Der letzte Zentaur. PAUL HEYSE
Читать онлайн книгу.Ecken und Kanten nicht fehlte, hatte die weiblich zarte Hülle vor der Zeit sich zerrieben. Denn außer dem Schmerz, in einer Epoche zu leben, die in der Kunst ganz andere Götter verehrte, als die ihm die wahren schienen, drückte auf ihn der Lebenskummer um die gefesselte und geknechtete Heimat, deren Befreiung und Heimkehr zu den deutschen Stammesgenossen er nicht mehr erleben sollte. Auch ihn, wie Genelli, habe ich nie klagen hören, wohl aber zürnen und spotten hören, wobei dann seine sanften blauen Augen unter der weißen, von blondem Haar überwallten Stirn seltsam leuchteten wie vom Widerschein seiner stählernen Seele. An Genelli hat er in dessen sorgenvollster Zeit mehr getan als irgend ein anderer seiner Freunde; er war es auch, der ihm in Baron Schack den hilfreichen Gönner und Freund zuführte und die Bestellung seines Raubes der Europa vermittelte, wodurch dem Einsamen auf der Schwelle des Alters noch einmal die Genugtuung wurde, sein bestes Wollen und Können in einer Reihe großer Schöpfungen auszusprechen, freilich nicht ganz ohne Spuren der langen Vereinsamung, in der er seine kraftvollsten Jahre hingefristet hatte.
Soll ich die anderen noch aufzählen, die Jüngeren, die sich an jenen Abenden um den Meister scharten? Sie leben und schaffen noch, und nicht alle sind dem Bekenntnis jener stillen Gemeinde treugeblieben, deren Stolz es war, eine ecclesia pressa zu sein und allem schwächlich dürren und seelenlosen Unwesen des modernen künstlerischen Rationalismus den Rücken zu kehren. Einer aber, der es äußerlich am weitesten gebracht und die Genußkraft des alten Heidentums nicht bloß darum besaß, um desto schmerzlicher zu entbehren, sondern in vollen Zügen Lebensfreuden schlürfte, Karl Rahl, — auch er ist schon zu jener stillen Schar versammelt, die er auf Erden nur dann und wann besuchte, aus Italien oder von Wien herüberreisend, um dem alten Freunde die Hand zu schütteln und ein paar Tage aus dem vollen mit ihm zu leben.
Ich sehe ihn noch, wie er bei einem dieser Besuche auch abends zu Schimon kam und alle, die ihn noch nicht kannten in Erstaunen setzte durch die unerhörten Massen Fleisches, die er ruhig, ohne viel Aufhebens von seinem Appetit oder der Zubereitung zu machen, rein zur Stillung des dringendsten Bedürfnisses zu sich nahm. Er hatte etwas vom Löwen, der mit gleicher Würde und Kraft, ohne Gier und Feinschmeckerei seine Kost zermalmt. Da begreift man, sagte der Kunstkritiker mir ins Ohr, daß das Fleischmalen seine Force ist, bei solchen Naturstudien! — Aber als er dann satt war und sich nun in die Unterhaltung mischte, konnte man merken, daß der Leib sich nicht auf Kosten des Geistes so heroisch nährte. Denn unmerklich ohne rhetorische Künste, mit der unscheinbaren Gewalt eines reichen Wissens und eines hellen Verstandes, der allen Ideenstoff sofort in Saft und Blut verwandelte, fing er an das Gespräch zu beherrschen, daß wir alle an seinen Lippen hingen, während es von der kahlen Stirn des geistreichen Satyrgesichts wie eine prophetische Flamme leuchtete. Genelli saß schweigsam neben ihm, verklärt von dem brüderlichen Stolz, seinen Freund aus allen Wortkämpfen als Sieger hervorgehen zu sehen. Er trank an dem Abend für zwei, während Rahl kaum einmal vom Ungar nippte. So saßen sie wie die Dioskuren beisammen, jeder auf seinen Stern vertrauend, den Stern der Schönheit, der in die dampfumwölkte Gegenwart nur trübe hereinleuchtete, in solchen Nächten aber den Eingeweihten im alten hellenischen Glanz erschien.
Solche Nächte! Wie lange schon waren sie verglüht und verglommen, und wie hell leuchteten sie beim Anblick jenes Hauses in der Erinnerung auf. Vieles hatten die Jahre seitdem gebracht, redliche Kämpfe und fröhliche Siege, heitere Tage und Nächte genug mit alt‘ und jungen Freunden — solche Nächte nicht wieder!
Eine feierliche Wehmut überkam mich; ich ließ den Kopf auf die Brust sinken und vertiefte mich eine Weile in den Abgrund dieses geheimnisvollen Erdendaseins. In die Tür mir gegenüber war ich, seitdem die stille Gemeinde in alle Winde zerstreut war, nie wieder eingetreten. Was hatte ich dort auch zu suchen? Heute fühlte ich einen unwiderstehlichen Trieb, wenigstens in den langen Flur hineinzuspähen, durch den uns sonst der kleine schwindsüchtige Kellner, Karl, der nun auch längst einen besseren Schlaf genießt, hinauszuleuchten pflegte, um das Haustor hinter uns zu schließen. Ich versuchte den Türgriff, und obwohl die Polizeistunde schon längst vorüber war, gab die Tür dennoch willig und geräuschlos nach. Es mußten noch Gäste drin beim Weine sitzen.
Aber um keinen Preis der Welt hätte ich‘s übers Herz gebracht, fremde Gesichter an der geweihten Stätte zu sehen.
Ich setzte mich, um nur noch einen Augenblick in der Stille meinen Erinnerungen nachzuhängen, auf eines der leeren Fässer, die an der Wand standen, und sah den tiefen Hausgang hinunter, aus dessen Hintergrunde eine schläfrig rote Laterne mich vertraulich anblinzte. Es war im Hause totenstill, und eine seltsame Moderkühle, mit Weingeruch vermischt, wehte mich aus Flur und Kellertreppe an. Dann und wann hörte ich draußen einen Nachtschwärmer vorbeitrappen und konnte an seinem gleichen oder ungleichen Schritt erkennen, ob es ihm kühl oder schwül unterm Hute war. Durch die halboffene Tür fiel ein armsdicker gleißender Strahl des Mondlichtes herein, auf den ich unverwandt starren mußte, als sollte mir von daher, wie weiland Jakob Böhme durch den Sonnenstrahl auf einer zinnernen Schüssel, eine mystische Offenbarung zuteil werden. Ich wartete aber umsonst — und über dem Harren und Sinnen wollten mir endlich eben die Augen zufallen —
Da kam ein schlurfender Schritt aus der Tiefe des Hausgangs auf mich zu, jener bekannte schlaftrunkene Kellnerschritt in ausgetretenen Hausschuhen. Ich dachte, man komme mich hier wegzuweisen, damit das Haus geschlossen werden könnte, und fuhr in die Höhe. Erschrocken sah ich die wohlbekannte Gestalt des kleinen Karl vor mir stehen.
Sie sind es? sagte ich. Wie kommen Sie denn wieder hierher? Sind sie denn nicht längst —
Er sah mich aus seinen müden, geröteten Augen so wunderlich an, daß mir das Wort in der Kehle stecken blieb.
Die Herren schicken mich, sagte er in schläfrig-leisem Ton, um zu sehen, ob Sie denn noch nicht kommen. Es sei schon sehr spät, und sie würden nicht mehr lange bleiben.
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