Hermann und Dorothea. Johann Wolfgang von Goethe

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Hermann und Dorothea - Johann Wolfgang von Goethe


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beruhigt. Aber laßt uns nicht mehr die traurigen Bilder erneuern; Denn es beschleichet die Furcht gar bald die Herzen der Menschen, Und die Sorge, die mehr als selbst mir das Übel verhaßt ist. Tretet herein in den hinteren Raum, das kühlere Sälchen. Nie scheint Sonne dahin, nie dringet wärmere Luft dort Durch die stärkeren Mauern; und Mütterchen bringt uns ein Gläschen Dreiundachtziger her, damit wir die Grillen vertreiben. Hier ist nicht freundlich zu trinken; die Fliegen umsummen die Gläser." Und sie gingen dahin und freuten sich alle der Kühlung.

      Sorgsam brachte die Mutter des klaren herrlichen Weines, In geschliffener Flasche auf blankem zinnernem Runde, Mit den grünlichen Römern, den echten Bechern des Rheinweins. Und so sitzend umgaben die drei den glänzend gebohnten Runden, braunen Tisch, er stand auf mächtigen Füßen. Heiter klangen sogleich die Gläser des Wirtes und Pfarrers; Doch unbeweglich hielt der dritte denkend das seine, Und es fordert' ihn auf der Wirt mit freundlichen Worten:

      "Frisch, Herr Nachbar, getrunken! denn noch bewahrte vor Unglück Gott uns gnädig und wird auch künftig uns also bewahren. Denn wer erkennet es nicht, daß seit dem schrecklichen Brande, Da er so hart uns gestraft, er uns nun beständig erfreut hat Und beständig beschützt, so wie der Mensch sich des Auges Köstlichen Apfel bewahrt, der vor allen Gliedern ihm lieb ist. Sollt' er fernerhin nicht uns schützen und Hülfe bereiten? Denn man sieht es erst recht, wie viel er vermag, in Gefahren; Sollt' er die blühende Stadt, die er erst durch fleißige Bürger Neu aus der Asche gebaut und dann sie reichlich gesegnet, Jetzo wieder zerstören und alle Bemühung vernichten?"

      Heiter sagte darauf der treffliche Pfarrer und milde: "Haltet am Glauben fest und fest an dieser Gesinnung; Denn sie macht im Glücke verständig und sicher, im Unglück Reicht sie den schönsten Trost und belebt die herrlichste Hoffnung."

      Da versetzte der Wirt mit männlichen, klugen Gedanken: "Wie begrüßt' ich so oft mit Staunen die Fluten des Rheinstroms, Wenn ich, reisend nach meinem Geschäft, ihm wieder mich nahte! Immer schien er mir groß und erhob mir Sinn und Gemüte; Aber ich konnte nicht denken, daß bald sein liebliches Ufer Sollte werden ein Wall, um abzuwehren den Franken, Und sein verbreitetes Bett ein allverhindernder Graben. Seht, so schützt die Natur, so schützen die wackeren Deutschen Und so schützt uns der Herr; wer wollte töricht verzagen? Müde schon sind die Streiter, und alles deutet auf Frieden. Möge doch auch, wenn das Fest, das lang erwünschte, gefeiert Wird, in unserer Kirche, die Glocke dann tönt zu der Orgel, Und die Trompete schmettert, das hohe,Te Deum. begleitend Möge mein Hermann doch auch an diesem Tage, Herr Pfarrer, Mit der Braut, entschlossen, vor Euch am Altare sich stellen, Und das glückliche Fest, in allen den Landen begangen, Auch mir künftig erscheinen, der häuslichen Freuden ein Jahrstag! Aber ungern seh ich den Jüngling, der immer so tätig Mir in dem Hause sich regt, nach außen langsam und schüchtern. Wenig findet er Lust, sich unter Leuten zu zeigen; Ja, er vermeidet sogar der jungen Mädchen Gesellschaft Und den fröhlichen Tanz, den alle Jugend begehret."

