Pfarre und Schule. Erster Band.. Gerstäcker Friedrich

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Pfarre und Schule. Erster Band. - Gerstäcker Friedrich


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dem Fußpfad durchzogen lag, lief, als die Dreie eben dort hinüberschauten, ein Mann, und schien mit aller nur möglichen Kraftanstrengung den nächsten Büschen zuzustreben. Hinter ihm aber, in kaum zweihundert Schritten Entfernung, sprengte ein Reiter, und trieb mit Peitsche und Sporn sein Pferd zu wildester Eile an, um den Flüchtigen einzuholen, oder ihn doch wenigstens von dem schützenden Dickicht abzuschneiden, wo Verfolgung im Sattel unmöglich gewesen wäre, und ihn aufzuhalten, bis ein anderer Hülfstrupp, der aus vier Fußgängern bestand, und ebenfalls so rasch als möglich, aber schon anscheinend erschöpft, herbeistürmte, die Anstrengungen des Berittenen zu unterstützen vermochte.

      Der Flüchtling zeigte übrigens, wenn er Grund und Boden, auf dem er sich befand, nicht schon von früher kannte, einen so richtigen Blick in der Richtung, die er einschlug, und der Bahn, der er folgte, daß er nicht allein die für den Reiter schwierigsten Stellen rasch nach einander benutzte, sondern auch den alten Musikus durch seine Kraft und Gewandtheit zu lauter Bewunderung hinriß.

      »Bei Gott!« rief dieser, »das ist nicht das erste Mal, wo der einem Gensdarmen aus dem Wege geht – hurrah mein Junge – nur noch ein paar Minuten ausgehalten, und der Schnurrbart mag nachher sehn, wo er zuerst in den Büschen hängen bleibt – hurrah mein Herzchen – das ist recht – ha ha ha – wie der die kleine Hecke und den Dornenbusch benutzt – jetzt links mein Schatz – noch mehr links, nachher kommen die Steine, und in denen bricht er Hals und Bein, wenn er sich hineinwagt – so brav – so brav, hol' mich der Teufel, das war ein kapitaler Sprung – jetzt hinein in's Dickicht – ha ha ha ha das thuts, das war famos ausgeführt:

      »Heißa juchheißa, die Hetze ist aus,

      Guten Morgen Herr Förster, itzt gehn mer zu Haus;

      Itzt gehn mer zu Haus und itzt gehn mer zu Bett,

      Und wer z'erst in den Federn liegt, g'winnet die Wett'!«

      Der Alte schwang sein eingewickeltes Instrument jubelnd um den Kopf und sprang dann auf den Stein, um den weiteren Verfolg der Sache besser übersehn zu können.

      Der Gehetzte hatte auch wirklich, wie es ihm der Alte in eigenthümlicher Theilnahme, obgleich weit außer Rufsweite, mit lauter ängstlicher Stimme angerathen, eine kleine Spitze dürren Haidelandes, auf dem scharfe Felsblöcke wild zerstreut umherlagen, gewonnen, und endlich, indem er diese zwischen sich und dem Reiter ließ, die Schlucht gerade in demselben Moment erreicht, als der Gensdarm eine Pistole aus der Holfter zog und nach ihm feuern wollte. Gählings aber in das tiefe Geröll hinabspringend tauchte er in dem maigrünen Laube unter, und verschwand den Blicken der auf dem Hügel Stehenden, wie auch wahrscheinlich denen des Gensdarmen, denn dieser wandte sich jetzt nach einigen vergeblichen Versuchen, mit dem Pferde in das Dickicht zu dringen, gegen seine herankeuchenden Genossen, winkte ihnen, den bewachsenen Platz zu umzingeln und sprengte dann selbst, um den Rand des Busches hin, der Höhe zu.

      Die Dreie am Stein aber, standen wieder schweigend und in gespannter Erwartung da, und erharreten ängstlich das Resultat dieser merkwürdigen Jagd; ja selbst der Schulmeister, obschon sonst ein abgesagter Feind jeder Ungesetzlichkeit, ertappte sich zu seiner eigenen Ueberraschung auf dem Wunsch, den Menschen, der doch sicherlich irgend ein Verbrechen begangen hatte und Strafe verdiente, entwischen zu sehn – es ist das jenes eigene Gefühl, das unsere Theilnahme stets dem schwachen, anscheinend unterdrückten Theile zuwendet, und der Vernunft nicht Raum gewährt, kalt vorher zu entscheiden, auf welcher Seite das Recht, auf welcher das Unrecht sei.

      Die Jagd nahte sich aber auch jetzt ihrer Entscheidung; denn hielt sich der Verfolgte, wie das auch das wahrscheinlichste war, da er jedenfalls einer kurzen Rast bedurfte, in dem Gebüsch, so konnte der Berittene leicht den oberen Theil der Schlucht besetzt halten, und ihm dadurch die Flucht zu dem dichten Wald vollkommen abschneiden; die anderen Verfolger aber hätten zu dreien das noch lichte und durchsichtige Gebüsch mit leichter Mühe abgetrieben, so daß er entweder diesen, die leichte Jagdflinten auf den Schultern trugen, in die Hände gefallen, oder von dem Gensdarmen, hätte er den Ausbruch erzwingen wollen, auf dem nun ebenen Boden eingeholt wäre, und was konnte der arme Teufel dann gegen den vollkommen Bewaffneten ausrichten?

