Ratsmädelgeschichten. Böhlau Helene

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Ratsmädelgeschichten - Böhlau Helene


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eingezwängt! Welchen trübseligen Eindruck würden deine kärglichen Freiheitsstunden dir geben, die man klug und berechnend wie eine Medizin, nach Überanstrengung dir zugemessen hat, wenn du vergleichen könntest! Wenn du wüßtest, was ich weiß!

      Ja, ein unbefangenes, menschenfreundliches Auge findet, trotz aller weisen, sachgemäßen Widerlegung, daß es dir, o Jugend, übel in unseren Tagen ergeht!

      Doch auf und nieder bewegen sich die Ereignisse auf Erden, und es kommt eine Zeit, wo die Jugend wieder aufatmen kann.

      So ruhig und bedächtig geht es nicht fort, wie jetzt.

      Aus Bewegung, aus Kampf, aus Besorgnis der Erwachsenen, der Alten, werden ihr wieder unbeaufsichtigte, berückende Freiheitsstunden erstehen, – aber wann?

      Jetzt zu jener vergangenen Zeit, die den jungen Herzen von damals ihre Wünsche, ihre Rechte, ihr Streben nach Wundersamem, Bedeutungsvollem im reichsten Maße erfüllte.

      Röse und Marie waren, wie wir aus dem ersten Teil ihrer Abenteuer und Erlebnisse erfahren haben, noch zur rechten Zeit in die Hände der Jungfer Concordia geraten und zu der Freundschaft von deren Neffen, des guten, vortrefflichen Budang, ehe alle Aussicht, daß sie etwas lernten und ein paar tüchtige Mädchen wurden, bei ihnen verloren war. Ihr Budang hatte ihnen treulich geholfen, daß sie mit Ach und Krach bis zu einer höheren Klasse ihrer Schule gekommen waren. Was für ein guter, prächtiger Junge war doch dieser Budang! Seit die beiden Mädchen ihn kennen gelernt hatten, schien für sie gesorgt.

      Sie arbeiteten unter seiner Leitung, machten mit ihm und seinen Freunden Streifzüge in die Umgegend. Die Mutter unserer beiden, die Frau Rat, konnte ruhig ihre Rangen dem ihr als ausgezeichnet bekannten Neffen der Jungfer Concordia überlassen.

      Sie hatte damals mit Bedacht Concordia als Lehrerin ihrer Kinder ausgewählt und freute sich, wie heimisch Röse und Marie in der Gassenmühle, in der, wie wir wissen, Concordia mit ihrem Bruder, dem Müller, und dessen Sohn Budang hauste, geworden waren.

      Ich will jetzt wie folgt beginnen:

      Im Winter wurde bei Rats eine einzige Stube geheizt. In der stand der Arbeitstisch des Vaters, in der saßen die Mutter, die Brüder und die beiden Ratsmädel. – Alle Geduld miteinander übend, alle auf den Vater Rücksicht nehmend, alle so still und besonnen wie möglich.

      Die Ratskinder waren an diese bedachtsamen Winterstunden gewöhnt, die ihre starken Lebensgeister zu dem außerordentlichsten respektvollen Schweigen herabdrückten.

      Die Brüder arbeiteten während dieser Zeit. Man hörte das Kritzeln der Federn von Vater und Söhnen. Die Mutter und die Mädchen waren mit Näharbeiten beschäftigt.

      Ein Flüstern, von dem Marie und Röse einen ausgedehnten Gebrauch machten, war gestattet.

      Die beiden hatten sich unausgesetzt zu erzählen, trotzdem sie alles und jedes miteinander erlebten, oder gerade deswegen. Sie hatten jede ihre verschiedenen Auffassungen von den mancherlei Dingen, die sie tagsüber aufstöberten; denn, gottlob, die würdigen Stunden im Familienzimmer währten nicht lange, der Vater hatte durch sein Bürgermeisteramt viel außer dem Hause zu thun, und eine feste Regel war, um fünf Uhr etwa wurde Schicht gemacht; da drehte er den Schlüssel an seiner Schreibtischklappe um.

      Mit diesem Tone strömten die Lebensgeister zurück in die Gemüter.

      Die Augen leuchteten, Röse und Marie legten ihre Näharbeit beiseite, brachten dem Vater übereifrig den Pelz und Hut, denn der Bürgermeister machte jetzt seinen ihm zuträglichen Gang um die Stadt, um dann mit seinem alten Freunde, dem Kupferstecher Müller im „Elephanten“ sein behagliches Stündchen zu verschmauchen.

      Kaum aber war er zur Thür hinaus, so langten Röse oder Marie hinter den großen Ofen; da hatten sie einen Stock, an dem ein weißes Tuch wie ein Fähnlein befestigt war, den steckten sie zum Fenster hinaus. Das geschah Abend für Abend und mochte seinen guten Grund haben.

      Denn nicht lange währte es, da hörten die lauschenden Mädchen von ferne einen munteren, rhythmischen Pfiff, so energisch, so lustig, so voller Leben.

