Das Geschlechtsleben in der Deutschen Vergangenheit. Bauer Max

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Das Geschlechtsleben in der Deutschen Vergangenheit - Bauer Max


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selbst die Hände rühren und die Oberaufsicht über sein Eigentum übernehmen. Das mit elementarer Macht sich verbreitende Christentum erschloss eine neue Gedankenwelt und milderte vieles von der Rauheit des früheren Sohnes der Wildnis. Die allerorts entstehenden Klöster wurden zu den ersten und einzigen Bildungsstätten, aus deren festen, bewehrten Mauern so manche Kunde drang von der Kunst, seine Gedanken aufzeichnen zu können und sie auf diese Weise selbst dem Fernen mitzuteilen; dann von Glaubenshelden, die ihre Treue gegen den Heiland mit dem Leben bezahlt, die für das Christentum den Märtyrertod erlitten; vom Heiland selbst, seinem Leben, Leiden und Sterben, und von seiner Mutter, der herrlichsten, edelsten und erhabensten aller Frauen, der gebenedeiten Jungfrau Maria. In ihr erstand für den Deutschen neuerdings das göttliche Weib der Germanen, darum sammelte sich auch in dem Marienkultus die ganze Verehrung, die der Deutsche einem Weibe zu zollen vermag, in einem Brennpunkte zusammen, der aber im Gange der Jahrhunderte verblasste, um später noch einmal, aber weniger intensiv und mit einer Beimischung von Groteskkomik, als Minne und Minnedienst aufzuleuchten, ehe er für immer erlöschte.

      Noch war das deutsche Staatengefüge lose aus einer Unzahl deutscher Stämme zusammengesetzt, die, in nie ruhender Eifersucht einander befehdend, kaum ein Gefühl der Zusammengehörigkeit kannten.

      Erst dem Heros Karl dem Grossen, seiner eisernen Faust, seinem mächtigen, zielbewussten Willen, der mit unbeugsamer Energie das für richtig Erkannte durchzusetzen wusste, gelang es, das Völkerkonglomerat auf deutscher Erde zusammenzuschweissen und zu einer Einheit, dem römisch-deutschen Reiche, zu gestalten. Karls staatsmännisches und kulturelles Wirken zu würdigen ist nicht meine Aufgabe. Hier soll nur der Einfluss erörtert werden, den Karls Regierung auf das Geschlechtsleben seiner Zeit ausübte. Kaiser Karls Leben war in dieser Hinsicht nicht einwandsfrei. Wenn er auch am 29. Dezember 1165 heilig gesprochen und diese Kanonisation von der Kirche stillschweigend bestätigt wurde, so war Karl durchaus kein Heiliger. Er war fünfmal verheiratet. Seine erste Frau, die Fränkin Himiltrud, verstiess er, ebenso die zweite, eine Tochter des Longobardenkönigs Desiderius, nach der Angabe eines Mönches von St. Gallen deshalb, weil sie unfruchtbar gewesen. Hildegard, die dritte Gattin, ein Fräulein aus hohem schwäbischen Adel, zählte erst 13 Jahre, als er sie heimführte. Sie starb 783 im 26. Lebensjahre, nachdem sie ihm neun Kinder, darunter Hludoic, seinen Thronerben, geboren hatte. Wenige Monate nach Hildegards Tode heiratete Karl die Ostfrankin Fastrada, nach deren Hinscheiden er die Alemannin Luitgard zur Gemahlin nahm, mit der er schon vor der Verheiratung Beziehungen unterhalten hatte. Sie war seine letzte rechtmässig angetraute Gattin, und als sie um das Jahr 800 in Tours starb, wirtschaftete der Kaiser bis zu seinem Ableben mit Kebsweibern, von denen vier namhaft gemacht werden: Madelgard, Gersuinda, Regina und Adallinde.7

      Karls sinnliche Natur vererbte sich auf seine Töchter, von denen Einhard schreibt: »Obwohl diese Töchter sehr schön waren und von ihm überaus geliebt wurden, wollte er wunderbarerweise keine von ihnen einem der Seinen oder einem Fremden zur Ehe geben; er behielt sie vielmehr alle bis an sein Ende in seinem Hause und sagte, er könne den näheren Umgang mit ihnen nicht entbehren. Aber deswegen musste er, sonst so glücklich, die Abgunst des Schicksals erfahren, was er sich jedoch so wenig merken liess, als ob in Bezug auf seine Töchter niemals irgend ein Verdacht der Unkeuschheit sich erhoben, niemals das Gerücht hiervon sich verbreitet hätte.«8 Dieses Gerücht bestand in der That und stützte sich auf Thatsachen. Alkuin, des Kaisers Ratgeber und Freund, warnte seine Schüler vor den »gekrönten Tauben, die nächtlich durch die Pfalz fliegen.« Die Folgen der Lasterhaftigkeit liessen nicht auf sich warten.

