Goethes Briefe an Leipziger Freunde. Johann Wolfgang von Goethe

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Goethes Briefe an Leipziger Freunde - Johann Wolfgang von Goethe


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wieder! Sie wissen meine Constitution macht manchmal einen Fehltritt, und in acht Tagen hat sie sich wieder zurechte geholfen; diesmal war's arg, und sah noch ärger aus als es war, und war mit schröcklichen Schmerzen verbunden. Unglück ist auch gut. Ich habe viel in der Kranckheit gelernt, das ich nirgends in meinem Leben hätte lernen können. Es ist vorbey und ich binn wieder ganz munter, ob ich gleich drey volle Wochen nicht aus der Stube gekommen binn, und mich fast niemand besucht, als mein Docktor, der Gott sey Danck ein liebenswürdiger Mann ist. Ein närrisch Ding um uns Menschen, wie ich in munterer Gesellschafft war, war ich verdrüsslich, jetzt binn ich von aller Welt verlassen, und binn lustig; denn selbst meine Kranckheit über, hat meine Munterkeit meine Famielie getröstet, die gar nicht in einem Zustande war, sich, geschweige mich zu trösten. Das Neujahrslied, das sie auch werden empfangen haben, habe ich in einem Anfall von groser Narrheit gemacht, und zum Zeitvertreibe drucken lassen.47 Übrigens zeichne ich sehr viel, schreibe Mährgen, und binn mit mir selbst zufrieden. Gott gebe mir das neue Jahr was mir gut ist, das geb er uns allen, und wenn wir nichts mehr bitten als das; so können wir gewiß hoffen dass er's uns giebt. Wenn ich nur biss in Aprill komme, ich will mich gern hinein schicken lassen. Da wird's besser werden hoffe ich, besonders kann meine Gesundheit täglich zunehmen, weil man nun eigentlich weiss was mir fehlt. Meine Lunge ist so gesund als möglich, aber am Magen sitzt was. Und im Vertrauen man hat mir zu einer angenehmen vergnüglichen Lebensart Hoffnung gemacht, so dass meine Seele sehr munter und ruhig ist. Sobald ich wieder besser binn, werde ich ausgehen in fremde Lande, und es soll nur auf Sie und noch jemand ankommen, wie bald ich Leipzig wiedersehen soll; Inzwischen dencke ich nach Franckreich zu gehen, und zu sehen wie sich das französche Leben lebt, und um französch zu lernen. Da können Sie Sich vorstellen was ich ein artiger Mensch seyn werde, wenn ich wieder zu Ihnen komme. Manchmal fällt mir's ein, dass es doch ein närrscher Streich wäre, wenn ich trutz meiner schönen Projeckten vor Ostern stürbe. Da verordnete ich mir einen Grabstein, auf dem Leipziger Kirchhof, dass ihr doch wenigstens alle Jahr am Johannes, als meinem Nahmens Tag, das Johannismännchen, und mein Denkmal besuchen möget.48 Wie meynen Sie?

      Empfelen Sie mich Ihren Eltern zu beständiger Freundschafft, Küssen Sie Ihre liebe Freundinn, und dancken Sie ihr für den Anteil den Sie an mir nimmt; ich werde bald an sie schreiben.

      Ihre Nachbarinn bedaur' ich; sollte das nicht den grösten Strich in die Rechnung des verliebten Paars machen? Die armen Leute! Sie sind in grosser Noth, und unser Herr Gott mag ihnen helfen oder nicht, so werden sie's ihm nicht dancken, das werden Sie erleben, und darnach sagen Sie: hat's Goethe nicht gesagt. Es ist gar zu ein gros Ding um den Ehstand heut zu Tage, und kein's von beyden, wenigstens gewiß, eins von beyden, hat nicht für einen Sechser Überlegung. Heiliger Andreas, komm, und tuh ein Wunder, oder es giebt eine Sau. NB. dass niemand den Artickel sieht als wem er nütz ist. Leben Sie wohl meine Liebe, ich binn, kranck wie Gesund

