Der Kunstreiter, 3. Band. Gerstäcker Friedrich

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Der Kunstreiter, 3. Band - Gerstäcker Friedrich


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ich abgeschüttelt, der mir die Seele wund gedrückt und Geist und Körper niedergebeugt hat, und schon fühle ich den beweglichen Boden wieder unter meinen Füßen, fühle, wie der wehende Luftzug mir die Locken um den Nacken peitscht – sehe die dichtgedrängte Schar der Zuschauer, höre ihr Jauchzen, höre ihr Jubeln und fliege im Triumph die alte Bahn dahin. – Georg wird wüten, wenn er zurückkehrt und mich – wenn er sein Kind nicht mehr findet, obgleich es ihm die deutschen Gesetze zusprechen. Weder Josefine noch ich werden jemals wieder deutschen Boden betreten. Und will er im Schweiße seines Angesichts, in ruhmloser Beschäftigung und Arbeit sein Brot hier verdienen, will er, kann er vergessen, was er einst gewesen, als ich ihn liebte, dann verdient er auch nicht, daß ich je mit einem Atemzuge an ihn gedacht. Und nun ans Werk, denn nur noch wenige Stunden sind mein!« Und mit den Worten, als ob sie damit alles abgeworfen habe, was sie bis jetzt noch gedrückt, ging sie rasch und fröhlich daran, den einmal festbeschlossenen und eingeleiteten Plan zur Flucht auszuführen.

      Vorbereitet war er insofern schon lange, als Georgine ihre Künstlergarderobe gepackt in *** stehen und dort die Weisung hinterlassen hatte, sie ihr später dorthin zu schicken, wohin man eben die Weisung bekommen würde. Gestern hatte sie diese erteilt, und in wenigen Tagen konnte ihr Auftrag vollzogen sein. Ihre wie Josefinens nötigste Kleider waren heute morgen mit dem Wagen des Barons abgegangen, und was sie unterwegs brauchten, konnten sie recht leicht und unbemerkt mit in den Schlitten nehmen.

      Allerdings war die Tour für ihr eigenes Pferd etwas stark, aber es mochte sich nachher lieber wieder ordentlich ausruhen, und auf andere Weise konnte sie es doch nicht mit sich fortführen. Josefine wußte freilich noch kein Wort von der beabsichtigten Flucht aus ihrer neuen Heimat; sie hätte vielleicht gegen ihre Gouvernante nicht geschwiegen, und diese jedenfalls versucht, die Ausführung des Planes zu hintertreiben. War Josefine nicht mehr da, so sah sie sich natürlich auch ohne Stellung – ohne Brot; und wer verliert das gern so leicht? Daß Josefine selber mit Freuden das alte fröhliche Leben begrüßen, daß sie den Vater bald vergessen würde, davon glaubte Georgine fest überzeugt zu sein. Ueberdies hatte das Kind keinen eigenen Willen und mußte der Mutter dahin folgen, wo diese für ihr Glück und ihre Wohlfahrt sorgen wollte.

      Nur etwas mußte sie noch besorgen, dann war sie mit allem fertig, und zwar von des Kindes Leibwäsche genügend für die erste Zeit beiseite zu bringen, ohne daß es Mademoiselle Adele bemerkte. Ein Vorwand, diese zu entfernen, war aber bald gefunden. Georg hatte in seiner Stube einige alte Kupferwerke, die dem Grafen Geyerstein gehörten, und die er deshalb sorgfältig hütete. Josefine durfte die Bilder nicht besehen, wenn er nicht selber dabei war. Heute erlaubte Georgine dem Kinde, hinüberzugehen und sich die Kupferstiche zu betrachten, bat aber die Gouvernante, dabei zu bleiben, daß ja nichts mit den Büchern geschehe und die Erlaubnis nicht mißbraucht werde. Adele wandte allerdings ein, der Herr Baron würde es vielleicht nicht gern sehen und böse werden, wenn er es erführe; Madame dagegen erklärte, die Verantwortung allein auf sich nehmen zu wollen, und die Erzieherin konnte sich natürlich nicht länger weigern, dem Befehle zu gehorchen.

      Die Zeit, die beide dort verbrachten, genügte vollkommen. Georgine packte alles Nötige in zwei große Fußsäcke und schrieb dann die letzten Zeilen an Georg. Der Brief war kurz und inhaltschwer; aber mit sich im reinen, grübelte sie nicht lange über die Fassung. Die Zeilen flogen auf das Papier, dann faltete sie das Blatt zusammen, überschrieb und siegelte es und legte es, als Adele und Josefine Georgs Zimmer wieder verlassen hatten, auf ihres Mannes Schreibtisch.

      Nach dem Mittagessen ging sie noch mit der Wirtschafterin durch die Gebäude und ordnete einiges an, dann zu der Erzieherin auf die Stube und bat diese, Josefinen warm anzuziehen, da sie ein Stündchen mit ihr im Schlitten fahren wolle. Das war den Winter schon einigemal geschehen und konnte deshalb keinen Verdacht erregen. Josefine selber freute sich auch darauf, und mit dem Schlage drei Uhr hielt der eine Knecht, der den Auftrag dazu bekommen, mit dem kleinen leichten, mit Georginens eigenem Pferd bespannten Schlitten vor der Tür. Georgine trug selber den einen Fußsack hinunter und ließ den andern dann, während sie das Pferd hielt, von dem Knechte nachholen. Adele war noch beschäftigt, Josefine recht warm einzuhüllen, und wenige Minuten später klingelte das muntere Tier mit seiner leichten Last lustig zum Tore hinaus und auf der glatten Straße hin, dem Walde zu.