      Bertha, aus des Kaisers Ehe mit Hildegard, hatte vom gelehrten Dichter Angilbert zwei Söhne. Diese Bertha ist die Urheberin der reizenden Sage von dem treuen Liebespaare Eginhard (Einhard) und Emma (Imma), nach welcher Emma ihren Geliebten, während dessen nächtlichem Besuche Schnee im Schlosshofe gefallen war, der durch die in ihm hinterlassenen Fusstapfen des Geliebten Fortgehen hätte verraten müssen, auf ihrem Rücken zu seiner Wohnung trug. Der Kaiser, den Schmerzen auf seinem Lager wachhielten, sah dies, und gerührt von so viel Liebe, gab er dem Paare seinen Segen. »Offenbar hat die geschäftig webende Sage hier einen anderen Günstling und vertrauten Rat Karls, den gelehrten Angilbert, mit Einhard verwechselt. Letzterer hatte allerdings eine vornehme Jungfrau von trefflichem Charakter und hervorragender Bildung, Namens Imma, zum Weibe, mit der er bis zum Jahre 836 in glücklichster Ehe lebte, doch war er sicher nicht Karls Schwiegersohn, da der Kaiser eine Tochter Imma unseres Wissens nicht hatte.«

      Berthas Schwester Hruotrud, in Hofkreisen Columba genannt, hatte mit dem Grafen Rorich von Maine einen Sohn, und die anderen Töchter Karls waren ebenso leichtfertig, wie die erwähnten. Das grössere Leben Ludwigs des Frommen, Karls Nachfolger, erzählt, das Treiben, das seine Schwestern im väterlichen Hause führten, habe Ludwigs Sinn, obgleich er von Natur milde war, schon lange geärgert. Bald nach seiner Thronbesteigung habe er daher den ganzen, sehr grossen weiblichen Tross mit Ausnahme der geringen Dienerinnen aus dem Palaste schaffen lassen, und seine Schwestern veranlasst, sich auf die ihnen vom Vater bestimmten oder von ihm selbst verliehenen Klöster zurückzuziehen.9

      So gerne Karl in der eigenen Familie beide Augen zudrückte und geflissentlich übersah, was allgemein offenkundig war, so unnachsichtlich zeigte er sich gegen die öffentliche Unsittlichkeit. Aus Paris z. B. suchte er alle öffentlichen Mädchen zu vertreiben. Die Dirnen sollten, falls man sie bei der Ausübung ihres Gewerbes ertappte, gestäupt werden. Wer ihnen Vorschub geleistet oder ihnen Obdach gegeben, sollte sie auf dem Rücken zum Richtplatze tragen. Der Erfolg dieses Erlasses war ganz belanglos, denn die »verliebten Weiber« – filles folles de leurs corps – trieben ihr lichtscheues Handwerk offen und im geheimen nach wie vor und vermehrten sich wie die Wasserpest.

      Gegen die auch in Deutschland immer mehr um sich greifende Sittenlockerung konnte oder wollte Karl nicht einschreiten, vielleicht schon deshalb nicht, weil sie in erster Linie bei dem an Gut und Macht vielvermögenden Adel zuerst und am auffallendsten zum Vorschein kam. Zu jedem der festen Häuser, aus denen sich die Burgen entwickelten, gehörten die Genitia, ursprünglich Werkstätten, in denen hörige und freie Dienerinnen unter Aufsicht der weiblichen Herrschaft die Stoffe für die Kleidung herzustellen, zu sticken, weben, waschen, kochen, kurz alle weibliche Hand- und Hausarbeit vorzunehmen hatten. Diese Genitia oder Frauenhäuser waren von dem Hauptgebäude, der Herrenwohnung, streng geschieden und mit Zäunen, Wall, Graben und Wachttürmen gegen fremde Eindringlinge wohl verwahrt. In diesen Frauenhäusern befanden sich auch die Schlafräume nicht allein der Mägde sondern auch der weiblichen Familienmitglieder, ein Grund mehr, sie zu sichern, besonders das vordere Abteil der Genitia, in dem die Angehörigen des Hausherrn nächtigten, während das Hinterhaus die Dienerschaft beherbergte. Nach dem alten alemannischen Rechte wurde die Notzucht an einer Insassin des Vorderhauses mit sechs Schillingen, an einer des Hintergebäudes mit nur drei Schillingen geahndet. Jedes der Häuser der Grossen und jeder Meierhof besass solch Frauenhaus oder Bordell, nach dem angelsächsischen Bord, Schwelle, benannt. Die anrüchige Nebenbedeutung kam erst viel später in Gebrauch. Diese Frauenhäuser galten bald mit Fug und Recht für die Harems ihrer Besitzer,10 da damals, bis tief in das Mittelalter hinein, die Frauen und Töchter der Unfreien im vollsten Sinne des Wortes die Leibeigenen ihrer Herren waren. Die Allgewaltigen besassen das Recht auf Leben und Tod über ihre Hörigen, die nur als Wertobjekte galten, über dessen Vermietung, Verkauf oder Verpfändung der Besitzer nach Gutdünken zu verfügen vermochte. Da der Wille des Herrn unverbrüchlichen Gehorsam bedingte, so wehrte keine Schranke seinen sinnlichen Gelüsten; er durfte verlangen und war der Gewährung sicher.

      Zu den Herrenrechten des Feudalen gehörte auch die Erteilung der Eheerlaubnis für seine Unfreien. Er durfte jeden Mann, sobald er das 18., und jedes Mädchen, das das 14. Lebensjahr erreicht hatte, zur Ehe zwingen, ebenso verwitweten Gutsleuten eine neue Ehe mit der ihnen zugeteilten Braut aufnötigen. Lag es doch in seinem Interesse, recht viele Ehepaare unter seinen Hörigen zu haben, da sich mit ihrer Kinderzahl auch sein Besitztum an Seelen vergrösserte, was einem Vermögenszuwachs gleichkam. Bisweilen hielt er es jedoch für angebracht, seine Einwilligung zu versagen oder diese von dem Jus primae noctis, nämlich dem Rechte abhängig zu machen, in der ersten Nacht den Gatten bei der Neuvermählten vertreten zu dürfen, wenn er nicht


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<p>7</p>

Einhard, Das Leben Karls d. Gr. Übers. und erl. von H. Althof, S. 42 ff.

<p>8</p>

Einhard a. a. O. S. 45.

<p>9</p>

Einhard, a. a. O. S. 45 Anmerkung 3.

<p>10</p>

Scheible, Das Kloster, VI.