Die Ahnen. Gustav Freytag

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Die Ahnen - Gustav Freytag


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die Greise am Boden sah, wurde ihm der Anblick unheimlich, einige von den Rohesten lachten, aber die Mehrzahl fuhr entsetzt zurück. In diesem Augenblick sprang Reinhard auf die Stufen des Altars und rief, die Arme erhebend: »Herr, gehe nicht ins Gericht mit uns Sündern! Kniet nieder, ihr Brüder und flehet um die Vergebung der Heiligen. Nicht durch Geschrei wird der Schaden des heiligen Wigbert geheilt; ihr seht selbst: wie ihr euch gegen den Vater des Klosters, so empört sich Bruder gegen Bruder und die ruchlose Jugend gegen euch alle. Eure Feindschaft stärkt nur die Feinde draußen. Wollt ihr euch helfen, so rate ich, daß heut‘ nicht in der Menge verhandelt wird, was zum Frieden des Klosters dient, sondern daß die Dekane und die Alten sich mit unserem Herrn Bernheri in friedlicher Beratung vereinen. Du aber, Jüngling, wirf die Geißel weg, mit der du an heiliger Stätte gefrevelt hast, und erwarte in Demut die Strafe, welche die Brüder dem Verbrecher finden.«

      Die Geißel fiel zur Erde neben Tutilo, welcher ächzend auf dem Boden saß und betäubt seinen Kopf auf die Hand stützte. Immo starrte wild umher. Da er merkte, daß er allein war und daß seine Genossen sich in den Ecken und hinter den Säulen zu bergen suchten, trat er an den Stuhl des Abtes zurück, aber seine Augen flogen herausfordernd über den Haufen. Herr Bernheri begann zornig: »Nicht die Geweihten des Herrn sehe ich vor mir, sondern eine Herde wilder Eber, welche begierig ist, die eigenen Ferkel zu fressen. Ich aber verachte euer Grunzen und das Schnauben eurer ungewaschenen Rüssel, denn, wie sagt der hohe Apostel: ›Sie wandeln dahin in ihrer Dummheit.‹ Was aber hier Reinhard, der würdige Bruder, vorschlägt, das gefällt auch mir. Mit den Dekanen und mit den Ergrauten, welche nicht Häcksel in ihrem Kopf haben, gedenke ich in späterer Stunde die Leiden des Klosters zu erwägen, bis dahin mögen sie selbst in der Stille prüfen, ob sie eine Hilfe finden. Denn auch der Esel schreit laut, wenn er müßig steht, wenn er aber die Säcke tragen muß, so schweigt er geduldig. Sie sollen auch einmal die Last tragen, ich bin es müde, allein für euch grobe Klötze Rat zu suchen, wo es keinen gibt. Und so scheide ich jetzt den Konvent, wandelt bis morgen dahin in Frieden. Ich aber verweile hier in meinem Hofe, damit niemand meint, daß ich den Unzufriedenen das Feld räume. Bestelle, was nottut, mein Kämmerer Eggo, und diesen behenden Springer nimm mit dir. Nie sah ich einen Scholastikus so wild auf geschorenen Köpfen zum Altar reiten.« Der Abt wandte sich schwerfällig zum Altar und neigte sich. Reinhard eilte zu den Brüdern und sprach nachdrücklich in die Ältesten hinein, doch mürrischer Widerspruch erhob sich und laute Stimmen riefen: »Der Schüler gehört in unseren Kerker, denn er hat gegen einen Mönch gefrevelt.« Der Abt wandte sich wieder dem Haufen zu: »Der Scholastikus gehört unter die Zucht des Lehrers Reinhard, dem Reinhard aber gebiete ich mir zu folgen, denn ich bedarf seiner, damit ich ihn, wenn es nottut, zu euch sende.« Herr Bernheri stieg langsam vom Altar, warf noch einen verachtenden Blick auf die empörte Gemeinde und schritt unaufgehalten durch seinen Ausgang nach dem Abtshofe. Um ihn drängten sich die Getreuen von St. Peter, sein Kämmerer hielt den Jüngling, welcher friedlich folgte, bei der Schulter; als letzter ging Reinhard.

      Hinter dem Abte brauste noch lange die wogende Menge, die erste Wut war verraucht, aber bitterer Groll zurückgeblieben. Tutilo wurde von zwei Brüdern in die Klausur geführt, wo er sich erst erholte, nachdem der Kellermeister einen Krug Würzwein in seine Zelle gestellt hatte. Neben dem Kruge saßen einige alte Brüder, den Kranken zu pflegen; sie prüften und billigten den Trunk und zürnten, obgleich sie mit gedämpfter Stimme sprachen, heftig auf mehrere, welche abwesend waren.

