Der Kunstreiter, 1. Band. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.gerade, als ob er von seinen Renten leben könnte! Er hat weiter nichts gelernt, als die sogenannte »brotlose Kunst«, die uns aber doch ein ganz hübsches Brot abwirft, und die Dressur der Pferde, in der er Meister ist. Sollte er aber jetzt, wo er so viele in seinem Dienste gehabt, selber Dienste bei einem Herrn nehmen und Bereiter werden? Er hielte es nicht vierundzwanzig Stunden aus.«
»Und finden Sie selber Freude an diesem Beruf – an dieser Kunst, wenn Sie wollen?«
»Ich lebe und atme darin!« rief Georgine, und ihre Augen leuchteten, ihre ganze Gestalt hob sich. »Auf dem Rücken meines Tieres bin ich ein anderes Wesen, gehöre ich dieser Erde kaum mehr an, und was dem Fisch das Wasser, der Pflanze das Licht sein mag, ist mir der jauchzende Beifall der Menge, die buntgeschart mich umgibt. Ich schwimme dann in einem Meer von Glanz und Licht und Wonne, und – erwache erst, wenn diese Wände hier aufs neue mich umgeben – einschließen.«
»Und das ist doch ein unnatürlich Leben,« sagte der junge Graf, »das Haus ist eigentlich des Weibes schönster Wirkungskreis.«
»Nicht der meine!« rief Georgine, indem ein trotziges Lächeln ihre schönen Lippen umspielte. »Das Haus? – ja, für die Weiber, die nähen und stricken und Freude an ihrem Wäschschrank finden können. Mein Wirkungskreis liegt draußen in der Bahn; ich tanze, fliege durch das Leben, und so – so möcht' ich enden, wenn es denn einmal geschieden, gestorben sein muß. Aber Sie sind Soldat. Sie können sich am besten, am leichtesten in solche Sehnsucht denken. Und möchten Sie, wie Sie da vor mir stehen, als Mann, das Leben eines Stubenhockers, eines Aktenmenschen, wählen, der über seinen staubigen Papieren brütet und Licht und Luft und Sonnenschein da draußen ungesehen, unbeachtet wirken, schaffen, segnen läßt? Sie nicht, Sie wahrlich nicht, und gerade so denk' auch ich. Von klein auf zu diesem Beruf herangebildet, hab' ich mit der Muttermilch schon die Lust an solchem Leben eingesogen, und wem das nun einmal im Blute liegt, glauben Sie nicht, daß der sich einer geregelten – einer festgeschnürten Existenz möcht' ich es nennen, einem Gang in der Tretmühle des menschlichen Lebens je wieder fügen könne. Zugvögel, die wir sind, müssen wir auch die Freiheit des Zugvogels behalten, wenn wir nicht verkümmern, nicht untergehen sollen.«
»Und denkt Ihr Gatte ebenso?«
»Gewiß – er wäre sonst nicht der, der er ist: Bertrand, der kühnste aller Reiter und – mein Mann. Aber ich plaudere und plaudere und denke nicht daran, daß es Sie wenig kümmern wird, welche Gesinnungen über ihr Leben eine Kunstreiterin hegt. Von Ihren Sphären sind wir freilich ausgeschlossen, und doch, – wer weiß, ob nicht so wackere Herzen oft unter dem bunten Tand, mit dem wir uns behängen müssen, wie unter Stern und Ordensbändern schlagen! Doch mein Geschwätz ermüdet Sie; nehmen Sie wieder Platz, Herr Graf, und – wenn Sie es wünschen und etwas Besonderes mit Monsieur Bertrand zu bereden haben, will ich ihn rufen lassen. Der Zirkus ist nur wenige Schritte von hier entfernt.«
»Ich danke Ihnen, Madame,« unterbrach sie der Rittmeister. »Meine Zeit ist überdies heute beschränkt, wie die seine wahrscheinlich. Morgen früh wird ihm eher Raum bleiben, mir eine halbe Stunde zu gönnen. Meine Wohnung finden Sie auf der Karte angegeben. Ich darf Sie bitten, ihm meinen Wunsch mitzuteilen?«
»Ihr Auftrag soll pünktlich vollzogen werden,« sagte die Frau, und der Rittmeister, indem er sich dankend verbeugte, grüßte sie achtungsvoll und verließ das Zimmer.
Georgine blieb, die Unterlippe mit den kleinen, weißen Zähnen gefaßt, wohl mehrere Minuten in derselben Stellung am Fenster. Sie hielt die Karte, die er ihr gegeben, noch in der Hand, und ihre Augen hafteten darauf.
