Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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jene Direktoralaugen, die bei Tische so viel bedeuten; aber eine Gabe besaß sie nicht, die, das Gespräch, wie's in einem engsten Zirkel doch sein sollte, zusammenzufassen. So zerfiel denn die kleine Tafelrunde von Anfang an in drei Gruppen, von denen eine, wiewohl nicht absolut schweigsam, doch vorwiegend als Tafelornament wirkte. Dies war die Gruppe Woldemar-Triglaff. Und das konnte nicht wohl anders sein. Die Triglaff, wie sich das bei Kakadugesichtern so häufig findet, verband in sich den Ausdruck höchster Tiefsinnigkeit mit ganz ungewöhnlicher Umnachtung, und ein letzter Rest von Helle, der ihr vielleicht geblieben sein mochte, war ihr durch eine stupende Triglaffvorstellung schließlich doch auch noch abhanden gekommen. Eine direkte Deszendenz von dem gleichnamigen Wendengotte, etwa wie Czako von Czako, war freilich nicht nachzuweisen, aber doch auch nicht ausgeschlossen, und wenn dergleichen überhaupt vorkommen oder nach stiller Übereinkunft auch nur allgemein angenommen werden konnte, so war nicht abzusehen, warum gerade sie leer ausgehen oder auf solche Möglichkeit verzichten sollte. Dieser hochgespannten, ganz im Speziellen sich bewegenden Adelsvorstellung entsprach denn auch das gereizte Gefühl, das sie gegen den Zweig des Hauses Thadden unterhielt, der sich, nach seinem pommerschen Gute Triglaff, Thadden-Triglaff nannte, – eine Zubenennung, die ihr, der einzig wirklichen Triglaff, einfach als ein Übergriff oder doch mindestens als eine Beeinträchtigung erschien. Woldemar, der dies alles kannte, war dagegen gefeit und wußte seinerseits seit lange, wie zu verfahren sei, wenn ihm die Triglaff als Tischnachbarin zufiel. Er hatte sich für diesen Fall, der übrigens öfter eintrat als ihm lieb war, die Namen aller Konventualinnen auswendig gelernt, die während seiner Kinderzeit in Kloster Wutz gelebt hatten und von denen er recht gut wußte, daß sie seit lange tot waren. Er begann aber trotzdem regelmäßig seine Fragen so zu stellen, als ob das Dasein dieser längst Abgeschiedenen immer noch einer Möglichkeit unterläge.

      »Da war ja hier früher, mein gnädigstes Fräulein, eine Drachenhausen, Aurelie von Drachenhausen, und übersiedelte dann, wenn ich nicht irre, nach Kloster Zehdenick. Es würde mich lebhaft interessieren, in Erfahrung zu bringen, ob sie noch lebt oder ob sie vielleicht schon tot ist.«

      Die Triglaff nickte.

      Czako, dieses Nicken beobachtend, sprach sich später gegen Rex dahin aus, daß das alles mit der Abstammung der Triglaff ganz natürlich zusammenhänge. »Götzen nicken bloß.«

      Um vieles lebendiger waren Rede und Gegenrede zwischen Tante Adelheid und dem Ministerialassessor, und das Gespräch beider, das nur sittliche Hebungsfragen berührte, hätte durchaus den Charakter einer gemütlichen, aber doch durch Ernst geweihten Synodalplauderei gehabt, wenn sich nicht die Gestalt des Rentmeisters Fix beständig eingedrängt hätte, dieses Dominaprotegés, von dem Rex, unter Zurückhaltung seiner wahren Meinung, immer aufs neue versicherte, »daß in diesem klösterlichen Beamten eine seltene Verquickung von Prinzipienstrenge mit Geschäftsgenie vorzuliegen scheine«.

      Das waren die zwei Paare, die den linken Flügel beziehungsweise die Mitte des Tisches bildeten. Die beiden Hauptfiguren waren aber doch Czako und die Schmargendorf, die ganz nach rechts hin saßen, in Nähe der dicken Fenstergardinen aus Wollstoff, in deren Falten denn auch vieles glücklicherweise verklang. An die Suppe hatte sich ein Fisch und an diesen ein Linsenpüree mit gebackenem Schinken gereiht, und nun wurden gespickte Rebhuhnflügel in einer pikanten Sauce, die zugleich Küchengeheimnis der Domina war, herumgereicht. Czako, trotzdem er schon dem gebackenen Schinken erheblich zugesprochen hatte, nahm ein zweites Mal auch noch von dem Rebhuhngericht und fühlte das Bedürfnis, dies zu motivieren.

      »Eine gesegnete Gegend, Ihre Grafschaft hier,« begann er. »Aber freilich heuer auch eine gesegnete Jahreszeit. Gestern abend bei Dubslav von Stechlin Krammetsvögelbrüste, heute bei Adelheid von Stechlin Rebhuhnflügel.«

      »Und was ziehen Sie vor?« fragte die Schmargendorf.

