Alarm. Alfred Schirokauer

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Alarm - Alfred Schirokauer


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freue mich auf morgen abend«, rief Angelita durch den Fernsprecher.

      »Ich auch«, antwortete Rutland, »sehr.«

      »Leider kann ich Sie nicht zu Tisch führen. Da ist eine Königliche Hoheit, der die Dame des Hauses zukommt.«

      »Ich bedauere zum ersten Male meine schlichte Abstammung«, scherzte er.

      »Ich auch. Sie bekommen übrigens eine sehr schöne Tischdame.«

      »Hoho«, rief er übermütig. Seit ihrem Besuche und seinem Entschluß, ihr alles zu bekennen, war eine Erlösung über ihn gekommen. Es war, als hätten schon jetzt die Geister der Vergangenheit ihre niederdrückende Macht über ihn verloren. Er fühlte sich frei und unbeschwert wie in den Tagen vor der großen Katastrophe seines Lebens.

      »Aber ich bitte mir aus, daß Sie sich nicht in sie verlieben.«

      »Kann keine Garantie übernehmen. Wer ist es denn?«

      »Die schöne Amerikanerin, die zur Zeit allen Londoner Lebemännern die Köpfe verdreht, Mrs. Jan Bouterweg. Sind Sie ihr schon begegnet?«

      »Nein. Aber mit dem Manne habe ich täglich zu tun. Wir haben sehr freundschaftliche Geschäfte miteinander.«

      »Ich bitte, diese freundschaftlichen Beziehungen nicht auf die Frau zu erstrecken«, drohte sie lächelnd.

      »Wollen sehen, was sich machen läßt.« Dann ernst:

      »Ich freue mich so ungeduldig auf morgen.«

      Nach einer kleinen Pause des Glückes, es war ihm, als fühle er ihre sinnenwarme Nähe über den Draht hin erregend und körperlich, sagte sie unvorsichtig und leise: »Vielleicht finden wir einen Augenblick zur Aussprache. Leb‘ wohl! Oh, wenn es erst morgen abend wäre!«

      Dann hing sie ein. Ihre Zofe war in das Boudoir getreten. Sie traute keinem mehr in ihrem Hause. —

      *

      Vor der Villa des Herzogs Breton de Los Herreros staute sich eine prunkvolle Auffahrt. Die ragenden Gipfel der staatlichen, diplomatischen, wirtschaftlichen und künstlerischen Welt Londons kamen zu diesem Balle zu Gaste, mit dem der Vertreter des spanischen Botschafters und seine Gattin sich in der englischen Gesellschaft einführten.

      Zwei Zimmer des Erdgeschosses waren ausgeräumt und dienten als Garderoben, links für die Damen, rechts für die Herren.

      Rutland hatte gerade seinen Pelz den betreuenden Händen eines Lakaien übergeben. Er plauderte dabei in strahlender Laune und herzpochender Erwartung mit zwei Herren der englischen Regierung, die nicht wenig verwundert waren, den verdüsterten Gebieter von Killick & Ewarts heute abend so aufgeräumt und sprühend zu finden.

      Da rief der eine, der sich der offenen Tür zukehrte, leise: »Dort ist die bezaubernde Gattin des amerikanischen Flottenkrösus!«

      Unwillkürlich wandte Rutland den Kopf. Der »amerikanische Flottenkrösus« konnte nur Jan Bouterweg sein, mit dem er morgen den Vertrag über den Bau von fünf Vierzigtausend-Tonnen-Passagierdampfern abschließen wollte. Seiner diplomatischen Verhandlungskunst und großzügigen Preisbildung war es gelungen, die Heimatskonkurrenz des USA.-Mannes siegreich aus dem Felde zu schlagen.

      Er sah eine kleine, zierliche, pelzumbauschte Gestalt in die Tür der gegenüberliegenden Damengarderobe huschen und verschwinden. Es war nur eine flüchtige Vision. Doch sie entschied.

      Er hatte das Gesicht der Dame deutlich gesehen. Untrüglich deutlich.

      Und taumelte. Mußte sich an einen der Kleiderständer halten, um nicht kraftlos niederzuschlagen. So umstürzend hatte der Anblick dieses schönen Frauengesichtes in sein Lebensmark gegriffen.

      Sein Gesicht war kreidig-fahl, die Augen erloschen, die Hand, die sich an den Kleiderhalter krallte, zitterte; die Knie schlugen gegeneinander und knickten ein, vermochten den Körper nicht zu tragen. Ein gefällter Mann stand in der Herrengarderobe.

      Jan Bouterweg, der seiner Frau auf dem Fuße folgte, war breit lärmend und jovial eingetreten. Der in Amerika eingebürgerte hünenhafte Holländer wollte Rutland mit ausgestreckter Hand begrüßen.