      Es war eine charaktervolle Art zu pfeifen und immer gleichbleibend, nie mit einem Tone von der gewohnten Art abweichend. Mit diesem Pfiffe kündigte sich Budang an, der treue Kamerad.

      Vorsichtig und freundlich steckte Budang, wenn das Signal gegeben war, den blonden Ruschelkopf zur Thüre hinein, um sich erst zu überzeugen, ob das Feld auch rein sei, das heißt, ob der Herr Rat auch wirklich nicht mehr an seinem Arbeitstische sitze.

      „Nun komm nur,“ rief ihm dann die Mutter entgegen, und die Mädchen standen schon bereit, ihn zu empfangen. Darauf machte Budang, ehe er noch eintrat, ein Zeichen nach der Treppe zu, und zwei seiner Kameraden, die auf einer der oberen Stufen auf seinen Wink lauerten, traten mit ihm ein.

      Der eine war Franz Horny, ein bildschöner Junge von siebzehn Jahren. Er wohnte an der Ecke der Wünschengasse und war von jeher ein guter Freund der Ratsmädel gewesen, bei denen er auch in Achtung stand. Sie hielten beide viel von seiner Fertigkeit im Zeichnen, hatten darin auch nicht unrecht und bewiesen Geschmack; denn Franz Horny bildete sich in der Folge zu einem guten Künstler aus, der in Amalfi in bester Jugend starb. Sein Bild hängt sonderbarerweise dort in einer Kapelle und wird als Heiligtum verehrt. Es mag aus Zufall dahin gekommen sein oder durch irgend ein wunderliches Geschick.

      Man erzählt sich, daß der schöne, liebenswürdige Künstler in dem Orte, in dem er gestorben, eine abgöttische Verehrung von der Bevölkerung erfahren habe. Er soll ein merkwürdiger und einnehmender Mensch gewesen sein, dessen Schönheit und Talent auffallend waren. Dies habe ich von Friedrich Preller, dem Maler der Odyssee und dem Jugendfreunde Hornys. Zu der Zeit, als er mit seinen Kameraden die Winterabende bei den Ratsmädchen sich vergnügte, war er ein träumerischer, sanfter Junge, der von allen gern gesehen wurde.

      Der zweite Gefährte, den Budang mitbrachte, war Schillers jüngster Sohn Ernst, frisch im Aussehen und Wesen, der seine freie Zeit gar zu gern in Rats behaglichem Familienzimmer verbrachte. Das erste, nachdem die Begrüßung vorüber, war, daß Budang sich zu seinen Gefährten wendete, die sogleich mit den Mädchen in ein lustiges Plaudern kommen wollten, und sagte: „Erst müssen sie zeigen, daß sie mit ihren Arbeiten fertig geworden sind.“

      Budang war seiner, von Jungfer Concordia erhaltenen Aufgabe, die Mädchen zu überwachen, treu geblieben. Röse und Marie mußten ihm ihre Arbeiten bringen. Sie thaten es auch, wie etwas, was sich von selbst versteht, mit allem Ernste.

      Nun setzte er sich, nahm die Hefte vor, und war etwas nach seiner Meinung gar zu unmöglich geraten, so mußten sich die beiden Faulpelze daran machen und unter seiner und Ernst von Schillers Leitung die Sache noch einmal schreiben.

      Unangenehm war es für alle Teile, wenn sie ihr Pensum, wie die Arbeiten der Ratsmädel gelehrt benannt wurden, schlecht gelernt hatten. Da gab es ein äußerst langweiliges Überhören ohne Ende, ehe man an die beliebte Abendunterhaltung kam, und die Mädchen wurden von Budang hart angelassen. In einer Ecke mühte sich Ernst von Schiller, abwechselnd mit Budang, an Röse ab, die das Auswendiglernen so schwer zu stande brachte, daß es ein Skandal war, wie Röses Freunde sich über diesen Mangel ausdrückten.

      Für Marie, deren Gedächtnis vorteilhafter ausgestattet sein mochte, genügte einfache Hilfe. Sie war ein für allemal Franz Horny zugewiesen, der sich seinem Amte mit Geduld und Bewunderung für das schöne Geschöpf unterzog.

      Die Ratsmädel glichen zwei Knospen von lebensvollster Frische und Kraft. An ihnen mochte nichts Angekränkeltes sein, nichts, was nicht ebenmäßig sich entfaltet hatte, und nichts, was nicht auf eine noch viel lieblichere Vollendung hindeutete. Sie schienen mehr, als man gewöhnlich unter jugendfrisch versteht. Sie waren urwüchsig, eigenartig und harmlos, wie es junge, von Menschen unbehelligte Tiere sind.

      Und unbehelligt waren sie, von aller Welt gern gesehen, die Freude der Wünschengasse; wer blickte ihnen nicht nach, wenn sie mit ihren langen, schweren Zöpfen, die noch vor kurzem so manchem Gassenbuben um die Ohren gesaust waren, die Straße hinabgingen? Sie bildeten den Stolz der Untergebenen ihres Vaters, „die Ratsmädel“, denen man allen Respekt erzeigen mußte.

      Ja, ihr Ruf war bis ins Schloß gedrungen, wie wir wissen. Überall aber


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