      Unterdes stand Immo in der Büßerzelle der Abtei, ein Bruder von St. Peter, der ihm fremd war, hatte ihm ein Bund Stroh hineingebracht und einen Krug mit Trinkwasser, ohne ein Wort zu sprechen, und Immo, der den Klosterbrauch kannte, hatte auch keine Frage getan, um sich nicht über die versagte Antwort zu ärgern. Einen Augenblick dachte er daran, den Bruder festzuhalten und an seiner Stelle hinauszuspringen, aber mit leisem Stöhnen gab er den Gedanken auf, denn er wußte wohl, daß das Haus des Abtes von Reisigen besetzt und keine Möglichkeit zur Flucht war. Er untersuchte seinen Kerker, doch dieser bot geringen Trost, er war nicht in freier Höhe gezimmert und kein Dach erhob sich über ihm, es war ein Kellerloch, nicht viel länger als ein Mann, und die kleine Lichtöffnung vermochte kein Geschöpf, das größer war als eine Katze, zu durchklettern. So blieb ihm nichts übrig, als auf dem Stroh zu sitzen und die finstern Gedanken wegzuscheuchen, welche wie Fledermäuse um sein Haupt schwirrten. Lange tröstete ihn ein wenig die Überlegung, daß er den Tutilo, der immer herrisch gegen ihn gewesen war, so schön zu Boden geschlagen hatte. Er griff nach dem Pergament mit dem Goldfaden und wiederholte sich die Worte, welche Hildegard zu ihm gesprochen hatte, aber dabei wurde der Gedanke in ihm übermächtig, daß er jetzt zum zweitenmal als Gefangener in elendem Kerker saß. Als gar der Abend kam und der Hunger stark in ihm nagte, wurde ihm frostig zumute, und ihm fiel ein, daß seine Zelle für eine furchtbare Stätte galt. Manche Geschlechter vergangener Mönche hatten hier jahrelang gebüßt und in Kreuzesform dagelegen, während die Geißel über ihren Rücken flog und ihr Blut auf den schwarzen Boden rann. Unheimliche Geschichten erzählten die Schüler von der Not der Frevler, welche der Abt gefesselt hielt, und wer in der Dämmerung an der Zelle vorübergehen mußte, der wandte das Haupt ab und beeilte den Schritt. Daß Tutilo und seine Genossen ihm todfeind geworden waren, erkannte er jetzt deutlich, und ihm kam auch vor, als könnte er wohl das Sühnopfer werden, über dessen Leib der Abt mit den Mönchen Frieden mache. Wild sah er umher und griff im letzten Zwielicht an die Wände; es waren dicke Mauern, hier und da hatte ein Büßer sein Kreuz in den Kalk geritzt, um davor zu beten. Da neigte auch er das Haupt und begann einen lateinischen Psalter, aber unter den heiligen Worten kam ihm die Angst, was wohl die Apostel Simon und Thaddäus, vor deren Gebeinen er den Tutilo niedergeworfen hatte, von seinem Tun denken würden. Er konnte nicht glauben, daß Tutilo als ein arger Mann in Gunst bei den Hohen stehe, aber ob sie besonderes Wohlwollen für ihn selbst hegen könnten, erschien ihm sehr zweifelhaft, denn sicher hatte er eine schwere Tat begangen und ihr Heiligtum entweiht. Da faltete er die Hände und bat den heiligen Wigbert, sein Fürsprecher zu werden. Dieser war ihm immer hold erschienen, und am liebsten hatte er vor seinem Altar gebetet, denn er dachte sich, daß der Heilige auf Erden ein guter Geselle seines Ahnherrn gewesen und seit alter Zeit dem Geschlechte vertraulich war. So bat er jetzt demütig um seine Hilfe. Und als er an die Heimat dachte, wurde ihm das Herz weich.

      Aber stürmisch hoben sich wieder die Gedanken. Wenn er die Eisenstange nur hätte, die er heute früh geschwungen, dann könnte er wohl die Tür erbrechen. Und er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, ob es irgendwo hohl klänge. Denn aus der Tiefe der Erde kam geheimnisvoll die Fülle aller guten Dinge, nicht nur die Landleute, die noch Heidenbrauch übten, auch die Mönche wußten das. Vielen Goldschatz barg die Mutter Erde, aber auch anderes Metall schenkte sie aus ihrem Vorrat den Bedrängten. Warum sollte nicht auch er in seiner Not eine Waffe aus der Erde graben, die ihn von der drohenden Schmach erlöste. Er griff und stieß wieder an Wänden und Boden umher, aber nirgends erkannte er hartes Eisen. Und er faltete aufs neue die Hände und kauerte auf dem Stroh.

      Während er demütig in der Finsternis saß, vernahm er von außen langsame Tritte, ein Lichtstrahl fiel durch das Eisenschloß golden in die Zelle, ein Schlüssel knarrte, die Tür ging ächzend auf, und ein Mann trat schwerfällig herein und beleuchtete vom Eingange mit seiner Blendlaterne den Sitzenden. Immo schnellte empor, er erkannte Bernheri, seinen Abt und Herrn. »Stemme dich von außen gegen die Tür, Eggo,« begann der Abt, nach rückwärts gewandt, »damit der Scholastikus Saliarius nicht auf den Einfall komme, uns selbst als Springböcke zu gebrauchen oder gar in unserem eigenen Keller einzuschließen.« Immo ließ sich auf die Knie nieder und senkte schweigend das Haupt, suchte aber doch durch verstohlene Blicke die Meinung des Herrn zu erraten.

      »Sieh, Immo,« fuhr der Abt feierlich fort, auf den Gebeugten herabblickend, »du bist zum Greuel geworden vor allem Volke, und die Töchter Israels schreien wehe über dich; welches aber nur tropice gemeint ist, denn ich hoffe, daß du Unglücksvogel dich in Wirklichkeit von jüdischen Weibern stets ferngehalten hast, zumal keine in der Nähe des Klosters zu finden sind. Aber was die Schrift sagt, das gilt jetzt von dir: ›Aus der Tiefe schreie ich und niemand hört meine Stimme.‹ Ganz verworfen bist du, und die hohen Engel würden dich mit zahllosen Backenstreichen begaben, nur daß solche Regung der Hände für Himmlische unschicklich ist. Was dich erwartet, weißt du. An ein Kreuzholz wirst du gebunden und so lange gegeißelt, bis dein Vater Tutilo für dich bittet; ich meine, er wird sich nicht beeilen. Und später wirst


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