      »Im allgemeinen, mein gnädigstes Fräulein, ist die Frage wohl zugunsten ersterer entschieden. Aber hier und speziell für mich ist doch wohl der Ausnahmefall gegeben.«

      »Warum ein Ausnahmefall?«

      »Sie haben recht, eine solche Frage zu stellen. Und ich antworte, so gut ich kann. Nun denn, in Brust und Flügel …«

      »Hihi.«

      »In Brust und Flügel schlummert, wie mir scheinen will, ein großartiger Gegensatz von hüben und drüben; es gibt nichts Diesseitigeres als Brust, und es gibt nichts Jenseitigeres als Flügel. Der Flügel trägt uns, erhebt uns. Und deshalb, trotz aller nach der andern Seite hin liegenden Verlockung, möchte ich alles, was Flügel heißt, doch höher stellen.«

      Er hatte dies in einem möglichst gedämpften Tone gesprochen. Aber es war nicht nötig, weil einerseits die links ihm zunächst sitzende Triglaff aus purem Hochgefühl ihr Ohr gegen alles, was gesprochen wurde, verschloß, während andrerseits die Domina, nachdem der Diener allerlei kleine Spitzgläser herumgereicht hatte, ganz ersichtlich mit einer Ansprache beschäftigt war.

      »Lassen Sie mich Ihnen noch einmal aussprechen,« sagte sie, während sie sich halb erhob, »wie glücklich es mich macht, Sie in meinem Kloster begrüßen zu können. Herr von Rex, Herr von Czako, Ihr Wohl.«

      Man stieß an. Rex dankte unmittelbar und sprach, als man sich wieder gesetzt hatte, seine Bewunderung über den schönen Wein aus. »Ich vermute Montefiascone.«

      »Vornehmer, Herr von Rex,« sagte Adelheid in guter Stimmung, »eine Rangstufe höher. Nicht Montefiascone, den wir allerdings unter meiner Amtsvorgängerin auch hier im Keller hatten, sondern Lacrimae Christi. Mein Bruder, der alles bemängelt, meinte freilich, als ich ihm vor einiger Zeit davon vorsetzte, das passe nicht, das sei Begräbniswein, höchstens Wein für Einsegnungen, aber nicht für heitere Zusammenkünfte.«

      »Ein Wort von eigenartiger Bedeutung, darin ich Ihren Herrn Bruder durchaus wiedererkenne.«

      »Gewiß, Herr von Rex. Und ich bin mir bewußt, daß uns der Name gerade dieses Weines allerlei Rücksichten auferlegt. Aber wenn Sie sich vergegenwärtigen wollen, daß wir in einem Stift, einem Kloster sind … und so meine ich denn, der Ort, an dem wir leben, gibt uns doch auch ein Recht und eine Weihe.«

      »Kein Zweifel. Und ich muß nachträglich die Bedenken Ihres Herrn Bruders als irrtümlich anerkennen. Aber wenn ich mich so ausdrücken darf, ein kleidsamer Irrtum … Auf das Wohl Ihres Herrn Bruders.«

      Damit schloß das etwas difficile Zwiegespräch, dem alle mit einiger Verlegenheit gefolgt waren. Nur nicht die Schmargendorf. »Ach,« sagte diese, während sie sich halb in den Vorhängen versteckte, »wenn wir von dem Wein trinken, dann hören wir auch immer dieselbe Geschichte. Die Domina muß sich damals sehr über den alten Herrn von Stechlin geärgert haben. Und doch hat er eigentlich recht; schon der bloße Name stimmt ernst und feierlich, und es liegt was drin, das einem Christenmenschen denn doch zu denken gibt. Und gerade wenn man so recht vergnügt ist.«

      »Darauf wollen wir anstoßen,« sagte Czako, völlig im Dunkeln lassend, ob er mehr den Christenmenschen oder den Ernst oder das Vergnügtsein meinte.

      »Und überhaupt,« fuhr die Schmargendorf fort, »die Weine müßten eigentlich alle anders heißen, oder wenigstens sehr, sehr viele.«

      »Ganz meine Meinung, meine Gnädigste,« sagte Czako. »Da sind wirklich so manche … Man darf aber andrerseits das Zartgefühl nicht überspannen. Will man das, so bringen wir uns einfach um die reichsten Quellen wahrer Poesie. Da haben wir beispielsweise, so ganz allgemein und bloß als Gattungsbegriff, die ›Milch der Greise‹ – zunächst ein durchaus unbeanstandenswertes Wort. Aber alsbald (denn unsre Sprache liebt solche Spiele) treten mannigfache Fort- und Weiterbildungen, selbst Geschlechtsüberspringungen an uns heran, und ehe wir's uns versehen, hat sich die ›Milch der Greise‹ in eine ›Liebfrauenmilch‹ verwandelt.«

      »Hihi … Ja, Liebfrauenmilch, die trinken wir auch. Aber nur selten. Und es ist auch nicht der Name, woran ich eigentlich dachte.«

      »Sicherlich nicht, meine Gnädigste. Denn wir haben eben noch andre, decidiertere, denen gegenüber uns dann nur noch das Refugium der französischen Aussprache bleibt.«

      »Hihi … Ja, französisch, da geht es. Aber doch auch nicht immer, und jedesmal, wenn Rentmeister Fix unser Gast ist und die Triglaff die Flasche hin


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