Unterm Birnbaum. Theodor Fontane
Читать онлайн книгу.ihn auch gewähren, und als sie, wie beschwichtigt durch seine Liebkosungen, von ihrer Arbeit aufsah, sah man, daß es ihrer Zeit eine sehr schöne Frau gewesen sein mußte, ja, sie war es beinah noch. Aber man sah auch, daß sie viel erlebt hatte, Glück und Unglück, Lieb’ und Leid, und durch allerlei schwere Schulen gegangen war. Er und sie machten ein hübsches Paar und waren gleichaltrig, Anfang vierzig, und ihre Sprech- und Verkehrsweise ließ erkennen, daß es eine Neigung gewesen sein mußte, was sie vor länger oder kürzer zusammengeführt hatte.
Der herbe Zug, den sie bei Beginn des Gesprächs gezeigt, wich denn auch mehr und mehr, und endlich fragte sie: »Wo drückt es wieder? Eben hast Du den Raps weggeschickt, und wenn Leist das Öl hat, hast Du das Geld. Er ist prompt auf die Minute.«
»Ja, das ist er. Aber ich habe nichts davon, alles ist blos Abschlag und Zins. Ich stecke tief drin und leider am tiefsten bei Leist selbst. Und dann kommt die Krakauer Geschichte, der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn. Er kann jeden Tag da sein.«
Hradscheck zählte noch anderes auf, aber ohne daß es einen tieferen Eindruck auf seine Frau gemacht hätte. Vielmehr sagte sie langsam und mit gedehnter Stimme: »Ja, Würfelspiel und Vogelstellen …«
»Ach, immer Spiel und wieder Spiel! Glaube mir, Ursel, es ist nicht so schlimm damit und jedenfalls mach’ ich mir nichts d’raus. Und am wenigsten aus dem Lotto; ’s ist alles Thorheit und weggeworfen Geld, ich weiß es, und doch hab’ ich wieder ein Loos genommen. Und warum? Weil ich heraus will, weil ich heraus muß, weil ich uns retten möchte.«
»So, so,« sagte sie, während sie mechanisch an dem Kranze weiter flocht und vor sich hin sah, als überlege sie, was wohl zu thun sei.
»Soll ich Dich auf den Kirchhof begleiten,« frug er, als ihn ihr Schweigen zu bedrücken anfing. »Ich thu’s gern, Ursel.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Weil, wer den Todten einen Kranz bringen will, wenigstens an sie gedacht haben muß.«
Und damit erhob sie sich und verließ das Haus, um nach dem Kirchhof zu gehen.
Hradscheck sah ihr nach, die Dorfstraße hinauf, auf deren rothen Dächern die Herbstsonne flimmerte. Dann trat er wieder an sein Pult und blätterte.
II
Eine Woche war seit jenem Tage vergangen, aber das Spielglück, das sich bei Hradscheck einstellen sollte, blieb aus und das Lottoglück auch. Trotz alledem gab er das Warten nicht auf, und da gerade Lotterie-Ziehzeit war, kam das Viertelloos gar nicht mehr von seinem Pult. Es stand hier auf einem Ständerchen, ganz nach Art eines Fetisch, zu dem er nicht müde wurde, respektvoll und beinah mit Andacht aufzublicken. Alle Morgen sah er in der Zeitung die Gewinn-Nummern durch, aber die seine fand er nicht, trotzdem sie unter ihren fünf Zahlen drei Sieben hatte und mit sieben dividirt glatt aufging. Seine Frau, die wohl wahrnahm, daß er litt, sprach ihm nach ihrer Art zu, nüchtern aber nicht unfreundlich, und drang in ihn, »daß er den Lotteriezettel wenigstens vom Ständer herunternehmen möge, das verdrösse den Himmel nur und wer dergleichen thäte, kriege statt Rettung und Hilfe den Teufel und seine Sippschaft ins Haus. Das Loos müsse weg. Wenn er wirklich beten wolle, so habe sie was Besseres für ihn, ein Marienbild, das der Bischof von Hildesheim geweiht und ihr bei der Firmelung geschenkt habe.«
Davon wollte nun aber der beständig zwischen Aber- und Unglauben hin und her schwankende Hradscheck nichts wissen. »Geh mir doch mit dem Bild, Ursel. Und wenn ich auch wollte, denke nur, welche Bescheerung ich hätte, wenn’s Einer merkte. Die Bauern würden lachen von einem Dorfende bis ans andere, selbst Orth und Igel, die sonst keine Miene verziehen. Und mit der Pastor-Freundschaft wär’s auch vorbei. Daß er zu Dir hält, ist doch blos, weil er Dir den katholischen Unsinn ausgetrieben und einen Platz im Himmel, ja vielleicht an seiner Seite gewonnen hat. Denn mit meinem Anspruch auf Himmel ist’s nicht weit her.«
Und so blieb denn das Loos auf dem Ständer, und erst als die Ziehung vorüber war, zerriß es Hradscheck und streute die Schnitzel in den Wind. Er war aber auch jetzt noch, all seinem spöttisch-überlegenen Gerede zum Trotz, so schwach und abergläubisch, daß er den Schnitzeln in ihrem Fluge nachsah, und als er wahrnahm, daß einige die Straße hinauf bis an die Kirche geweht wurden und dort erst niederfielen, war er in seinem Gemüthe beruhigt und sagte: »Das bringt Glück.«
Zugleich hing er wieder allerlei Gedanken und Vorstellungen nach, wie sie seiner Phantasie jetzt häufiger kamen. Aber er hatte noch Kraft genug, das Netz, das ihm diese Gedanken und Vorstellungen überwerfen wollten, wieder zu zerreißen.
