Die Ahnen. Gustav Freytag

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Die Ahnen - Gustav Freytag


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Wölfin aber wagt in der nächsten Nacht neuen Einbruch. Hirt der Marvinge, wann erwartest du den Sprung gegen deine Hürden?«

      »Zu morgen«, versetzte Ingo.

      Der Alte nickte. »Nicht geheuer ist‘s dort im Norden. Auf der Warte, die wir an deiner Landesmark zimmerten, steht Radgais, er ist einer der Klügsten, und ich meine nicht, daß er schläft, denn er hat den Sänger Volkmar angerufen und weiß, daß der Löffel einer Königin den Thüringen neuen Brei einrührt. Dennoch stieg kein Rauch von seiner Höhe, hell ist der Tag und klar die Luft, ich fürchte, Herr, nicht freiwillig schloß er die Augen.«

      »Die Königin ritt auf Waldwegen, die Warte zu meiden«, versetzte Ingo. In dem Augenblick aber, wo er ausspähte, hob sich nordwärts am goldenen Abendhimmel ein weißer Dampf, höher stieg die Rauchsäule und färbte sich schwärzer.

      »Wir verstehen die Warnung,« rief Berthar, »die Knaben der Königin brechen über die Grenze. Herzlich wünsche ich, daß ihnen der Wächter entrinnt.«

      »Schaue auch nach Süden, Berthar, dort hebt sich gegen uns der alte Feind. Zum drittenmal wirbt der Cäsar um unseren Leib, diesmal fordert er von den Burgunden, daß sie uns austilgen. Die Königin drohte mit den Waffen ihres Bruders Gundomar.«

      Wieder sah der Alte in das Angesicht des Häuptlings und merkte an der harten Miene, daß der andere an schweren Kampf dachte. Da zog er seinen Leibgurt fester und sprach mit wildem Lächeln: »Die Frist ist kurz, für zwei Könige den Hof zu schmücken. Doch behend sind deine Knaben, längst waren wir solcher Ehre gewärtig, und wer ungeladen in unserem Ringe schmausen will, der wird wohl selbst ein Schmaus für Rabe und Aar. Befiehl, mein König, deine Knaben sind bereit zu fechten.«

      »Entzünde das Notfeuer,« gebot Ingo, »sende Späher nach der Südmark und warne in den Dörfern der altsässigen Bauern, daß sie ihr wehrloses Volk und die Herden in ihrem Waldringe bergen und uns von Bewaffneten senden, was sie vermögen.«

      Da rief Berthar mit mächtiger Stimme den Kriegsgesang der Vandalen über den Hof: »Wohlauf, ihr Schwanensöhne, in die Waffen, tragt das Eisenbecken und entzündet die Harzflamme; ruhmreicheren Tanz beginnt ihr heute nacht als um brennende Klötze.«

      Gleich darauf loderte von der Höhe ein mächtiges Feuer, und gewappnete Männer jagten zu Roß den Berg hinab.

      Irmgard saß in dem hohen Brautgemach, das ihr einst die Vandalen zwischen dem Eichenlaub gezimmert hatten. In der Hand hielt sie das warnende Zeichen der Mutter. Sie starrte darüber hinweg in das Leere. Als sie unten im Burgringe den Schritt des Gemahls vernahm, wandte sie die Augen nach ihm, ob er zu ihr treten würde. Doch er sprach mit Berthar. Endlich stieg er herauf, und vor sie tretend, begann er: »Der Mantel der Königin flog nach der Tiefe, die Frau wich zornig von unseren Bergen.«

      »Auf dem Felsen lag ich über dem Brunnen, die Angst warf mich zu Boden und die Scham. Da hörte ich Rede und Gegenrede, ich sah, wie mein Hauswirt sich zu dem fremden Weib neigte, und ich hörte, wie sie ihr Recht forderte an seinem Leben.«

      »Dann hast du auch gehört, daß ich widersprach«, versetzte er gutherzig.

      »Die Worte verklangen, denn mein Sohn wimmerte, und ich trug ihn auf das Lager des Vaters, ob er ihm eine Stiefmutter findet.«

      »Irmgard!« rief der Gemahl erschrocken, »was sinnst du?«

      »Meinst du, daß ich liegen will an deinem Wege wie ein Stein, der deinen Fuß von Heldentum und Königskrone scheidet? Ich höre, meine Volksgenossen sagen, daß ich dir nicht vermählt bin zu rechter Ehe, und schmachvoll war der Gruß, den die Königin mir bot. Wenn du die Dirne heimwärts sendest, wird die Königin dir wieder hold, wie sie zuvor war.«

      »Du bist gekränkt und hart schneiden deine Worte,« versetzte Ingo, »ich aber meine, nicht du sollst daran denken, das Tuch zwischen uns zu zerschneiden, denn eine andere sinnt darauf mit argen Gedanken. Sie will den Gemahl von dir lösen; doch nicht, wie du wähnst, um ihm ein Königslager zu bereiten. Denn auf eine andere Ruhestätte denken sie für den landfremden Ingo, und sie wälzen dort unten im Tal die Steine, um ihn zu bergen in der lichtlosen Kammer.«