ganz der IhrigeGoethe

      IV

Franckfurt am 31 Jan.1769

Heute oder Morgen, es ist einerley wann ich schreibe, wenn Sie nur erfahren wie's mit mir ist. Es muss besser in Leipzig seyn als hier. Es schreibt weder Horn noch Sie, noch ein anderer; vielleicht habt ihr Bälle und Fastnachts Schmäusse, zu der Zeit da ich im Elend sitze. Traurig Carnaval. Seit vierzehn Tagen, sitz ich wieder fest. Im Anfange dieses Jahrs, war ich auf Parole losgelassen, das bissgen Freyheit ist auch wieder aus, und ich werde wohl noch ein Stückgen Februar im Käfigt zubringen. Denn Gott weis wenn's alle wird, ich binn aber ganz ruhig darüber, und ich hoffe, Sie werden es auch seyn. Den dritten März binn ich schon ein Halbjahr hier, und auch schon ein Halbjahr kranck, ich habe an dem Halbenjahr viel gelernt. Ich dencke Horn soll die Zeit über auch mehr gelernt haben, wir werden einander nicht mehr kennen, wenn wir einander wiedersehen. Gewiß Horn hat nicht halb so viel Lust mich zu sehn als ich ihn. Der gute Mensch soll aus Leipzig, und hat kein Blut gespien. Das mag schwer seyn. Sie sind so lustig, sagte ein sächsischer Officier zu mir, mit dem ich den 28 Aug. in Naumburg zu Nacht ass, so lustig und haben heute Leipzig verlassen. Ich sagte ihm, unser Herz wisse offt nichts von der Munterkeit unsers Bluts. Sie scheinen unpässlich, fing er nach einer Weile an. Ich binns würklich, versetzt ich ihm, und sehr, ich habe Blut gespien. Blut gespien, rief er, ja, da ist mir alles deutlich, da haben sie schon einen grosen Schritt aus der Welt getahn, und Leipzig musste ihnen gleichgültig werden, weil sie es nicht mehr geniessen konnten. Getroffen, sagt ich, die Furcht vor dem Verlust des Lebens, hat allen andern Schmerz erstickt. Ganz natürlich, fiel er mir ein, denn das Leben bleibt immer das erste, ohne Leben ist kein genuss. Aber fuhr er fort, hat man ihnen nicht auch den Ausgang leicht gemacht. Gemacht? fragt' ich, wie so. Das ist ja deutlich, sagte er, von Seiten der Frauenzimmer; Sie haben die Mine, nicht unbekanndt unter dem schönen Geschlecht zu seyn. – Ich bückte mich für's Compliment. – Ich rede wie ich's meyne, fuhr er fort, sie scheinen mir ein Mann von Verdiensten, aber sie sind kranck, und da wette ich zehen gegen nichts, kein Mädgen hat sie beym Ermel gehalten. Ich schwieg, und er lachte. Nun sagte er und reichte mir die Hand übern Tisch, ich habe zehen Thaler an sie verlohren, wenn sie auf ihr Gewissen sagen: Es hat mich eine gehalten. Top sagt ich Hr. Captain und schlug ihm in die Hand, Sie behalten ihre Zehen Tahler. Sie sind ein Kenner, und werfen ihr Geld nicht weg. Bravo, sagt er, dann seh ich dass sie auch Kenner sind. Gott bewahre sie darinn, und wenn sie wieder gesund werden, so werden sie Nutzen von dieser Erfahrung haben. Ich – und nun ging die Erzählung, seiner Geschichte los die ich verschweige, ich sass und hörte mit Betrübniss zu, und sagte am Ende, ich sey confundirt, und meine Geschichte und die Geschichte meines Freunds Don Sassafras, hat mich immer mehr von der Philosophie des Hauptmanns überzeugt.

      Unglücklicher Horn! Er hat sich immer so viel auf seine Waden eingebildet, jetzt werden sie ihm zum Unglück gereichen. Lasst ihn nur lebendig weg.49 Satt sehen könnt ihr euch noch an ihm, denn er ist der letzte Franckfurter in Leipzig, der gerechnet wird, und wenn der fort, da könnt ihr warten biss ihr wieder einen zu sehen kriegt. Doch tröstet euch, ich komme bald wieder.

      Du lieber Gott, jetzt binn ich wieder lustig, mitten in den Schmerzen. Wenn ich auch nicht so munter wäre wie wollt ich's aushalten? Fast zwey Monat, an einem fort ganz eingesperrt.

      Leben Sie wohl beste Freundinn, grüssen Sie Ihre Eltern, und ihre Freundinn, und wenn Sie einmal schreiben, so berichten Sie mir wie die Glieder der ehemahligen Sonntägigen Gesellschafft jetzt unter einander stehen. Lieben Sie mich

kranck oder gesundbiss an den TodtIhr Freund Goethe

      V

Franckf. am 1sten Juni 1769.

