Salambo: Ein Roman aus Alt-Karthago. Gustave Flaubert

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Salambo: Ein Roman aus Alt-Karthago - Gustave Flaubert


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stiegen hinunter in die Vulkane, und Rabbetna neigte sich gleich einer Amme über die Welt, und spendete ihr Licht wie einen Milchstrom, und deckte sie mit der Nacht zu wie mit einem Mantel …«

      »Und dann?« fragte Salambo.

      Er hatte ihr das Geheimnis der Schöpfung erzählt, um sie durch weite Ausblicke abzulenken. Aber an seinen letzten Worten entzündete sich das Begehren der Jungfrau von neuem, und Schahabarim fuhr in halbem Nachgeben fort:

      »Sie weckt und lenkt die Liebe im Menschen …«

      »Die Liebe im Menschen …« wiederholte Salambo versonnen.

      Der Hohepriester redete weiter:

      »Sie ist Karthagos Seele. Obgleich sie überall webt und lebt, ist ihre Heimat hier bei uns unter dem heiligen Mantel.«

      »O Vater!« rief Salambo. »Ich werde sie schauen, nicht wahr? Du wirst mich zu ihr führen! Lange hab ich gezaudert. Das Begehren, sie zu sehen, verzehrt mich. Erbarmen! Hilf mir! Wir wollen hin zu ihr!«

      Mit heftiger und hochmütiger Gebärde stieß er sie zurück.

      »Niemals! Weißt du nicht, daß man dann sterben muß? Die doppelgeschlechtlichen Götter entschleiern sich nur uns allein, die wir Männer durch den Geist und Weiber durch die Schwäche sind. Dein Begehren ist Gotteslästerung. Begnüge dich mit dem, was du kennst!«

      Salambo sank in die Knie, legte zum Zeichen der Reue die beiden Zeigefinger an die Ohren und schluchzte, niedergeschmettert durch die Worte des Priesters. Zorn, Schrecken und Demut erfüllten sie gleichzeitig.

      Schahabarim stand vor ihr, hochaufgerichtet, gefühlloser als die Fliesen der Terrasse. Er blickte auf Salambos Gestalt herab, die zitternd zu seinen Füßen lag, und empfand eine seltsame Freude, weil er sie für seine Gottheit, die selbst er nicht ganz zu erfassen imstande war, so leiden sah.

      Schon begannen die Vögel zu singen, kalter Wind wehte, und kleine Wölkchen jagten über den erblassenden Himmel.

      Da bemerkte der Priester am Horizont hinter Tunis etwas wie einen leichten Nebelstreifen, der über das Land hin zu ziehen schien. Eine Weile später verwandelte sich dieser Nebel in eine senkrechte Wand von grauem Staub. Aus den Wirbeln dieser mächtigen Masse tauchten Kamelköpfe, Lanzen und Schilde auf.

      Es war das Heer der Barbaren, das gegen Karthago vormarschierte.

      IV

      Vor den Mauern von Karthago

      Landleute, auf Eseln oder zu Fuße, strömten bleich, atemlos und irr vor Angst in die Stadt. Sie flohen vor dem Heere. In drei Tagen hatte es den Weg von Sikka zurückgelegt, um Karthago zu berennen und in Grund und Boden zu zerstören.

      Man schloß die Tore. Fast unmittelbar darauf erschienen die Barbaren, machten jedoch auf der Mitte der Landenge am Haffufer Halt.

      Zuerst zeigten sie keine feindlichen Absichten. Mehrere kamen nahe heran, Palmenzweige in den Händen. Man trieb sie mit Pfeilschüssen zurück. So groß war die Bestürzung.

      Frühmorgens und in der Abenddämmerung patrouillierten Aufklärer vor den Stadtmauern. Besonders fiel ein kleiner Mann auf, der sorgfältig in einen Mantel gehüllt war und dessen Gesicht unter der tief herabgezogenen Helmblende verschwand. Stundenlang stand er da und betrachtete den hohen Bau der Wasserleitung mit solcher Beharrlichkeit, daß er die Karthager offenbar über seine wahren Absichten täuschen wollte. Ein andrer begleitete ihn, ein wahrer Riese, der barhäuptig einherging.

      Karthago war in der ganzen Breite der Landenge stark befestigt: zuerst durch einen Graben, dann durch einen Rasenwall und schließlich durch eine dreißig Ellen hohe zweistöckige Quadermauer. Darin befanden sich Ställe für dreihundert Elefanten, Rüstkammern für ihre Harnische und ihr Kettenzeug, dazu Futterböden. Ferner Unterkunftsräume für viertausend Pferde samt Sattelzeug und Fourage, sowie Kasernen für zwanzigtausend Soldaten mit ihren Rüstungen und allem Kriegsgerät. Aus dem zweiten Stockwerk erhoben sich zinnengekrönte Türme, die an der Außenseite Panzerplatten, an Krampen befestigt, trugen.

      Diese erste Befestigungslinie schützte unmittelbar Malka, das Viertel der Seeleute und Färber. Masten ragten da, an denen Purpurgewebe trockneten, während aus den flachen Dächern weiter weg Tonöfen zum Sieden der Salzlake rauchten.

