Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika. Gerstäcker Friedrich

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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika - Gerstäcker Friedrich


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Eine Ausforderung wurde angenommen, Don Morelos aber, vielleicht schon damals in einem Anfall von Raserei, erstach den Secundanten seines Gegners und verwundete diesen selber ebenfalls so schwer, daß er für todt auf dem Platz blieb und erst nach langwierigem Krankenlager wieder hergestellt werden konnte.«

      »Die Polizei war damals auf seinen Fersen, und man sagt, daß er der Strafe nur durch die merkwürdige Ähnlichkeit eines anderen Mannes entging, der an seiner Stelle von den Mashorqueros unseres glorreichen Gouverneurs ermordet wurde. Als er nach langem Siechthum wieder erstand, war er so verändert, daß man ihn kaum wieder erkannte; aber obgleich man ihn ruhig eine Zeit lang in der Stadt gewähren ließ, hatte man doch noch immer keine Ahnung davon, daß er irrsinnig geworden sein könne, bis er das alte Verhältniß mit seiner früheren Braut, die jetzt aber schon lange seinen früheren Nebenbuhler geheirathet, mit Gewalt fortsetzen wollte und dabei erklärte und behauptete, Donna Constancia sei vor Gott sein Weib, und ihr Gemahl, den er mit den entsetzlichsten Schimpfworten belegte, habe sich heimlich und lügnerisch in ihre Gunst gestohlen. Immer wildere Mährchen setzte er sich dabei zusammen, und damals kam man zuerst auf die Vermuthung, daß er wahnsinnig geworden wäre.«

      »Eine genaue Beobachtung seines ganzen wunderlichen Lebens, denn er hatte sich in einem kleinen ärmlichen Häuschen der Vorstadt eingemiethet, setzte übrigens die Thatsache seines Wahnsinnes bald außer allen Zweifel er stieß sogar in einem öffentlichen Kaffeehaus einst einen, ihm wildfremden Menschen, mit dem er in ein immer hitziger werdendes Gespräch gerieth, plötzlich nieder, weil er behauptete, jener habe vor dreiundzwanzig Jahren seine Schwester ermordet – und er selber kann kaum siebenundzwanzig zählen. Dadurch schien aber damals die wirkliche Tollheit bei ihm ausgebrochen zu sein – mit dem noch blutigen Messer stürmte er damals in das Haus der Donna Constancia, ihren Gatten, Don Luis de Gomez, dem er die entsetzlichsten Dinge nachsagte – ebenfalls zu ermorden. Glücklicher Weise warf ihm die Polizei noch dicht vor dessen Thür einen Lasso über, und brachte ihn hierher.«

      »Die ersten Wochen mußten wir ihn übrigens in einer der unteren festen Zellen halten; er wüthete und raste und verlangte frei gelassen zu werden; nach und nach legte sich das aber wieder, ja, er wurde so vernünftig, daß man wirklich einmal den Versuch mit ihm machte, ihn wieder, natürlich unter ihm unbewußter Aufsicht, aus der Anstalt zu entlassen. Das wäre aber beinahe schlimm abgelaufen, denn sein erster Gang war in das Haus des Don Luis, und ehe man es verhindern konnte, überfiel er den Señor und würde ihn erwürgt haben, hätte die Polizei nicht noch gerade zur rechten Zeit einspringen können. Er behauptet seit der Zeit, jene Dame sei seine eigene Frau, er aber habe einen Fremden bei ihr ertappt und ermordet, und sei deshalb für einen gewissen Zeitraum von den Gerichten eingekerkert worden. Er beträgt sich nun ruhig und ordentlich, und ich glaube, wir haben erst einen neuen Ausbruch zu erwarten, wenn er seine Zeit für abgelaufen halten wird – und müssen abwarten, wann das geschieht.«

      »Sie wissen nun genug,« setzte der alte Herr hinzu, »Ihren Patienten zu behandeln; wie gesagt, vermeiden Sie am Besten jede Unterhaltung mit ihm. Sollte er aber doch, wider Erwarten, gesprächig werden und neue Thorheiten aushecken, so wünsche ich, daß ich augenblicklich davon unterrichtet werde.«

      Stierna empfahl sich, und sein erster Gang war nach der Straße Santa Rosa zurück, die Zellen zu revidiren, und vor allen Dingen den jungen Mann zu besuchen, für den er, besonders nach der eben gehörten Erzählung, ein unbeschreibliches Interesse zu fühlen begann.

      Der alte Don Alvarado hatte aber recht gehabt, Don Morelos begrüßte allerdings seine »neue Bekanntschaft,« wie er ihn nannte, auf das Artigste, schien aber nicht im Mindesten zu einer Unterhaltung aufgelegt, und drei Besuche vergingen, ohne daß der junge Arzt, der vor Ungeduld brannte, sich den Charakter dieses wunderbaren Kranken entwickeln zu sehen, mehr aus ihm herausgebracht hätte, als die gewöhnlichsten und alltäglichsten Begrüßungs- und Höflichkeitsphrasen.