      Meine Freundinn.

      Aus Ihrem Brief an Hornen50 habe ich Ihr Glück, und Ihre Freude gesehen, was ich dabey fühle, was ich für eine Freude darüber habe, das können Sie Sich vorstellen, wenn Sie Sich noch vorstellen können, wie sehr ich Sie liebe. Grüssen Sie Ihren lieben Docktor, und empfelen Sie mich Seiner Freundschafft. Warum ich so lange nicht geschrieben habe, das könnte wohl strafbar seyn wenn Sie meine Briefe mit Ungedult erwartet hätten; das wusste ich aber, und drum schrieb ich nicht, es war bissher eine Zeit für Sie, da ein Brief von mir so wenig Ihrer Aufmercksamkeit werth war als die Erlanger Zeitung und alles zusammengenommen, so binn ich doch nur ein abgestandener Fisch, und ich wollte schwören – Doch ich will nicht schwören, Sie möchten glauben es wäre mein Ernst nicht. Horn fängt an sich zu erholen, wie er ankam, war gar nichts mit ihm zu thun. Er ist so zärtlich, so empfindsam für seine abwesende Ariane dass es komisch wird. Er glaubt im Ernste was Ihr Brief ihm versichert dass Constantie51 bleich für Kummer geworden wäre. Wenns auf's bleich werden ankommt, so sollte man dencken er liebte nicht starck denn er hat röthere Backen als jemals.52 Wenn ich ihm versichere Fiekgen würde sich an ihrer Freundinn Exempel spiegeln, und nach und nach einsehen lernen pp, so flucht er mir den Hals voll, und schickt mich mit meinen Exemplen zum Teufel, er schwört dass die Buchstaben der Zärtlichkeit die seine mächtige Liebe in ihr Herz geschrieben unauslöschlich seyn. Der gute Mensch bedenckt nicht dass Mädgen Herzen nicht Marmor seyn


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<p>47</p>

Dieser Druck findet sich in dem „Catalog einer Goethe-Bibliothek“ nicht verzeichnet und scheint sich der Aufmerksamkeit auch der sorgsamsten Sammler bis jetzt entzogen zu haben.

<p>48</p>

Es ist noch Sitte in Leipzig am Johannistag den Kirchhof zu besuchen und die Gräber mit Blumen zu schmücken; auch wird dann die in Holz geschnitzte Figur des Johannismännchen auf dem Brunnen aufgestellt und bekränzt.

<p>49</p>

Horn kam Anfangs April wieder nach Frankfurt. In seinem ersten Briefe heißt es: „Goethe läßt Sie grüßen, Mamsel! Er sieht immer noch ungesund aus und ist sehr stipide geworden. Die Reichslufft hat ihn schon recht angesteckt. Ich muß machen, daß ich wieder wegkomme, sonst geht es mir ebenso und ich bin doch noch zu jung um stipide zu werden. Die Zeit wird mir aber entsetzlich lange, ob ich gleich selten allein bin. Goethe spricht, ich sollte mich hängen, aber hier mag ich nicht; wenn ich klug gewesen wäre, so hätte ich mich in Leipzig hängen sollen.“

<p>50</p>

Sie hatte im Mai Horn ihre Verlobung mit Dr. Kanne angezeigt. Darauf schrieb ihr dieser einen Brief, den ich zur Vergleichung mit den Goetheschen mittheile.

Franckfurth d. 26 May 1769.

Werthgeschätzte Jungfer Braut!

