Die Ahnen. Gustav Freytag

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Die Ahnen - Gustav Freytag


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»Es war unrecht, dich zu wecken, Herr, aber Unglaubliches wird dein Auge sehen, wenn es dir gefällt, vor das Tor zu treten. Das Tal ist verwandelt, viele Männer aus der Landschaft sehe ich gesammelt, auf allen Wegen ziehen die Krieger in ihrem Festkleide heran, auch Weiber darunter, was doch sonst bei einem Volksrat unerhört ist. Um das Haus des Memmo drängen sich Heiden und Christen. Herr Gerold ist selbst gekommen, der neue Graf, welchen der Frankenherr als Grenzwächter geschickt hat, und mit ihm Frau Berswind, sein Gemahl, die rundliche Frau. Ich sehe viele Speere der Häuptlinge und Männer aus allen Walddörfern. Auch in deinem Hofe stampften die Rosse guter Genossen. Dein Gesell Bruno harrt deiner, Kunibert und andere mit ihrer Freundschaft, denn große Botschaft des Frankenherrn ist angekündigt, und um den Fremden geht die ganze Bewegung.« Ingram sprang vom Lager und vor das Tor, wo ihn eine Anzahl ehrbarer Landleute mit würdigem Gruße empfing und neugierig sein verstörtes Aussehen musterte. Aber ihm wie den anderen zog es den Blick abwärts nach dem Anger und den Wiesen, die sich um das Haus des Christenmannes Memmo breiteten. Auch er sah betroffen das festliche Gewühl, stampfende Rosse, bewaffnete Reisige und zahlreiche Haufen der Landgenossen, welche wie bei einem großen Volksmarkt bis weit über das Feld standen und lagerten und sich noch unablässig durch Zuzug vermehrten. Er erkannte die Banner mehrer Edlen, welche mit ihrem Gefolge herangezogen waren, vor anderen solche, die dem Christenglauben geneigt waren, wie Asulf, einer der ersten im Lande. Auch Gundhari, Rotharis Sohn, der wohlhäbige Mann, bewegte sich rührig durch die Haufen, Godolav war da, ein großer Mann aus den Thüringen, die man Angeln nannte, weil ihre Väter vor alter Zeit von einem Nordvolk in das Land gedrungen waren, dann der Häuptling Albold, Albharts Sohn, dessen Erbgüter an die Dorfflur grenzten. Aber auch Edle der Heidenschaft schritten in der Menge einher, unter ihnen mancher, der dem neuen Glauben bitterfeind war. »Wahrlich«, rief Wolfram in neuem Erstaunen, »viel Ehre erweisen unsere Herren dem zugewanderten Fremden, daß sie ihn hier in der schlechten Hütte aufsuchen unter einem Dach, dem die Schindeln im Winde davongeflogen sind.«

      »Niemals hätte ich gemeint, daß so viele in unserem Lande leben, die sich vor dem Marterholz neigen«, begann Bruno, Bernhards Sohn, ein ansehnlicher Mann aus dem freien Moor, dessen Geschlecht seit alter Zeit mit dem Hofe des Ingram befreundet war. »Der Fremde hat mit seinem Stabe die ganze Landschaft aufgerührt wie einen Ameisenhaufen, auf allen Pfaden sind die Boten geritten; er selbst war nach dem Markte Erfesfurt gewandert zum Grafen, der dort gerade Gericht hielt, und Herr Gerold hat sogleich zwei von seinem Gesinde drüben in den Meierhof gelegt, damit sie für den Fremden reiten und ihn beschirmen. Seht, dort tritt der Fremde aus dem Hause, ganz verändert ist er in Kleidung und Gebärde, und wie ein großer Herr wandelt er dahin.«

      Winfried schritt aus der Hütte in bischöflichem Talar, von Seide und Gold glänzte sein Gewand, in der Hand hielt er den gekrümmten Stab, hinter ihm gingen Memmo und ein anderer Priester. »Da ist auch Bardo, der Graurock, der an dem Tische des Grafen sitzt, ein guter Trinker war er sonst, und manchen Bissen Roßfleisch sah ich ihn tilgen beim Opferfest. Heut wandelt der streitsüchtige Mann demütig hinter dem Fremden. Wahrlich, viele Nacken weiß dieser Mann zu beugen.«

      »Nicht die unseren«, rief Ingram und wandte dem Tale den Rücken.

      Aus der Niederung stieg Kunibert, ein älterer Mann aus der Freundschaft des Ingram, zu den Landleuten herauf. »Betört sehe ich alles Volk,« begann er; »auch du, Ingram, bist, wie ich höre, im Dienste des fremden Bischofs geritten.«

      »Ich zog in meiner eigenen Sache zu den Sorben«, versetzte Ingram finster. »Ihr aber seid versammelt, wie ich sehe, euch vor dem Fremden zu beugen.«

      »Du weißt nicht, was ihm vor dem Volk die Ehre gibt, er hat lateinische Botschaften in das Land gebracht, einen Brief des Frankenherrn an unsere Häuptlinge und das ganze Volk, der seinetwegen geschrieben wurde. Gerold, der Graf, ließ den Brief durch seinen Priester lesen, unverletzlich soll der Mann unter uns stehen, der Frankenherr erklärt ihn für sein Mündel, suchen wir Urteil gegen ihn, so sollen wir unsere Klage an den Frankenhof tragen, unserem Gericht ist der Fremde enthoben. Das alles stand in dem Briefe, den der Priester deutete und der Graf bestätigte. Erstaunt war der ganze Ring, als er von der Tierhaut die Worte des großen Franken hörte. Schwer ist es, dagegen das Haupt zu erheben.«

