Schach von Wuthenow. Theodor Fontane

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Schach von Wuthenow - Theodor Fontane


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mein alter Vater neben mir, der alle Gesangbuchsverse mitsang. Und links neben dem Altar da hing unser Martin Luther in ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf gelegt, ein lebensvolles Bild, und sah zu mir herüber. Ich darf sagen, daß dies ernste Mannesgesicht an manchem Sonntage besser und eindringlicher zu mir gepredigt hat als unser alter Kluckhuhn, der zwar dieselben hohen Backenknochen und dieselben weißen Päffchen hatte wie der Reformator, aber auch weiter nichts. Und diesen Gottesmann, nach dem wir uns nennen und unterscheiden, und zu dem ich nie anders als in Ehrfurcht und Andacht aufgeschaut habe, den will ich nicht aus den Koulissen oder aus einer Hinterthür treten sehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn giebt, den ich übrigens schätze, nicht blos als Künstler, sondern auch als Mann von Grundsätzen und guter preußischer Gesinnung.«

      »Pectus facit oratorem«, versicherte Sander, und Victoire jubelte. Bülow aber, der nicht gern neue Götter neben sich duldete, warf sich in seinen Stuhl zurück und sagte, während er sein Kinn und seinen Spitzbart strich: »Es wird Sie nicht überraschen, mich im Dissens zu finden.«

      »O, gewiß nicht,« lachte Sander.

      »Nur dagegen möcht' ich mich verwahren, als ob ich durch einen solchen Dissens irgendwie den Anwalt dieses pfäffischen Zacharias Werner zu machen gedächte, der mir in seinen mystisch-romantischen Tendenzen einfach zuwider ist. Ich bin Niemandes Anwalt …«

      »Auch nicht Luthers?« fragte Schach ironisch.

      »Auch nicht Luthers!«

      »Ein Glück, daß er dessen entbehren kann …«

      »Aber auf wie lange?« fuhr Bülow sich aufrichtend fort. »Glauben Sie mir, Herr von Schach, auch er ist in der Decadence, wie so viel anderes mit ihm, und über ein Kleines wird keine Generalanwaltschaft der Welt ihn halten können.«

      »Ich habe Napoleon von einer ›Episode Preußen‹ sprechen hören,« erwiderte Schach. »Wollen uns die Herren Neuerer, und Herr von Bülow an ihrer Spitze, vielleicht auch mit einer ›Episode Luther‹ beglücken?«

      »Es ist so. Sie treffen es. Uebrigens sind nicht wir es, die dies Episodenthum schaffen wollen. Dergleichen schafft nicht der Einzelne, die Geschichte schafft es. Und dabei wird sich ein wunderbarer Zusammenhang zwischen der Episode Preußen und der Episode Luther herausstellen. Es heißt auch da wieder: ›Sage mir, mit wem Du umgehst, und ich will Dir sagen, wer Du bist.‹ Ich bekenne, daß ich die Tage Preußens gezählt glaube, und ›wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach.‹ Ich überlass' es Ihnen, die Rollen dabei zu vertheilen. Die Zusammenhänge zwischen Staat und Kirche werden nicht genugsam gewürdigt; jeder Staat ist in gewissem Sinne zugleich auch ein Kirchenstaat; er schließt eine Ehe mit der Kirche, und soll diese Ehe glücklich sein, so müssen beide zu einander passen. In Preußen passen sie zu einander. Und warum? Weil beide gleich dürftig angelegt, gleich eng gerathen sind. Es sind Kleinexistenzen, beide bestimmt in etwas Größerem auf- oder unterzugehen. Und zwar bald. Hannibal ante portas.«

      »Ich glaubte Sie dahin verstanden zu haben,« erwiderte Schach, »daß uns Graf Haugwitz nicht den Untergang, wohl aber die Rettung und den Frieden gebracht habe.«

      »Das hat er. Aber er kann unser Geschick nicht wenden, wenigstens auf die Dauer nicht. Dies Geschick heißt Einverleibung in das Universelle. Der nationale wie der konfessionelle Standpunkt sind hinschwindende Dinge, vor allem aber ist es der preußische Standpunkt und sein alter ego der lutherische. Beide sind künstliche Größen. Ich frage, was bedeuten sie? welche Missionen erfüllen sie? Sie ziehen Wechsel aufeinander, sie sind sich gegenseitig Zweck und Aufgabe, das ist alles. Und das soll eine Weltrolle sein! Was hat Preußen der Welt geleistet? Was find' ich, wenn ich nachrechne? Die Großen Blauen König Friedrich Wilhelms I., den eisernen Ladestock, den Zopf, und jene wundervolle Moral, die den Satz erfunden hat, ›ich hab' ihn an die Krippe gebunden, warum hat er nicht gefressen?‹«