      »Hallo, Rutl —«, da stockte er perplex. »Nanu, Mann, was ist Ihnen? Sehen ja aus wie der leibhaftige Tod!«

      Die anderen wurden aufmerksam.

      Man umringte bewegt den Leiter von Killick & Ewarts, der gebrochen und schlotternd den Kleiderständer umklammerte. Rutland fühlte die gebieterische Notwendigkeit des Augenblicks. Er riß alle Spannkraft seines Willens zusammen.

      »Mir ist nichts«, lallte er und blickte mit irrenden, toten Augen über die bestürzten Männer hin, die ihn umringten. »Eine momentane Schwäche – ein Schwindel —«

      »Einen Arzt!« rief irgendwo eine Stimme.

      »Bitte nicht!« wehrte Rutland matt. In ihm brannte nur der eine Gedanke: kein Aufsehen erregen! Fort aus diesem Hause, aus der Nähe dieser Frau.

      Ratlos umstand ihn der Chor der Herren.

      »Bitte, Mr. Bouterweg, entschuldigen Sie mich bei der Dame des Hauses und —« fügte er rasch hinzu – »dem Herzog. Um alles in der Welt, machen Sie kein Aufheben von – dieser kleinen Sache.« Er sprach mühsam. »Stören Sie nicht das Fest. Ich fühle mich – schon wohler. Bitte, meinen Pelz.«

      Der Lakai brachte ihn mit mitleidiger Miene.

      Die Gäste standen unentschlossen und verdutzt in ihren Fräcken umher.

      »Guten Abend, meine Herren. Morgen wird wieder alles gut sein. Ein nichtiger Anfall meiner alten Tropenmalaria.«

      Er versuchte ein verzerrtes Lächeln.

      Man wollte ihm helfen, ihn stützen, führen.

      Er wehrte ab.

      »Danke sehr. Es ist wirklich nichts. Kümmern Sie sich nicht um mich. Und ich bitte Sie – sprechen Sie nicht mehr davon. Bitte Diskretion. Guten Abend. Nein, danke, Sie brauchen sich wirklich nicht zu bemühen. Ich finde meinen Wagen schon allein.«

      Man öffnete ihm die Tür, die jemand im ersten Augenblick der Bestürzung zugeworfen hatte, und wagte nicht, sich dem störrischen kranken Manne aufzudrängen.

      Er spähte ängstlich auf die Tür der Damengarderobe, schleppte sich dann hastig zum Portal, drängte sich überstürzt durch die dichte Schar der hereinflutenden Gäste, wurde verwundert angerufen, gefragt, lächelte wieder verzerrt und ausweichend, war endlich draußen, auf der Straße, arbeitete sich mit rücksichtslosen Ellbogen durch die lebende Mauer der Gaffer hindurch, die den Eingang der Villa flankierte, scherte sich nicht um Murren, Unwillen und Püffe, gewann die freie Dunkelheit, lief jetzt dahin, dicht an den Vorgärten der Häuser entlang, als hetze die aus dunklem Tore hervorgebrochene Vergangenheit hinter ihm her wie eine dem Käfig entsprungene Bestie.

      Es war gut für seinen Ruf und sein Ansehen, daß ein schwerer schwefliger Nebel in den Straßen hing und den laufenden eleganten Herrn gegen staunende Blicke barg und umhüllte.

      An einer Querstraße zwang der Verkehr ihn anzuhalten. Die Pause in der Bewegung gab ihm ein wenig Überlegung zurück. Langsam schritt er weiter. Besonnenheit stieg in ihm auf.

      Zum ersten Male war heute die Vergangenheit sichtbar vor ihn getreten.

      In der ersten Zeit nach der Tat hatte er gefürchtet und immer unter dem Drucke der Angst gelebt, einem Menschen aus dem alten Lebenskreise zu begegnen und erkannt zu werden. Mit den Jahren hatte sich diese Furcht gelegt, war schließlich völlig von ihm gewichen, nachdem er in seinem Wirkungskreise mit zahllosen Amerikanern zusammengetroffen war, die einst in den Zeitungen sein Bild gesehen hatten als – den berüchtigten Helden einer blutigen Sensation und einer schaurigen Untat, ohne daß ihnen das Geringste an ihm aufgefallen wäre.

      Einmal hatte er auch beruflich mit amerikanischen Seeoffizieren zu tun, Leuten, die er früher dienstlich flüchtig gekannt hatte. Auch sie hatten nichts gemerkt. Ja, einmal war sogar die Rede auf seinen Fall gekommen, man hatte ihm sein Schicksal haarklein erzählt, freilich entstellt, freilich in Muriels erlogenem Berichte. Und er hatte interessiert zugehört, vollkommen gefaßt und unbeteiligt


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