      Unten im Dorfe läutete die Glocke zu dem Begräbnis des alten Tobias, dem die Wirtschafterin und der alte Verwalter pflichtschuldigst beiwohnten, und nach dem Begräbnis gingen die Leute ins Wirtshaus, tranken noch ihr Glas und sprachen über den Verunglückten und die Art seines Todes.

      Von Schildheim aus schritt Herr von Silberglanz, fest in seinem Paletot eingepackt, und ein Paar Pelzstiefel, wie sein kleines Täschchen unter dem einen, seinen großen Pelz über dem andern Arm, einen schmalen Fußpfad entlang gerade dem Walde zu, das ihm bestimmte Rendezvous richtig und pünktlich einzuhalten.

      Es war ein wundervoller Tag, der Schnee glitzerte und funkelte in dem kalten Sonnenlicht, und der hellblaue Himmel war von einem leichten Dunsthauche nur eben matt überzogen. Das muntere Pferd, mit dem leichten Schlitten hinter sich, das überdies jetzt lange im Stalle gestanden hatte, griff auch tüchtig aus, und die Kufen glitten blitzesschnell über den hartgefrorenen, knisternden Schnee.

      »Freut es dich, Josefine,« fragte Georgine, als sie den Waldessaum erreichten, »so mit mir durch die Welt zu fahren?«

      »Ach sehr, Mama, sehr,« rief das Kind, »es ist gar so wunderhübsch. Wäre nur Mademoiselle bei uns!«

      »Und möchtest du lange, recht lange so mit mir fahren? weit, weit hinweg von hier?«

      »Wenn Papa und Mademoiselle Adele mitführen, gewiß – und wenn wir wieder hierher zurückkämen.«

      »Und wenn wir nun wieder hinausführen in die Welt?« sagte die Frau, der diese Worte einen Stich durch das Herz gaben, »wenn wir nun wieder draußen lustig unsere Pferde bestiegen und in Glanz und Lichterpracht dahinflögen?«

      Josefine schüttelte das Köpfchen. »Zu Hause ist's hübscher,« sagte sie, »und ich habe schon beinahe vergessen, wie es früher war.«

      »Zu Hause ist's hübscher?« wiederholte Georgine, »ei, ei, Josefine, hast du ganz vergessen, wie stolz wir früher auf dich waren, wie reizend du auf dem Pferde aussahst, und wie geschickt du deine Sachen machtest?«

      »Ja – aber ich muß jetzt lernen, viel lernen, daß ich einmal eine wackere, brave Frau werden kann,« sagte das Kind, »ich muß auch dem lieben Gott dankbar sein, daß er mir eine Heimat und Eltern gegeben hat, die für meine Erziehung sorgen. Die armen kleinen Mädchen, die draußen auf den Pferden tanzen und springen müssen, haben es doch lange nicht so gut wie ich.«

      »Wer, um Gottes willen,« rief Georgine erstaunt, »hat dir die albernen Dinge in den Kopf gesetzt?«

      »Alberne Dinge, Mama?« sagte Josefine erschreckt, »ich habe eine hübsche Geschichte von einer armen Marie gelesen, und Mademoiselle Adele hat sie mir erklärt, und jetzt freue ich mich so darauf, daß mir Papa eine andere liebe Marie mitbringen will, mit der ich spielen und tüchtig lernen kann.«

      »Und so sehnst du dich gar nicht wieder zu dem früheren Leben zurück, und wenn du auch ein eigenes kleines Pferd bekämest?«

      »Nein, Mama,« sagte Josefine rasch, »ich will bei dir, bei Papa und Mademoiselle Adele bleiben, und mit Marie recht, recht fleißig lernen. Du sollst sehen, ich werde einmal ein recht gutes, braves Mädchen.«

      Georgine erwiderte nichts, aber sie preßte die Lippen fest zusammen, und ihr Gaul fühlte die Peitsche, daß er in toller Flucht den Weg entlang stob.

      Georgine kannte die Waldwege genau, und links abbiegend wußte sie, daß sie das Forsthaus umfahren konnte, um die bezeichnete Eiche zu erreichen. Außerdem glaubte sie kaum jemanden heute im Walde zu treffen, denn bei dem Begräbnis einer so allbekannten Persönlichkeit, wie der »faule Tobias«, von dem ihr die alte Wirtschafterin gestern abend noch viel erzählt hatte, litt schon die Neugierde die Leute nicht zu Hause. Begegnete sie aber auch wirklich einem oder dem andern der Forstleute oder Holzmacher, so rechtfertigte das schöne Wetter vollständig eine Spazierfahrt, und niemand hätte an etwas anderes denken können.

      Georgine bog aufs neue in die vom Forsthaus nach der sogenannten »Zaubereiche« führende Straße ein.


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