Ohne Wasser würden wir verdursten, ohne Brod verhungern und ohne den Ehestand würde unser Leben kaum halb so angenehm seyn. Wie glücklich sind Sie, beste Jungfer Braut, daß Sie sich in einen Stand begeben wollen, der auch von den wildesten Nationen für den glücklichsten gehalten wird. – Ich als ordentlich installirter Schulmeister und Hochzeitbitter allhier zu Franckfurth und Sachsenhausen, empfinde darüber ein recht herzliches Vergnügen und schätze mich besonders glücklich, daß ich die Ehre habe, sowohl Ihnen als auch respective dem Hrn. Bräutigam hierzu Glückwünschen zu können. – Wir Menschen suchen unser gröstes Glück in dem gesellschaftlichen Umgang mit anderen, aus diesem Umgang entsteht nun, wenn es lauter Mannspersonen sind, die Freundschafft, und wenn Frauenzimmer dazu kommen, die Liebe, aus der Liebe die Ehe, aus der Ehe Kinder, aus den Kindern Enckel und so weiter. – Da nun meine werthe Jungfer Braut Ihnen alles dieses bevorsteht, so verursacht mir dieses wie billig eine außerordentliche Freude in meinem Schulmeisterlichen Hertzen. Wollte der Himmel, daß ich bei Ihrem Ehrentage tranchiren und mit meiner gantzen Gemeinde bei Ihrer Trauung das Lied: Wie schön ists doch! anstimmen könnte. Weil nun aber dieses wegen einer viertzigmeiligen Entferntheit unmöglich, so bleibt mir nichts anders übrig, als daß ich meine Amtsdienste vielleicht in eine poetische Ausdünstung verwandle und anstatt des tranchirens und Vorsingens an Ihrem Ehrentage Ihnen die fröliche Ausrufung meiner traurigen Muse überschicke. – Bitte deswegen demüthigst mir den Tag Ihrer Hochzeit bekannt zu machen, damit sich darnach richten könne

IhrFreundHornSchulmeister und Ludimagisterzu Franckf. und Sachsenhausen.

Nachschrifft (zu Deutsch: Postscriptum)

Der König Horn läßt sich erkundigen, wie sich seine Ministers in dem hohen Schönkopfischen Hause befinden. Auch ertheilt er hiermit allen denen, die sich in demselben ehelich verlobt haben, die Erlaubniß die Hochzeit, sobald es nur Ihnen gefällt, rechtmäßig und mit allen Ceremonien zu vollziehen. So gegeben in seiner Residentz Stadt Franckfurth am Mayn d. 22 May 1769,

Hornius Rex.

Aber doch im Ernste gesprochen! Ich empfinde eine herzliche Freude, wenn ich itzo an das Schönkopfische Haus gedencke. Herr und Madam sind vergnügt, Mamsel eine Braut, Peter sieht der gantzen affaire mit Gelassenheit zu, fürwar, das muß mir recht angenehm seyn, wenn Sie wissen, wie vielen Antheil ich jederzeit an Ihrer Freude genommen habe. Wollte der Himmel, daß ich nur dabey seyn könnte am Hochzeittag, gewiß es sollte noch einmal so lustig zugehen. Sie kennen mich ja. Ich spielte ohne Ruhm zu melden immer die lustige Person. Doch für itzo ist mir aller Muth lustig zu seyn vergangen. Sie wissen was ich verloren habe. Ich führe hier ein gantz verdammtes Leben. Ich studire zum toll werden, weil ich mir mit nichts anders die Zeit vertreiben kann. Manchmal kriege ich einen Brief von Leipzig und der macht mich wieder aufgeräumt, ich habe ihn aber kaum gelesen, so verfalle ich in meine alte Melancholie. Wer weiß ob ich in meinem Leben wieder nach Leipzig komme. Ob ich jemals so glücklich seyn werde wie mein Freund Kanne durch Sie geworden ist. Man kann zwar nicht alle Hoffnung aufgeben, aber doch ist mein Glück noch sehr ungewiß. – Liebste Freundin vergessen Sie mich nicht. Gedencken Sie in Ihrem Glücke noch manchmal an die unglücklichen. Erinnern Sie sich meiner und meiner Constantie an Ihrem Hochzeittage. Ich wünsche Ihnen eben soviel Glück, als wir itzo unglücklich sind. – Leben Sie wohl und trösten Sie bald mit einem Brief

Grüßen Sie den Obereinnehmer. —

Goethe wird ehestens an Sie schreiben. —

Ihrenaufrichtigen FreundHorn.
<p>51</p>

Horn hatte ein Liebesverhältniß mit Sophie Constantie Breitkopf, von dem der Vater nichts wußte, dessen in seinen Briefen fortwährend Erwähnung geschieht. Später verehelichte sie sich mit Dr. Oehme und starb 1819.

<p>52</p>

„Liebste Freundin“, schreibt Horn an Käthchen (30. Juni 1769), „Sie thun mir Unrecht, wenn Sie dem glauben, was Ihnen Goethe von mir blos in Spaß geschrieben hat. Sind denn rothe Backen immer das sichere Zeichen des Zustandes unserer Seele? Ich bitte Sie, meine Freundin, machen Sie mir keine Vorwürfe, die ich nicht verdiene.“