      »Widerwärtiges, das zum Ohre eingeht,« rief Ingram, »weist die Zunge hinaus, und wo die Zunge nicht reicht, das Schwert.«

      »Wie soll der Mann kämpfen gegen unsichtbare Mächte, welche aus der Ferne zu uns reden,« rief Kunibert, »wahrlich, die Christen verstehen manche Kunst, gegen welche wir schwach sind. Sie haben den Zauber der lateinischen Sprache, die wenige von uns kennen. In den Briefzeichen verkehren sie miteinander wie Landgenossen, wenn sie auch daheim in verschiedener Zunge reden. Da ich jung war, focht ich im Frankenheere am Rhein und darauf an der Donau und an allen Orten fand ich die lateinische Sprache und dasselbe Geheimnis ihrer Buchstaben. Sie senden einander ihre Worte auf der Tierhaut zu über Land und Meer. Mit einem Rohr schreiben sie Befehle, und die Worte stehen fest für alle Zeit, und wenn unser Wille dagegen bäumt, weisen sie auf ihr Pergament, und niemand vermag sie zu widerlegen. Was einer vor vielen Jahren geredet hat, bezeugen sie durch schwarze Buchstaben, sie schenken und begaben damit und entscheiden darnach über Mein und Dein.«

      »Wahrlich,« rief Ingram, »ich hoffe, der Eid ehrenwerter Männer steht höher als ihre schwarze Schrift, und ehe ich wegen einem Brief, den sie vorweisen, hingebe, was mir gehört, kämpfe ich mit jedem von ihnen im Ringe der Landgenossen.«

      »Die neuen Verkünder ziehen schwerlich das Schwert. Denn widerwärtig sind sie in ihrer unkriegerischen Art. Wären sie Helden, welche auf der Kampfheide stärker sind als die Gegner, so dürfte ein tapférer Mann sich ihnen wohl fügen, wenn auch widerwillig. Aber waffenlosem Fremdling solche Ehre zu geben, wie der Frankenherr diesem Winfried zuteilt, ist für uns alle eine Schmach, und ich entwich aus der Versammlung, weil mir der Zorn darüber in das Haupt drang.«

      »Dennoch rate ich,« begann Wolfram, der dazugetreten war, »daß die Herren von der Höhe herabsteigen. Denn jene sind, wie ich vernehme, dabei, neue Briefe zu lesen. So viel Seltsames wurde noch nie im Ringe der Waldleute verhandelt.« Trotz ihrem Groll traten die Männer ins Freie, Ingram mit schwerem Herzen, denn ihm war die Begegnung mit Winfried unheimlich, und er barg seine Gestalt in dem Haufen der anderen.

      An der Linde, wo das große Frankenbanner wehte, hielt Graf Gerold ein Pergament in die Höhe und rief über die Haufen: »Dies ist ein Brief aus Rom, welchen der ehrwürdige Papst Gregor, der dort auf goldnem Stuhle sitzt, an Häuptlinge des Volkes niedergeschrieben und gesandt hat: wer seine Worte hören will, der trete herzu.«

      Da drängten sich alle um die Linde, ein Priester verlas den lateinischen Brief, und der Rufer kündete mit weit schallender Stimme die Deutung in der Landessprache, welche ihm der Priester Satz für Satz vorsprach. Die Gemeinde vernahm die Worte: »Den machtvollen Männern, seinen Söhnen Asulf, Godolav, Wilari, Gundhari, Albold und allen gottgeliebten Thüringen, welche treue Christen sind, sendet dies Papst Gregor.«

      Mit gehobenem Haupte und geröteten Wangen traten die Häuptlinge, deren Name gerufen wurde, vor die anderen, und der wohlbeleibte Gundhari rief in seiner Freude laut: »Gundhari bin ich und hier stehe ich.« Scheu blickte die ganze Versammlung nach den Ruhmvollen, welche durch das weiße Pergament aus fernem Lande angesprochen wurden. Ihre Verwandtschaft drängte sich um sie, und viele streckten die Hälse, um einen Anblick der Schrift zu erhalten.

      Der Rufer fuhr fort und kündigte die Briefworte des Papstes. »Uns ist berichtet eure herrliche Treue gegen Christus. Denn als die Heiden euch zum Götzendienst drängten, habt ihr in festem Glauben geantwortet, ihr wolltet lieber selig sterben als die Treue gegen Christus, die ihr einmal auf euch genommen, irgendwie verletzen. Darüber sind wir mit hoher Freude erfüllt und haben unserem Gott und Erlöser, dem Spender aller Güter, gebührenden Dank gesagt. Seine Gnade wird euch noch besseres Gedeihen schaffen, wenn ihr mit frommem Sinne bei dem heiligen Sitz der Apostel euer Heil sucht, so wie Königsöhnen und Miterben des Reiches bei dem königlichen Vater Heil zu suchen geziemt. Darum haben wir euch unseren geliebten Bruder Bonifazius zu Hilfe gesandt, wir haben ihn zum Bischof geweiht und zu eurem Prediger bestellt, damit er euch im Glauben unterweise. Wir begehren und mahnen, daß ihr ihm in allem beistimmt, auf daß euer Heil im Herrn völlig werde.«

      Dieser Verkündigung folgte ehrfurchtsvolles


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