      Irmgard fuhr wild auf, wie von einer Schlange gestochen. Er aber zog die Widerwillige an sich und sprach ihr zärtlich zu: »Mühselig war meine Fahrt über die Männererde, ich war noch ein Knabe, da mußte ich wie ein Raubtier durch die Täler traben, mir Beute zu holen, die mein Leben fristete, während die Jäger auf meiner Fährte schlichen. Mehrmals war mir der Tag verleidet, wenn ich demütig die Knöchlein an fremdem Tisch begehrte und den kalten Blick des Gastfreundes sah. Dennoch meine ich, nicht ganz unrühmlich bin ich durch die Schlachtreihen der Feinde gedrungen, und ehrlich habe ich geworben, daß mir dereinst ein Freudensitz werde in der Halle der Helden. Damals erschien mir der letzte Sprung in die Schar der Feinde als das beste Glück; und wenn der Schlachtgesang summte, dann hörte ich, daß die Unsterblichen ihren Enkel hinaufriefen in ihr Gefolge. Erst seit ich dich sah und du mir lieber wurdest als mein eigenes Leben, fand ich viele Freude in dieser Welt, und behaglich schien mir‘s oft, im Sonnenschein über den Tälern zu sitzen und zu lachen, wenn die Böcklein in unserem Hofe gegeneinander sprangen und meine Kampfgesellen in der Butte die wilden Waben heimbrachten. Aber da die Götter mir solches Glück gewährten, teilten sie mir auch zu, daß es dauerlos sein sollte und leidvoll für dich, die mir lieb ist. Durch frechen Hofraub mußte ich dich gewinnen. Ärmer bist du als mein Weib, denn daheim. Niemand rief dir Heil als meine wilden Genossen und die Siedler, welche sich mir zugeschworen haben, weil sie daheim schlechtes Glück fanden. Ich habe es oft gewußt, wenn du neben dem Gebannten deine Tränen verbargst und die Seufzer nach der Heimat. Heut haben die Überirdischen mich gemahnt, als der Mantel fiel. Wohl ist es möglich, mein Weib, daß sie mich zu sich laden wollen, darum sorge ich jetzt, daß die Ausfahrt ruhmvoll sei und schädlich den Feinden.«

      »Reite aus dem Holzring«, rief Irmgard, »und baue dir in der Fremde ein neues Heimwesen.«

      »Das Wildtier schlüpft aus seinem Lager, wenn die Meute rennt, nicht der Wirt eines Volkes.«

      »Du lebtest verborgen ein seliges Jahr, deinen Knaben hobst du im Schilde und dein Weib hing an deinem Hals. Denke auch daran, Ingo, bevor du wählst.« Angstvoll starrte sie ihm ins Gesicht.

      Ingo trat noch einmal zu den kleinen Lichtöffnungen und spähte nach allen Seiten in die dämmrige Landschaft. Wie rotes Gold leuchtete der Himmel, und unten im Tale stieg der Nebel aus dem Bach. Er sah auf die geschwungenen Hügel, die dunklen Wälder, die fruchtbare Flur; dann wandte er sich zu seinem Weibe und umfing sie: »Als der Sänger in der Halle sang und du vor allen den Fremdling ehrtest, da war ich dir lieb, weil ich den Helden voranschritt auf dem Todespfade. Was hat deinen Sinn gewandelt, Vandalenfrau?«

      »Die Angst, die ich fühlte, dich zu verlieren«, antwortete Irmgard leise und barg ihr Gesicht an seiner Brust.

      Ingo hielt sie fest umschlungen: »Mein Haupt trug ich hoch als Heimatloser, fröhlich genoß ich das Glück des Tages, weil ich das Leben für wenig hielt gegen ruhmvollen Tod, stolz war ich, treu zu sein jedem, dem ich mich gelobt, und furchtbar meinen Feinden. Wer diesen Stolz mir demütigen will, den töte ich, oder er trifft mich. Stolzer aber als sonst bereite ich diesmal den Kampf. Denn gewaltig naht der Feinde Drang, wie nie zuvor, und du, Geliebte, sollst mit deinen Augen schauen, ob der Sänger den Helden dir wahrhaft gerühmt hat. Rüste dich, Fürstin, zum Ehrentage deines Gemahls, denn bald hörst du um dein Brautgemach das wilde Lied deiner Schwäne und über den Wolken schaust du die Himmelsbrücke, auf welcher die Helden sich aufwärts heben.«

      Dunkler wurden die Schatten der Nacht, das Notfeuer flammte und warf rotes Licht und Rußwolken über den Hof, auf dem die Männer sich zur Abwehr rüsteten. Sie räumten die Hofstätte von Karren und Gerät, trugen die Wurfspeere und häuften die Steine; auch die Mägde halfen, sie holten in vielen Trachten das Wasser aus dem Quell und füllten die Fässer und Bottiche an der Halle. Boten der Dorfleute rannten in den Hof, reisige Männer sprengten ab und zu, und Befehlsworte der Führer klangen in dem umhegten Raum.

      Irmgard stieg mit Frida aus der hohen Kammer herab. Niedergerungen war ihr Zweifel, und wie getragen durch einer Göttin Kraft schritt sie über den Hof. Berthar lachte vergnügt, da sie ihm nahte. Er erhob sich schnell vom Boden, wo er an einer großen Wurfschleuder


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