      »Gut, gut. Aber Luther …«

      »Nun wohl denn, es geht eine Sage, daß mit dem Manne von Wittenberg die Freiheit in die Welt gekommen sei, und beschränkte Historiker haben es dem norddeutschen Volke so lange versichert, bis man's geglaubt hat. Aber was hat er denn in Wahrheit in die Welt gebracht? Unduldsamkeit und Hexenprozesse, Nüchternheit und Langeweile. Das ist kein Kitt für Jahrtausende. Jener Weltmonarchie, der nur noch die letzte Spitze fehlt, wird auch eine Weltkirche folgen, denn wie die kleinen Dinge sich finden und im Zusammenhange stehen, so die großen noch viel mehr. Ich werde mir den Bühnen-Luther nicht ansehen, weil er mir in dieses Herren Zacharias Werner Verzerrung einfach ein Ding ist, das mich ärgert; aber ihn nicht ansehen, weil es Anstoß gebe, weil es Entheiligung sei, das ist mehr als ich fassen kann.«

      »Und wir, lieber Bülow,« unterbrach Frau von Carayon, »wir werden ihn uns ansehen, trotzdem es uns Anstoß giebt. Victoire hat Recht, und wenn bei Iffland die Eitelkeit stärker sein darf als das Prinzip, so bei uns die Neugier. Ich hoffe, Herr von Schach und Sie, lieber Alvensleben, werden uns begleiten. Uebrigens sind ein paar der eingelegten Lieder nicht übel. Wir erhielten sie gestern. Victoire, Du könntest uns das ein' oder andere davon singen.«

      »Ich habe sie kaum durchgespielt.«

      »O, dann bitt' ich um so mehr,« bemerkte Schach. »Alle Salonvirtuosität ist mir verhaßt. Aber was ich in der Kunst liebe, das ist ein solches poetisches Suchen und Tappen.«

      Bülow lächelte vor sich hin und schien sagen zu wollen: »Ein jeder nach seinen Mitteln.«

      Schach aber führte Victoiren an das Klavier, und diese sang, während er begleitete.

      Die Blüthe, sie schläft so leis und lind

      Wohl in der Wiege von Schnee;

      Einlullt sie der Winter »Schlaf ein geschwind

      Du blühendes Kind«

      Und das Kind es weint und verschläft sein Weh

      Und hernieder steigen aus duftiger Höh

      Die Schwestern und lieben und blühn

      Eine kleine Pause trat ein, und Frau von Carayon fragte: »Nun, Herr Sander, wie besteht es vor Ihrer Kritik?« »Es muß sehr schön sein,« antwortete dieser. »Ich versteh es nicht. Aber hören wir weiter. Die Blüthe, die vorläufig noch schläft, wird doch wohl mal erwachen.«

      Und kommt der Mai dann wieder so lind,

      Dann bricht er die Wiege von Schnee,

      Er schüttelt die Blüthe »Wach auf geschwind

      Du welkendes Kind.«

      Und es hebt das Aeuglein, es thut ihm weh

      Und steigt hinauf in die leuchtende Höh

      Wo strahlend die Brüderlein blühn.

      Ein lebhafter Beifall blieb nicht aus. Aber er galt ausschließlich Victoiren und der Komposition, und als schließlich auch der Text an die Reihe kam, bekannte sich Alles zu Sanders ketzerischen Ansichten.

      Nur Bülow schwieg. Er hatte, wie die meisten mit Staatenuntergang beschäftigten Frondeurs, auch seine schwachen Seiten, und eine davon war durch das Lied getroffen worden. An dem halbumwölkten Himmel draußen funkelten ein paar Sterne, die Mondsichel stand dazwischen, und er wiederholte, während er durch die Scheiben der hohen Balkonthür hinaufblickte: »wo strahlend die Brüderlein blühn.«

      Wider Wissen und Willen, war er ein Kind seiner Zeit, und romantisirte.

      Noch ein zweites und drittes Lied wurde gesungen, aber das Urtheil blieb dasselbe. Dann trennte man sich zu nicht allzu später Stunde.

      Drittes Kapitel.

      Bei Sala Tarone

      Die Thurmuhren auf dem Gensdarmenmarkt schlugen elf, als die Gäste der Frau von Carayon auf die Behrenstraße hinaustraten und nach links einbiegend auf die Linden zuschritten. Der Mond hatte sich verschleiert, und die Regenfeuchte, die bereits in der Luft lag und auf Wetterumschlag deutete, that allen wohl. An der Ecke der Linden empfahl sich Schach, allerhand Dienstliches vorschützend, während Alvensleben, Bülow und Sander übereinkamen, noch eine Stunde zu plaudern.

      »Aber


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