Das Nest der Zaunkönige. Gustav Freytag

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Das Nest der Zaunkönige - Gustav Freytag


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Gesellen

      Die beiden Mönche zogen nebeneinander durch das Flußtal, Tutilo hoch zu Roß, Reinhard demütig zu Fuß; in heißem Sonnenlicht stiegen sie den Hügel hinauf, auf welchem Herr Bernheri, der Abt, sich ein kleines Kloster erbaut hatte, ganz nach seinem Herzen, seinen Mönchen zum Trotz. Es sah einer Burg ähnlicher als einer heiligen Zelle, hinter dem Graben ragte eine hohe Mauer und an dem offenen Tor saß auf seinen Spieß gestützt ein Kriegsmann. Gemächlich erhob er sich, empfing mit geringer Kopfneigung den Segen, welchen Tutilo spendete, und führte ihn in den Hofraum. Dort stand neben einer Kapelle das neugebaute Haus des Abtes, eine zweistöckige Kemenate mit einem Vorhaus, dessen Dach auf schön geschnitzten Holzsäulen ruhte, daneben erhoben sich Ställe und ein umhegter Raum, aus welchem unablässig das Gebell vieler Hunde klang. Gegenüber dem Haus des Abtes ragte eine hölzerne Halle für das Kriegsvolk, auf den schattigen Stufen dehnten sich mehrere Bewaffnete, ihnen gesellt zwei Mönche. Die großen Trinkkannen, welche dazwischen standen und das laute Gelächter der Trinker bewies, daß diese Klosterleute nicht unter strenger Zucht lebten. Tutilo begann bitter, während er einritt: »Du weißt, mein Bruder, St. Petrus war ein Kriegsknecht, er trug ein Schwert in der Nacht, da der Herr verraten ward; darum gefiel es auch dem Abte, diese Behausung von Jägern und Schwertträgern als eine Burg St. Petrus zu gründen.« Die eintretenden Mönche störten die lustige Gesellschaft, die Klosterbrüder eilten herzu und während sie um den Segen baten, blickten sie spähend und mißtrauisch nach dem Präpositus.

      Als ein Mönch von St. Peter die Glocke der Abtei gezogen hatte, trat Eggo, der vertraute Kämmerer des Abtes, in die Tür und führte die Gäste eine Wendeltreppe hinauf in das Gemach, wo Herr Bernheri am liebsten zu weilen pflegte. Dort sah man zwischen den Säulen und Rundbogen der kleinen Fenster in ein Waldtal hinab, und im Vorgrund auf grüne Weiden und wogende Ährenfelder, das große Kloster Wigberts aber sah man nicht. Über dem Tisch in der Mitte des Raumes lag eine Decke, welche zierlich mit der Nadel gestickt war, auf dem hohen Lehnstuhl weiche Kissen. Geweihe, die an der Wand befestigt waren, dienten als Haken, woran Waffen zur Jagd und zum Kriege hingen: Hornbogen und Köcher, Eberspieße und große Halsbänder mit eisernen Stacheln für die Jagdhunde.

      Herr Bernheri war ein wohlbeleibter Herr mit großem Haupte; dem geröteten Gesicht und den dicken Augenlidern merkte man an, daß er sorgfältig den Wein seines Kellers prüfte; er trug einen langen Hausrock von feinem dunklen Tuch, am Halse ein goldenes Kreuz. Die Mönche knieten nieder, Tutilo zögernd und mit steifem Nacken, so daß man den Zwang erkannte.

      Der Abt blickte unzufrieden auf den Präpositus und begann, während er mit flüchtiger Handbewegung den Segen erteilte: »Ungern sehe ich heut dein Gesicht, Tutilo, da du doch die Brüder, wie ich höre, in das Heufest gesandt hast. Es wäre besser, wenn du deine gefurchte Stirn den Heimkehrenden entgegenhieltest, damit ihnen die weltliche Fröhlichkeit aus dem Herzen schwände. Aber auch die krächzende Krähe flieht gern dorthin, wo sich die Habichte niederlassen.«

      »Du selbst, Herr und Abt von Wigbert, vergleichst dich mit dem Habicht, der sich in dem Klostergut niedergelassen hat,« versetzte Tutilo schnell aufstehend, »ich aber und mancher von den Brüdern meinte, daß in der Notzeit des Klosters den Brüdern gezieme, ihren Groll zu vergessen und einträchtig auf Nützliches zu denken, was die Gefahr abwenden kann.«

      »Du sprichst gut,« versetzte der Abt ungnädig, »sorge dafür, daß deine Taten der Rede nicht widersprechen. Kommst du auch ungeladen, sitze dennoch nieder, ob du dem Kloster deine Treue erweisen kannst.« Er winkte dem Mönch Eggo, dieser verschwand und trug drei große silberne Becher und eine Weinkanne herzu, die er auf den Tisch stellte, er selbst aber trat hinter den Lehnstuhl des Abtes. Dieser setzte sich gewichtig, winkte den Gästen zu beiden Seiten Platz zu nehmen und sagte auf die Becher weisend: »Es sei erlaubt. Ich freue mich deiner Ankunft, Reinhard. Deine Klugheit ist rühmlich bekannt, du hast dich den Heiligen unserer Kirche in meine Hand zugeschworen und als vertrauten Boten habe ich dich nach Thüringen gesandt, damit du gleich einem Fremden ohne Gunst und Haß die Höfe des Klosters bereisest und mit eigenen Augen alles erkundest, denn üble Nachrichten erhalten wir aus jedem Gaue. Jetzt berichte von unsern Höfen und von den Zellen, in denen unsre Brüder hausen, damit wir alles erfahren, wenn es auch unwillkommen ist.«