»Es geht nicht.«
Und als im selben Augenblick das Bild des Reisenden, dessen Anmeldung er jetzt täglich erwarten mußte, vor seine Seele trat, trat er erschreckt zurück und wiederholte nur so vor sich hin: »Es geht nicht.«
So war Mitte Oktober heran gekommen.
Im Laden gab’s viel zu thun, aber mitunter war doch ruhige Zeit, und dann ging Hradscheck abwechselnd in den Hof, um Holz zu spellen, oder in den Garten, um eine gute Sorte Tischkartoffeln aus der Erde zu nehmen. Denn er war ein Feinschmecker. Als aber die Kartoffeln heraus waren, fing er an, den schmalen Streifen Land, darauf sie gestanden, umzugraben. Überhaupt wurde Graben und Gartenarbeit mehr und mehr seine Lust, und die mit dem Spaten in der Hand verbrachten Stunden waren eigentlich seine glücklichsten.
Und so beim Graben war er auch heute wieder, als die Jeschke, wie gewöhnlich, an die die beiden Gärten verbindende Heckenthür kam und ihm zusah, trotzdem es noch früh am Tage war.
»De Tüffeln sinn joa nu rut, Hradscheck.«
»Ja, Mutter Jeschke, seit vorgestern. Und war diesmal ’ne wahre Freude; mitunter zwanzig an einem Busch und alle groß und gesund.«
»Joa, joa, wenn een’s Glück hebben sall. Na, Se hebben’t, Hradscheck. Se hebben Glück bi de Tüffeln un bi de Malvesieren ook. I, Se möten joa woll ’n Scheffel ’runnerpflückt hebb’n.«
»O mehr, Mutter Jeschke, viel mehr.«
»Na, bereden Se’t nich, Hradscheck. Nei, nei. Man sall nix bereden. Ook sien Glück nich.«
Und damit ließ sie den Nachbar stehn und humpelte wieder auf ihr Haus zu.
Hradscheck aber sah ihr ärgerlich und verlegen nach. Und er hatte wohl Grund dazu. War doch die Jeschke, so freundlich und zuthulich sie that, eine schlimme Nachbarschaft und quacksalberte nicht blos, sondern machte auch sympathetische Kuren, besprach Blut und wußte, wer sterben würde. Sie sah dann die Nacht vorher einen Sarg vor dem Sterbehause stehn. Und es hieß auch, »sie wisse, wie man sich unsichtbar machen könne«, was, als Hradscheck sie seinerzeit danach gefragt hatte, halb von ihr bestritten und dann halb auch wieder zugestanden war. »Sie wisse es nicht; aber das wisse sie, daß frisch ausgelassenes Lamm-Talg gut sei, versteht sich von einem ungeborenen Lamm und als Licht über einen rothen Wollfaden gezogen; am besten aber sei Farrnkrautsamen in die Schuhe oder Stiefel geschüttet.« Und dann hatte sie herzlich gelacht, worin Hradscheck natürlich einstimmte. Trotz dieses Lachens aber war ihm jedes Wort, als ob es ein Evangelium wär’, in Erinnerung geblieben, vor allem das »ungeborne Lamm« und der »Farrnkrautsamen«. Er glaubte nichts davon und auch wieder alles, und wenn er, seiner sonstigen Entschlossenheit unerachtet, schon vorher eine Furcht vor der alten Hexe gehabt hatte, so nach dem Gespräch über das sich Unsichtbarmachen noch viel mehr.
Und solche Furcht beschlich ihn auch heute wieder, als er sie, nach dem Morgengeplauder über die »Tüffeln« und die »Malvesieren«, in ihrem Hause verschwinden sah. Er wiederholte sich jedes ihrer Worte: »Wenn een’s Glück hebben sall. Na, Se hebben’t joa, Hradscheck. Awers bereden Se’t nich.« Ja, so waren ihre Worte gewesen. Und was war mit dem allem gemeint? Was sollte dies ewige Reden von Glück und wieder Glück? War es Neid oder wußte sie’s besser? Hatte sie doch vielleicht mit ihrem Hokuspokus ihm in die Karten gekuckt?
Während er noch so sann, nahm er den Spaten wieder zur Hand und begann rüstig weiter zu graben. Er warf dabei ziemlich viel Erde heraus und war keine fünf Schritt mehr von dem alten Birnbaum, auf den der Ackerstreifen zulief, entfernt, als er auf etwas stieß, das unter dem Schnitt