      Dahinter türmte sich amphitheatralisch die Stadt mit ihren hohen würfelförmigen Häusern, die teils aus Steinen, teils aus Holz, Sand, Rohr, Muschelkalk und Lehm erbaut waren. Die Tempelhaine schimmerten wie grüne Seen in diesem Gebirge bunter Blöcke. Die öffentlichen Plätze bildeten in unregelmäßigen Abständen Ebenen darin. Zahllose Gassen durchschnitten das Häusermeer kreuz und quer, von oben bis unten. Man erkannte die Ringmauern der drei alten Stadtviertel, die jetzt miteinander verschmolzen waren. Sie ragten hier und dort wie steile Klippen auf oder dehnten sich in breiten Mauerflächen, halb mit Blumen überwachsen, geschwärzt und von breiten Ausgußstreifen durchzogen. Durch die klaffenden Lücken liefen Straßen, wie Flüsse unter Brücken.

      Der Hügel der Akropolis in der Mitte der Byrsa, das heißt des Burgbezirks, verschwand beinahe unter einem Wirrwarr von Bauwerken. Da standen Tempel mit gewundenen Säulen, die eherne Kapitäle und metallene Ketten trugen, blaugestreifte mörtellose Steinkegel, kupferne Kuppeldächer, Marmorarchitrave, babylonische Strebepfeiler, Obelisken, die wie umgekehrte Fackeln mit der Spitze auf dem Boden ruhten. Vorhallen stießen an Giebel, Voluten kräuselten sich zwischen Säulengängen, Granitmauern schmiegten sich an Ziegelwände. Das alles kletterte eins über das andre und vermengte sich in wunderlicher, unbegreiflicher Weise. Es kündete vom Wechsel der Zeiten und rief die halbvergessene Heimat der einzelnen Erbauer wach.

      Hinter der Akropolis zog sich durch rötliches Erdreich, mit Grabmälern besäumt, die Straße der Mappalier schnurgerade von der Küste bis zur Gräberstadt. Seitwärts sah man lange Gebäude, von Gärten umgeben. Das dritte Stadtviertel, die Neustadt Megara, erstreckte sich bis zur felsigen Meeresküste, über der sich ein riesiger Leuchtturm erhob, Nacht für Nacht sein Licht spendend.

      So breitete sich Karthago vor den Blicken der in der Ebene lagernden Söldner.

      Von fern erkannten sie die Marktplätze und Straßenkreuzungen. Sie stritten sich über die Lage der Tempel. Der Khamontempel gegenüber den Syssitien hatte goldene Dachziegel. Das Heiligtum Melkarths links vom Eschmuntempel trug Korallenäste auf seinem Dache. Weiterhin wölbte sich zwischen Palmenwipfeln die Kupferkuppel vom Heiligtume Tanits. Das düstere Haus Molochs stand am Fuße der Zisternen nach der Seite des Leuchtturms hin. Auf den Giebelecken, auf den Zinnen der Mauern, an den Ecken der Plätze, überall erblickte man Götterbilder mit scheußlichen Köpfen, riesengroß oder untersetzt, mit dicken oder unnatürlich platten Bäuchen, offnen Mäulern und ausgestreckten Armen, Gabeln, Ketten oder Speere in den Händen. Im Hintergrunde der Straßen aber, die durch den schrägen Einblick noch steiler erschienen, schimmerte das blaue Meer.

      Eine lärmende Menge erfüllte die Straßen vom Morgen bis zum Abend. Knaben schrien, Schellen schwingend, an den Türen der Bäder. Die Buden mit warmen Getränken rauchten. Die Luft bebte vom Schlagen der Ambosse. Auf den Terrassen krähten die weißen, der Sonne geweihten Hähne. In den Tempeln brüllten die Opferstiere, die man abwürgte. Sklaven mit Körben auf den Köpfen eilten dahin, und in der Tiefe der Säulenhallen tauchte hin und wieder ein Priester auf, in dunklem Mantel, barfüßig und mit spitzer Mütze.

      Dieser Anblick von Karthago erbitterte die Barbaren. Sie bewunderten und verabscheuten es. Sie hätten es gleichzeitig zerstören und bewohnen mögen. Was barg dort der Kriegshafen, den eine dreifache Mauer beschirmte? Und dort über der Stadt, am Ende von Megara, noch höher als die Akropolis, da ragte Hamilkars Schloß.

      Dorthin richteten sich unverwandt Mathos' Augen. Er kletterte auf Olbäume und beugte sich vor, indem er die Augen mit der Handfläche beschattete. Aber die Gärten waren leer, und die rote Tür mit dem schwarzen Kreuz blieb beständig geschlossen.

      Mehr als zwanzigmal umkreiste er die Wälle und suchte nach einem Durchlaß, um einzudringen. Eines Nachts stürzte er sich in den Golf und schwamm drei Stunden lang. Er gelangte bis an das Seetor und wollte die steile Küste emporklimmen. Er stieß sich die Knie blutig und zerbrach sich die Nägel. Schließlich fiel er zurück ins Meer und kehrte


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