Reden an die deutsche Nation. Johann Gottlieb Fichte

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Reden an die deutsche Nation - Johann Gottlieb Fichte


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zu vermeiden schien – an der Möglichkeit einer Erkenntnis von Gott, und selbst an Gott nicht die geistige Selbsttätigkeit sich erhebe, sondern das leidende Hingeben alles in allem bliebe, hat gegen diese Gefahr die bisherige Menschenbildung das kühne Mittel gefunden, das Dasein Gottes zu einem historischen Faktum zu machen, dessen Wahrheit durch ein Zeugenverhör ausgemittelt wird.

      So verhält es sich wohl freilich; dennoch aber wolle das Zeitalter darum nicht an sich selber verzagen. Denn diese und alle andre ähnliche Erscheinungen sind selber nichts Selbständiges, sondern nur Blüten und Früchte der wilden Wurzel der alten Zeit. Gebe nur das Zeitalter sich ruhig hin der Einimpfung einer neuen edlern und kräftigern Wurzel, so wird die alte ersticken, und die Blüten und Früchte derselben, denen aus jener keine weitere Nahrung zugefügt wird, werden von selbst verwelken und abfallen. Jetzt vermag es das Zeitalter noch gar nicht, unsern Worten zu glauben, und es ist notwendig, daß ihm dieselben vorkommen wie Märchen. Wir wollen auch diesen Glauben nicht; wir wollen nur Raum zum Schaffen und Handeln. Nachmals wird es sehen, und es wird glauben seinen eignen Augen.

      So wird z. B. jedermann, der mit den Erzeugungen der letzten Zeit bekannt ist, schon längst bemerkt haben, daß hier abermals die Sätze und Ansichten ausgesprochen werden, welche die neuere deutsche Philosophie seit ihrer Entstehung gepredigt hat, und wiederum gepredigt, weil sie eben nichts weiter vermochte, denn zu predigen. Daß diese Predigten fruchtlos verhallt sind in der leeren Luft, ist nun hinlänglich klar, auch ist der Grund klar, warum sie also verhallen mußten. Nur auf Lebendiges wirkt Lebendiges; in dem wirklichen Leben der Zeit aber ist gar keine Verwandtschaft zu dieser Philosophie, indem diese Philosophie ihr Wesen treibt in einem Kreise, der für jene noch gar nicht aufgegangen, und für Sinnenwerkzeuge, die jener noch nicht erwachsen sind. Sie ist gar nicht zu Hause in diesem Zeitalter, sondern sie ist ein Vorgriff der Zeit und ein schon im voraus fertiges Lebenselement eines Geschlechts, das in demselben erst zum Lichte erwachsen soll. Auf das gegenwärtige Geschlecht muß sie Verzicht tun; damit sie aber bis dahin nicht müßig sei, so übernehme sie dermalen die Aufgabe, das Geschlecht, zu welchem sie gehört, sich zu bilden. Erst wie dies ihr nächstes Geschäft ihr klar geworden, wird sie friedlich und freundlich zusammenleben können mit einem Geschlechte, das übrigens ihr nicht gefällt. Die Erziehung, die wir bisher beschrieben haben, ist zugleich die Erziehung für sie: wiederum kann in einem gewissen Sinn nur sie die Erzieherin sein in dieser Erziehung; und so mußte sie ihrer Verständlichkeit und Annehmbarkeit zuvoreilen. Aber es wird die Zeit kommen, in der sie verstanden und mit Freuden angenommen werden wird; und darum wolle das Zeitalter nicht an sich selbst verzagen.

      Höre dieses Zeitalter ein Gesicht eines alten Sehers, das auf eine wohl nicht weniger beklagenswerte Lage berechnet war. So sagt der Seher am Wasser Chebar, der Tröster der Gefangenen nicht im eignen sondern im fremden Lande: »Des Herrn Hand kam über mich und führte mich hinaus im Geiste des Herrn, und stellte mich auf ein weit Feld, das voller Gebeine lag, und er führte mich allenthalben herum, und siehe, des Gebeines lag sehr viel auf dem Felde, und siehe, sie waren sehr verdorret. Und der Herr sprach zu mir: du Menschenkind, meinest du wohl, daß diese Gebeine werden wieder lebendig werden? Und ich sprach: Herr, das weißest nur du wohl. Und er sprach zu mir: Weissage von diesen Gebeinen, und sprich zu ihnen: ihr verdorrten Gebeine, höret des Herrn Wort! So spricht der Herr von euch verdorrten Gebeinen, ich will euch durch Flechsen und Sehnen wieder verbinden, und Fleisch lassen über euch wachsen; und euch mit Haut überziehen, und will euch Odem geben, daß ihr wieder lebendig werdet, und ihr sollet erfahren, daß ich der Herr sei. Und ich weissagte, wie mir befohlen war, und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und regte sich, und die Gebeine fügten sich wieder aneinander, ein jegliches an seinen Ort, und es wuchsen darauf Adern und Fleisch, und er überzog sie mit Haut; noch aber war kein Odem in ihnen. Und der Herr sprach zu mir: Weissage zum Winde, du Menschenkind, und sprich zum Winde: so spricht der Herr: Wind, komm herzu aus den vier Winden, und blase an diese Getöteten, daß sie wieder lebendig werden. Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig, und richteten sich auf ihre Füße, und ihrer war ein sehr großes Heer.« Lasset immer die Bestandteile unsres höhern geistigen Lebens ebenso ausgedorret, und eben darum auch die Bande unsrer Nationaleinheit ebenso zerrissen, und in wilder Unordnung durcheinander zerstreut herumliegen, wie die Totengebeine des Sehers; lasset unter Stürmen, Regengüssen und sengendem Sonnenscheine mehrere Jahrhunderte dieselben gebleicht und ausgedorrt haben: – der belebende Odem der Geisterwelt hat noch nicht aufgehört zu wehen. Er wird auch unsers Nationalkörpers erstorbene Gebeine ergreifen und sie aneinanderfügen, daß sie herrlich dastehen in neuem und verklärtem Leben.