      »Wenn er nur nicht in dem verdammten Loch da unten stecken bleibt!« rief der Musikus, und hob sich hoch auf die Fußzehen, um den ganzen Umfang der buschbewachsenen Schlucht so weit als möglich zu übersehn – »Wetter noch einmal! wenn er den Wald erreichte, ehe der Himmelhund von Gensdarmen nachkommt, ich gäb' meiner Seel' –«

      Er schwieg plötzlich, denn entweder fiel ihm ein, daß er gar nichts zu geben hatte, oder er war sich auch vielleicht nicht so ganz klar darüber, ob er in der That der Sicherheit eines Anderen, Fremden wegen, irgend etwas geben sollte – wenn er es hätte.

      »Vater«, sagte da das Mädchen – »wenn er wirklich bis hier oben her kommt, so fürchtet er sich vielleicht, so lange wir hier stehen, herauszubrechen, weil er nicht wissen kann, ob wir Freunde oder Feinde sind. Sind wir hier nicht gerade zwischen ihm und dem Wald? – wir wollen auf die Seite treten!«

      »O, geh' zum Teufel!« brummte der Alte, »da drüben kann man Nichts sehen, und glaubst Du etwa, der würde sich vor uns geniren, wenn er dort hinten in's Dickicht wollte? – Bist Du dumm, das ist ein alter Fuchs, und spürt mit einem Blick, ob wir Ehrenmänner oder Polizeigeschmeiß sind. – Bei Gott, da kommt der vermaledeite Hegereiter um die Spitze herum, wenn er doch den Hals bräche, der Lump!«

      »Aber lieber Freund,« fiel ihm hier der Schulmeister, dem das doch zu arg werden mochte, in's Wort, »der Mann ist nur ein Vollzieher des Gesetzes, und was sollte ohne Gesetze aus uns werden? Wer weiß, was der Mensch, den sie da einfangen wollen, verbrochen hat; es sind jetzt schlimme Zeiten, und vieles böse Volk treibt sich im Lande herum.«

      Der Musikant warf ihm einen halb verächtlichen, halb ärgerlichen Blick zu.

      »Verbrochen?« brummte er – »ja, ein großes Verbrechen wird der begangen haben – vielleicht hat er im Wald ein trockenes Stück Holz abgebrochen, um daheim die Kinder nicht erfrieren zu lassen, oder gar einen hochfürstlichen Hasen erschossen, dem der liebe Gott das erlaubt hatte, was ihm versagt war, in Feld und Wald sein tägliches Brod zu suchen. Schreckliche Verbrechen das, aber – he he he he he – seht den Hegereiter:

      »Holter polter alle zwei,

      Wir fielen den Berg hinunter,

      Das Rößlein streckt die Bein empor,

      Der Reiter der liegt drunter,

      Das Rößlein streckt sich einmal aus,

      Und wie sie den Reiter suchen,

      Da liegt er unter Rößleins Bauch

      So flach als wie ein Kuchen.«

      Sein jubelndes Lied war nicht ohne Grund; das Pferd des Gendarmen mußte mit dem einen Vorderbeine in eins der vielen Löcher, die hier den rauhen Boden überall zerrissen, getreten haben und dadurch plötzlich einknickend, schleuderte es den Reiter weit über sich weg zur Erde. Dieser aber, wenn er auch in die scharfen Steine hinein keineswegs sanft gebettet fiel und an Stirn und Händen blutete, raffte sich doch rasch empor, hob seine Mütze auf, sprang in den Sattel des zitternden schweißtriefenden Thieres und strebte schon nach wenigen Secunden mit fest zusammengebissenen Zähnen und zornfunkelnden Augen seinem Ziele wieder zu. So gering aber auch der Aufenthalt gewesen sein mochte, der durch den Sturz herbei geführt worden, so hatte er doch genügt, dem Verfolgten einen kleinen Vorsprung und so viel Zeit zu geben, das obere Dickicht, das er indessen erreicht, ohne Säumen zu verlassen, um vor allen Dingen den wirklichen Wald zu gewinnen, wo er dann, erst einmal dort, nicht zu fürchten brauchte, so rasch entdeckt zu werden.

      Wie der Musikant vermuthet, kümmerte sich jener auch wenig um die drei Menschen, die er bald als harmlos erkannt hatte, ja er floh sogar stracks auf sie zu, da gerade hinter ihnen die ihm nächste Waldecke lag. Seine Lage wurde aber eine sehr mißliche, denn das Pferd war nur noch eine kurze Strecke von dem Kamm des Hügels, der Wald aber wenigstens vierhundert Schritte entfernt, und konnte der Reiter erst den obenliegenden verhältnißmäßig ebenen Grund benutzen, wo er den Verfolgten augenblicklich entdecken mußte, so war nur geringe Hoffnung, daß dieser mit seinen fast erschöpften Kräften aushalten würde gegen das kräftige Thier, das seinen Verfolger trug.

      Jetzt


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