      Am vierten Tag schien der Kranke unruhiger als früher – er war erregt und sein Puls zeigte sogar ein leichtes Fieber. – Stierna erkundigte sich theilnehmend nach den einzelnen Symptomen, die ihm der Spanier jedoch nur als in einer unbedeutenden Erkältung entspringend, angab. Dadurch hatte sich aber zwischen beiden Männern eine Art Annäherung gebildet – es war fast, als ob zwischen ihnen eine Schranke gefallen sei, und der junge Spanier wurde, ehe ihn der Arzt wieder verließ, fast heiter, scherzte und lachte, und erzählte Anekdoten aus seinem frühern Leben – ohne jedoch die unmittelbar vor seiner Einkerkerung liegende Periode auch nur mit einer Sylbe zu erwähnen.

      Als Stierna am andern Morgen wieder in seine Zelle trat, war es fast, als ob er einen alten Freund begrüßte, und doch hatte Don Morelos auch im Anfang wieder etwas Zurückhaltendes – es war, als ob ihm etwas auf dem Herzen liege, dessen er sich zu entlasten wünsche, und doch den Muth dazu nicht fassen könne. Stierna sah dies weniger, als daß er es fühlte, und mit der Berechtigung des Arztes, dem Kranken mit seinen Fragen geradezu in das Herz des Leidens, an die Wurzel des Übels zu gehen, nahm er seine Hand, und bat ihn frei und offen, mit ihm wie mit einem Bruder zu sprechen, wenn er irgend etwas für ihn thun, ihn in irgend etwas erleichtern könne.

      Der junge Spanier sah ihn erst, wohl eine volle Minute, ernst und schweigend an, dann aber schüttelte er leise und wehmüthig lächelnd mit dem Kopf und sagte tief aufseufzend, und wie es schien mehr mit sich selber als zu dem Arzte redend:

      »Es ist Alles vergebens – Sie würden mir doch nicht glauben, und – ich bin früher nach solchen Erklärungen nur härter behandelt worden – Rosas ist zu mächtig.«

      Stierna sah ihn erstaunt an – diese Worte, ruhig und ohne die geringste Leidenschaft gesprochen, klangen gar nicht wie aus dem Munde eines Wahnsinnigen, und doch, auf eine unendlich verschiedene Weise äußert sich dieß entsetzlichste der menschlichen Leiden – der Irrsinn – wenn er das arme Hirn zerrüttet und den verstümmelten Geist nur noch im Körper gelassen zu haben scheint, die willenlose Maschine in toller ungeregelter Bahn vorwärts zu treiben – was Wunder, daß sie manchmal auf kurze Zeit der geraden ebenen Straße folgt, wer aber weiß, wenn und wie schnell sie wieder rechts oder links abstürmt in das Leere.

      Der junge Spanier warf einen halb forschenden, halb schmerzlichen Blick auf das Antlitz des jungen Arztes, und als ob er gelesen, was in dessen Inneren vorgegangen, setzte er, mit dem Kopfe still vor sich hinnickend und kaum hörbar hinzu:

      »Auch er!«

      Stierna fühlte sich in einer peinlichen Situation; das Gespräch war plötzlich viel zu ernst geworden, ihn die Gefahr nicht einsehn zu lassen, wenn er darauf einging, und wie konnte er jetzt am besten wieder zurück? – Das Einfachste schien, irgend ein anderes Gespräch zu beginnen, ehe er aber dazu kommen konnte, stand Don Morelos plötzlich auf, nickte finster lächelnd mit dem Kopf, und ein paar Mal im Zimmer auf und ab gehend, sagte er endlich:

      »Ich sehe, Sie haben Ihnen schon dasselbe Mährchen von mir erzählt, wie meinem früheren – Wärter, ich bin Ihnen als ein Tollhäusler geschildert, der anderer Leute Frauen für seine eigenen hält und die Männer deshalb anfällt – nicht wahr, ich habe recht?«

      Er blieb, während er diese Worte sprach, lächelnd und mit verschränkten Armen vor Stierna stehen, und es lag etwas Triumphirendes in seinen Mienen, denn die Überraschung des jungen Arztes war deutlich in dessen Zügen ausgeprägt.

      »Und Sie fühlen, daß dies nur eine Phantasie ist?« frug der Schwede, aber erst nach einer Pause, in der er wirklich seine Sinne diesem neuen Eindruck sammeln mußte. – »Sie sind überzeugt, daß diese Ideen nicht wieder kehren werden?«

      »Lieber Freund,« sagte der Spanier ernst, »nur Gott kann hier für uns einstehen für das was wir werden sollen; nehmen Sie aber den gesundesten Gaucho von der Straße herauf, sperren ihn in einen dieser Räume – schreien ihm in's Ohr, daß er sich in einem Irrenhause befände und selber toll sei, und seine Sinneswerkzeuge müßten von Stahl und Eisen sein, wenn er es nicht wirklich auch am Ende würde – der Geist hält es nicht aus, gegen eine solche furchtbare Idee immer und immer wieder vergebens anzukämpfen.«

      »Aber wenn Sie fühlen, daß Sie jene Idee abgeschüttelt haben, so werden sich diese Thore auch bald Ihnen öffnen – ich will gleich heute mit Don Alvarado – «

      »Um Gottes Willen nicht!« unterbrach


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