      Vierte Rede

      Hauptverschiedenheit zwischen den deutschen und den übrigen Völkern germanischer Abkunft

      Das in diesen Reden vorgeschlagene Bildungsmittel eines neuen Menschengeschlechts müsse zu allererst von Deutschen an Deutschen angewendet werden, und es komme dasselbe ganz eigentlich und zunächst unsrer Nation zu, ist gesagt worden. Auch dieser Satz bedarf eines Beweises, und wir werden auch hier, so wie bisher, anheben von dem höchsten und allgemeinsten, zeigend, was der Deutsche an und für sich, unabhängig von dem Schicksale, das ihn dermalen betroffen hat, in seinem Grundzuge sei und von jeher gewesen sei, seitdem er ist; und darlegend, daß schon in diesem Grundzuge die Fähigkeit und Empfänglichkeit einer solchen Bildung, ausschließend vor allen andern europäischen Nationen, liege.

      Der Deutsche ist zuvörderst ein Stamm der Germanier überhaupt, über welche letztere hier hinreicht die Bestimmung anzugeben, daß sie da waren, die im alten Europa errichtete gesellschaftliche Ordnung mit der im alten Asien aufbewahrten wahren Religion zu vereinigen, und so an und aus sich selbst eine neue Zeit, im Gegensatze des untergegangenen Altertums, zu entwickeln. Ferner reicht es hin den Deutschen insbesondere nur im Gegensatze mit den andern neben ihm entstandenen germanischen Völkerstämmen zu bezeichnen; indem andre neueuropäische Nationen, als z. B. die von slawischer Abstammung, sich vor dem übrigen Europa noch nicht so klar entwickelt zu haben scheinen, daß eine bestimmte Zeichnung von ihnen möglich sei, andre aber von der gleichen germanischen Abstammung, von denen der zugleich anzuführende Hauptunterscheidungsgrund nicht gilt, wie die Skandinavier hier unbezweifelt für Deutsche genommen werden, und unter allen den allgemeinen Folgen unsrer Betrachtung mit begriffen sind.

      Vor allem voraus aber ist der jetzt insbesondere anzustellenden Betrachtung folgende Bemerkung voranzusenden. Ich werde als Grund des erfolgten Unterschiedes in dem ursprünglich einen Grundstamme eine Begebenheit angeben, die bloß als Begebenheit klar und unwidersprechlich vor aller Augen liegt; ich werde sodann einzelne Erscheinungen dieses erfolgten Unterschiedes aufstellen, welche als bloße Begebenheiten wohl ebenso einleuchtend dürften gemacht werden können. Was aber die Verknüpfung der letztern, als Folgen mit dem ersten, als ihrem Grunde, und die Ableitung der Folge aus dem Grunde betrifft, kann ich im allgemeinen nicht auf dieselbe Klarheit und überzeugende Kraft für alle rechnen. Zwar spreche ich auch in dieser Rücksicht nicht eben ganz neue und bisher unerhörte Sätze aus, sondern es gibt unter uns viele einzelne, die für eine solche Ansicht der Sache entweder sehr gut vorbereitet, oder auch wohl mit derselben schon vertraut sind. Unter der Mehrheit aber sind über den anzuregenden Gegenstand Begriffe im Umlaufe, die von den unsrigen sehr abweichen, und welche zu berichtigen, und alle, von solchen die keinen geübten Sinn für ein Ganzes haben, aus einzelnen Fällen beizubringenden Einwürfe zu widerlegen, die Grenze unsrer Zeit und unsres Planes bei weitem überschreiten würde. Den letztern muß ich mich begnügen das in dieser Rücksicht zu Sagende, das in meinem gesamten Denken nicht so einzeln und abgerissen und nicht ohne Begründung bis in die Tiefe des Wissens dastehen dürfte, wie es hier sich gibt, nur als Gegenstand ihres weitern Nachdenkens hinzulegen. Ganz übergehen durfte ich es, noch abgerechnet die für das Ganze nicht zu erlassende Gründlichkeit, auch schon nicht in Rücksicht der wichtigen Folgen daraus, die sich im spätern Verlaufe unsrer Reden ergeben werden, und die ganz eigentlich zu unserm nächsten Vorhaben gehören.

      Der zu allererst und unmittelbar der Betrachtung sich darbietende Unterschied zwischen den Schicksalen der Deutschen und der übrigen aus derselben Wurzel erzeugten Stämme ist der, daß die ersten in den ursprünglichen Wohnsitzen des Stammvolks blieben, die letzten in andre Sitze auswanderten, die ersten die ursprüngliche Sprache des Stammvolks behielten und fortbildeten, die letzten eine fremde Sprache annahmen, und dieselbe allmählich nach ihrer Weise umgestalteten. Aus


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