»Kalt wie Eis,« murmelte sie dann mit einem spöttischen und doch auch wieder verdrießlichen Lächeln vor sich hin, »aber – was er nur von Georg will, denn die Aehnlichkeit war leere Ausrede – Graf Wolf von Geyerstein, Rittmeister – hier – und Adjutant des Fürsten? – Sollte der Fürst – vielleicht wegen des Turmseiles? aber, bah! was hat der mit dem Kunstreiter zu schaffen, daß er einen seiner Adjutanten zu ihm schicken würde? Auch war der Herr Rittmeister nicht in Uniform, sondern in Zivil; er hat sich vielleicht geschämt, in Uniform bei uns gesehen zu werden. Aber er wollte Georg sprechen, nicht mich. – Doch, was zerbreche ich mir den Kopf?« rief sie plötzlich, die Karte neben sich auf den Tisch werfend. »Ob Herr Graf Wolf von Geyerstein Ursache hat den Kunstreiter Bertrand aufzusuchen oder nicht – was kümmert's mich! Georg mag das selber untersuchen. Die ganze Sache läuft doch nur zuletzt auf einen Pferdekauf hinaus.«
»Ist er fort?« sagte in diesem Augenblicke der Alte, der seinen Kopf wieder zur Türe hereinsteckte.
»Wie du siehst, ja,« erwiderte gleichgültig die Frau, »dort unten geht er eben über die Straße.«
»War gerade noch so ein Musjö da, der dich sprechen wollte.«
»So? – Wer?«
»Der geschniegelte und geleckte Bengel mit dem Schnurbart wie ein Malerpinsel. Silbermann oder Silberfranz – was weiß ich's, wie er heißt! Ich habe ihn gleich an der Treppe abgefertigt.«
»Das war recht – ich mag den faden Menschen überhaupt nicht leiden.«
»Und wer war der?«
»Ein Graf.«
»Und wollte?«
»Georg sprechen.«
»Nur Georg?«
»Nur Georg.«
»Pferdehändler!« brummte der Alte und schleppte seine Jacke wieder zum Fenster, an dem er den alten Platz einnahm, um mürrisch und finster wie vorher an dem scheckigen, schmutzigen Kleidungsstück weiter zu nähen. Kein Wort wurde mehr zwischen den beiden gewechselt, die jedes mit den eigenen Gedanken vollständig beschäftigt schienen. Da schallten Schritte vom Vorsaale herein.
»Georg,« sagte die Frau aufhorchend.
»Wird mich wieder zur Probe haben wollen,« knurrte der Alte, »aber verdammt will ich sein, wenn ich jetzt hinübergehe. Heute die Rackerei zweimal ist vollständig genug.«
Die Türe ging auf, und Monsieur Bertrand betrat in der Tat das Zimmer, ohne die beiden aber nur im Mindesten zu beachten. Selbst ohne Gruß kam er herein, warf seinen Hut auf einen Stuhl und schritt dann eine Weile, die Arme fest ineinander geschlagen, in dem kleinen Raume auf und ab. Der Alte warf einen forschenden Blick nach ihm hin, nahm aber weiter keine Notiz von ihm, und nur Georgine sagte endlich: »Ist etwas vorgefallen, daß du so verdrießlich bist?«
»Vorgefallen? – nein,« erwiderte der Mann, ohne seinen Spaziergang zu unterbrechen.
»Ist die Erlaubnis zu deinem Turmseil noch nicht gekommen?«
»Nein.«
»Und wär' auch kein Schade, wenn sie ganz ausbliebe!« brummte der Alte. »Mit dem verwünschten Seiltanzen nimmt es noch einmal ein böses Ende. Und wenn Ihr's noch nötig hättet! Aber die Reiterei ist weit ehrenvoller und bringt hundertmal mehr Geld ein, als der halsbrechende Lauf.«
»Aber er macht Aufsehen!« rief Georgine rasch. »Wenn sich die Kunde verbreitet, daß Georg gewagt hat, was vor ihm noch keiner wagte, strömt das Volk von nah und fern herzu, um ihn zu sehen.«
»Sie denken gar nicht daran,« sagte der Alte finster, »und du solltest gerade die letzte sein, die dem Tollkopf auch noch zuredete, sein Leben an solch einen Quark zu wagen. Was wird aus dir, aus uns allen, wenn er den Hals bricht oder selbst nur zum Krüppel stürzt?«
»Und geht er nicht so sicher auf dem Seil, wie hier auf ebenem Boden?« rief die Frau.
»Papperlapapp! mir mußt du so etwas nicht sagen,« meinte aber kopfschüttelnd der Hanswurst. »Mein Bruder, der lange Franz, mit dem ich meine tollsten Jahre verlebt, war ein so tüchtiger Seiltänzer wie nur einer, und wie er zuletzt glaubte, er könnt's ganz allein, und höher und immer höher stieg, passierte ihm doch einmal etwas Menschliches. Ob er den Krampf bekam, ob er schwindelig wurde – er hat's keinem Menschen mehr erzählt, aber ich seh' ihn noch vor mir, wie er da oben haushoch über die staunende Menschenmenge hinlief, daß wir unten, gegen den grauen Himmel hin, nicht einmal mehr das Seil erkennen konnten – ich sehe ihn noch vor mir, wie er auf einmal schwankte, wie ihm die Stange aus der Hand fiel, und ein Schrei von den Tausenden