      Reinhard holte einen Pergamentstreifen heraus, auf dem die Hufen und Höfe des Klosters verzeichnet waren und begann den Reisebericht. Es war eine lange Reihe von Klagen der Verwalter über Gewalttat der Grafen und Widerspenstigkeit der Verpflichteten. Als er innehielt, tat Herr Bernheri einen tiefen Trunk und sprach darauf seufzend: »Solange ich lebe, habe ich erfahren, daß die Frommen spenden und die Gottlosen nehmen. Sonst waren der Frommen mehr und der Gottlosen weniger. Wie ein Weiher ist das Klostergut, in den die kleinen Quellen rieseln; wenn er aber gefüllt ist, kommen die Müller des Teufels, öffnen ihre Gräben und leiten die Flut wieder ab über ihre Mühlräder. Ich sorge, der Weiher wird einmal leer und meine Mönche werden wie Karpfen in mißfarbigem Schlamme zappeln.«

      »Wer kommendes Unglück meldet, dem danken wir, wenn er auch sagt, wie zu helfen ist. Unerhört ist es, daß ein neuer Bruder die Geheimnisse des Klosters erfährt, welche sonst nicht einmal den Dekanen bekannt sind,« fiel Tutilo mit rauher Stimme ein. »Leichter ist es Klagen vorzutragen, als die Hilfe zu finden.«

      »Du selbst weißt ja, mein Vater,« antwortete Reinhard, »wo die beste Hilfe zu finden ist. Die Heiligen fragen vor allem, ob unsere Brüder nach der heiligen Regel ihren Dienst tun. Den Säumigen aber entziehen sie ihre Gnade. Manches sah ich in St. Wigberts Kloster, was nicht nach der Regel war.«

      »Sage das doch den Mönchen in Fulda, in Corvey und sonstwo, überall ist der Mutwille größer als bei uns,« rief Tutilo zornig, »und lebt ihr in Altaha, die ihr euch als starker Beter rühmt, deshalb in größerer Sicherheit?«

      »Gern verkünde ich dir, o Herr, auch Günstiges,« fuhr Reinhard ruhig fort, »nämlich, daß unter den Waldleuten, welche bei unserer Zelle Ordorf wohnen, ein neuer Eifer erwacht ist. Die Brüder, welche du dorthin gesandt hast, leben in froher Hoffnung, denn sie meinen, großes Unheil sei ihnen widerfahren. In mehr als einer Nacht sahen die Brüder Licht in der Kirche und als Hunibald der Magister einst aufstand und hineinging, erkannte er einen Schein über der Platte, unter welcher, wie die Sage geht, der selige Vater Meginhard, der Genosse des heiligen Bonifacius, bestattet ist. Viel erzählen sie dort von den christlichen Heldentaten, die Meginhard zu seiner Zeit unter den Heiden gewirkt hat. Die Laien drängen sich in die Kirche und beten auf seinem Grabe und große Heilungen von schweren Leiden werden berichtet, die an dieser Stätte ganz plötzlich gelungen sind. Das läßt Hunibald dir durch mich mit Freuden verkünden.«

      Der Abt schüttelte unzufrieden das Haupt. »Ich kenne den Sinn unserer Brüder in Ordorf, sie sind gutwillig, aber unbesonnen und ihrem Glauben fehlt die Prüfung. Ich kenne auch alte Vetteln, welche von einer Stätte zur andern laufen und ihre Gebresten heilen lassen, damit man sie rühme, auf den Schultern trage und mit guter Kost füttere. Die in Ordorf mögen sich wahren, daß die Kinder der Welt uns nicht verspotten und daß nicht zuletzt ein großes Skandalum aus dem Wunder werde.«

      »Es ist nicht begehrliches Volk allein, welches zuströmt, auch ehrbare Leute rühmen die Wunderkraft des seligen Bekenners.«

      »Und vermagst auch du sie zu rühmen nach dem, was du gesehen hast?« frug der Abt prüfend.

      »Ich hatte, wie du weißt, nicht die Zeit und nicht das Amt, nach der Wahrheit zu forschen,« versetzte Reinhard.

      »Ich aber meine,« rief Tutilo, die Faust auf den Tisch setzend, »daß den Heiligen zu Herolfsfeld ein übler Dienst geschieht, wenn der selige Memmo zu Ordorf einen Zulauf als Wundertäter erhält und am Ende gar zu Rom als Heiliger aufgenommen wird. Denn die Leute in den Waldlauben werden froh sein, wenn sie einen besonderen Fürbitter gewinnen, und die Edlen werden bei König und Papst bald darauf antragen, daß wir Ordorf aus unserer Klosterzucht entlassen und daß dort oder in der Nähe eine eigene Abtei gegründet wird, und Meginhard würde sich schnell als ein großer Räuber am Wigbert erweisen. Deshalb rate ich, daß wir unsern Heiligen getreu bleiben und uns nach Kräften bemühen, die Wunder zu stillen und nicht landkundig zu machen.«

      Der Abt nickte. »Er spricht das Richtige. Wenn ein Lichtschein dem Kloster helfen könnte, so vertraue ich, würden unsere Fürbitter


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