe halb herausgeschnitten war.

      Die Hirtin ging mit dem Sattel auf eine hölzerne Hütte zu und machte dem Krüppel, der sich hinter einem Felsblock verbergen wollte, rasche Zeichen mit der Hand. Er schien zu verstehen, schien ruhiger zu werden, nickte, sah hinüber, wo der Fremde stand, und schnitt von dem Lindenholz einen Span herunter. Dann legte er Holz und Messer auf einen Fels, näherte sich mit gaukelndem Säbelgang dem fremden Jüngling und begann, ihm, ohne ein Wort zu sagen, mit der Spankante den grauen Schlamm von den Kleidern herunterzuschaben.

      Der Fremde ließ sich das eine Weile lachend gefallen. Dann fragte er: »Wer bist du?« Und weil er keine Antwort bekam, faßte er den Krüppel an der Schulter. »Du! Red doch ein Wort! Wer bist du?«

      Das Gesicht erhebend, lallte der Krüppel mit schwerer Zunge ein paar sinnlose Laute und machte mit dem graugewordenen Span ein Zeichen gegen Mund und Ohr. Dann fing er wieder zu schaben an.

      Ein Taubstummer?

      Schweigend betrachtete der Fremde den kleinen, fleißigen Kobold, und weil er an ihm diese blauen Augen sah, wandte er in fragendem Verwundern das Gesicht zur Hütte hinüber.

      Da drüben stand die Hirtin und reinigte am Brunnentrog den Sattel und das Riemenzeug. Dann ging sie auf den grasenden Moorle zu, streckte die Hand und lockte mit leisen Lauten. Das Pferd streckte den Hals und schnupperte, ließ sich an der Mähne fassen, folgte der Hirtin willig zum Brunnentrog und hielt verständig unter den Wassergüssen aus, mit denen ihm die Hirtin den Schlamm von Leib und Gliedern spülte. Und ließ sich trocknen mit einem Tuche, ließ sich satteln und zäumen.

      Die Hirtin schien die Tiere liebzuhaben, auch dieses fremde. Unter leisem Schwatzen faßte sie den Moorle an der Schnauze, und in ihrem stillen, strengen Gesicht erwachte eine warme Herzlichkeit, während sie dem Pferd die Nüstern streichelte und ihm die Büschel des dicken Stirnhaars aus den Augen strich. Dann hängte sie die Zügel über den Brunnenstock, gab dem Pferd einen leichten, zärtlichen Schlag auf den schwarzglänzenden Hals und trat in die Hütte.

      Moorle sah der Hirtin nach und wieherte.

      Sie kam aus der Türe, zwischen den Händen eine hölzerne Schale, die mit Milch gefüllt war, und ging zu der Stelle hinüber, wo der Fremde sich schaben ließ. Bei seinem Anblick mußte sie ein bißchen schmunzeln. Aber dieses leichte Gekräusel ihrer Lippen war schon wieder verschwunden, als sie die Milchschale auf eine Steinplatte stellte mit den Worten: »Wenn dich dürsten tät?« Sie deutete gegen das Waldtal hinunter. »Dort geht der Karrenweg. Da kannst du nimmer fehlen. Jetzt muß ich zur Arbeit. Gottes Gruß!«

      Sie wollte gehen.

      »Du!« sagte er mit raschem Laut.

      Ruhig wandte sie das Gesicht.

      »Laß dir Vergeltsgott sagen für alle Treuung an mir und meinem Gaul.«

      »Ist gern geschehen. In der Einöd müssen die Leut einander helfen. Wo viel beinander sind, müßten sie’s auch. Aber da tun sie’s nit. Und keifen und beißen wie die hungrigen Hund bei der Schüssel.«

      Er sah sie mit wachsendem Staunen an. Diese seltsamen Worte! Aus dem Mund einer Zweiundzwanzigjährigen! Aber es war in diesen Worten weder Groll noch Bitterkeit. Ganz ruhig hatte sie das gesagt. Und wieder, weil sie gehen wollte, rief er hastig: »Du!« Er hätte noch gern geschwatzt mit ihr. In diese blauen, ruhigen Augen war ein gutes Schauen.

      Sie lächelte ein wenig. »Jetzt muß ich schaffen.«

      »Da muß ich dich gehen lassen, freilich. Man wär bei dir gut aufgehoben. Der arme, kranke Bub da, der ist wohl bei dir in Pfleg?«

      Die Hirtin schüttelte den Kopf, während sie mit einem Blick voll heißer Liebe an dem Krüppel hing. »Das ist mein Bruder.« Dann ging sie davon.

      Er blickte auf den eifrig schabenden Krüppel hinunter und sah der Hirtin nach. Wie ist das möglich? Daß aus dem Schoß der gleichen Mutter solch eine Mißform ins Leben fallen kann? Und solch ein festes, helles und aufrechtes Menschenkind?

      Freundlich fuhr seine Hand über das Schwarzhaar des Krüppels hin. Er schob den Buben, der immer noch zu schaben hatte, von sich fort und ging, mit einem violetten und einem grauen Bein, zu der hölzernen Milchschale hinüber, tat den Trank eines Durstigen und legte eine Silbermünze neben die Schale. Der Krüppel lallte einen zornigen Laut, griff nach der Münze, schob sie in die Gürteltasche des Fremden und säbelte mit den kurzen Beinen zu dem Stein hinüber, auf dem sein Messer neben der geschnitzten Schwalbe lag.

      »Guck nur, wie stolz!« Es war wie Ärger in diesen Worten. Das lange, lichte Braunhaar aus dem erhitzten Gesicht schüttelnd, schritt der Fremde zum Brunnen hinüber und stieg in den Sattel. Moorle benahm sich ein bißchen ungebärdig, mußte aber flink dieser kräftigen Faust und dem Druck dieser festen Schenkel gehorchen.

      Bei der Hütte bückte sich der Reiter, um durch die Türe schauen zu können. Er sah einen Raum, in dessen Zwielicht eine versinkende Flamme flackerte. Seine Augen suchten, während er weiterritt. Er gewahrte die Hirtin auf dem höheren Almgehänge. Mit dem kupfernen Milchzuber und einem dreibeinigen Stühlchen ging sie einer aus plumpen Steinen aufgeschichteten Stallung zu. Viele Stücke der Herde trabten ihr mit heiseren Schellen nach. Und aus dem ganzen Almfeld, von überall, zogen die Kühe mit Gebrüll und Schellengerassel dem Steinbau entgegen, zu dem die Hirtin wanderte.

      Während Moorle vorsichtig über den groben, steilen Weg hinunterkletterte, wandte der Reiter immer wieder das Gesicht.

      Nun nahm der Wald ihn auf. —

      Als er beim Taubensee das offene Feld erreichte, fing der Abend zu dämmern an. In einem gezäunten Wiesgarten war ein Bauer mit seinem Weib dabei, das Gras zu mähen. Der Reiter verhielt den Gaul. »Bauer! Komm her da!«

      Die Sense flog ins Gras, der Bauer sprang, und sein Weib fing in dunkler Sorge zu bangen an. Wenn ein Herr befahl, das war für einen Bauern immer ein übel Ding.


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