      Also sprach er und horchte. Man hörte der stampfenden Pferde Fernes Getöse sich nahn, man hörte den rollenden Wagen, Der mit gewaltiger Eile nun donnert' unter den Torweg.

      Terpsichore

      Hermann

      Als nun der wohlgebildete Sohn ins Zimmer hereintrat, Schaute der Prediger ihm mit scharfen Blicken entgegen Und betrachtete seine Gestalt und sein ganzes Benehmen Mit dem Auge des Forschers, der leicht die Mienen enträtselt, Lächelte dann und sprach zu ihm mit traulichen Worten: "Kommt Ihr doch als ein veränderter Mensch! Ich habe noch niemals Euch so munter gesehn und Eure Blicke so lebhaft. Fröhlich kommt Ihr und heiter; man sieht, Ihr habet die Gaben Unter die Armen verteilt und ihren Segen empfangen."

      Ruhig erwiderte drauf der Sohn, mit ernstlichen Worten: "Ob ich löblich gehandelt? ich weiß es nicht; aber mein Herz hat Mich geheißen zu tun, so wie ich genau nun erzähle. Mutter, Ihr kramtet so lange, die alten Stücke zu suchen Und zu wählen; nur spät war erst das Bündel zusammen, Auch der Wein und das Bier ward langsam, sorglich gepacket. Als ich nun endlich vors Tor und auf die Straße hinauskam, Strömte zurück die Menge der Bürger mit Weibern und Kindern, Mir entgegen; denn fern war schon der Zug der Vertriebnen. Schneller hielt ich mich dran und fuhr behende dem Dorf zu, Wo sie, wie ich gehört, heut übernachten und rasten. Als ich nun meines Weges die neue Straße hinanfuhr, Fiel mir ein Wagen ins Auge, von tüchtigen Bäumen gefüget, Von zwei Ochsen gezogen, den größten und stärksten des Auslands, Nebenher aber ging mit starken Schritten ein Mädchen, Lenkte mit langem Stabe die beiden gewaltigen Tiere, Trieb sie an und hielt sie zurück, sie leitete klüglich. Als mich das Mädchen erblickte, so trat sie den Pferden gelassen Näher und sagte zu mir: "Nicht immer war es mit uns so Jammervoll, als Ihr uns heut auf diesen Wegen erblicket. Noch nicht bin ich gewohnt, vom Fremden die Gabe zu heischen, Die er oft ungern gibt, um los zu werden den Armen; Aber mich dränget die Not, zu reden. Hier auf dem Strohe Liegt die erst entbundene Frau des reichen Besitzers, Die ich mit Stieren und Wagen noch kaum, die Schwangre, gerettet. Spät nur kommen wir nach, und kaum das Leben erhielt sie. Nun liegt, neugeboren, das Kind ihr nackend im Arme, Und mit wenigem nur vermögen die Unsern zu helfen, Wenn wir im nächsten Dorf, wo wir heute zu rasten gedenken, Auch sie finden, wiewohl ich fürchte, sie sind schon vorüber. Wär' Euch irgend von Leinwand nur was Entbehrliches, wenn Ihr Hier aus der Nachbarschaft seid, so spendet's gütig den Armen."

      Also sprach sie, und matt erhob sich vom Strohe die bleiche Wöchnerin, schaute nach mir; ich aber sagte dagegen: "Guten Menschen fürwahr spricht oft ein himmlischer Geist zu, Daß sie fühlen die Not, die dem armen Bruder bevorsteht; Denn so gab mir die Mutter, im Vorgefühle von eurem Jammer, ein Bündel, sogleich es der nackten Notdurft zu reichen." Und ich löste die Knoten der Schnur und gab ihr den Schlafrock Unsers Vaters dahin, und gab ihr Hemden und Leintuch. Und sie dankte mit Freuden und rief: "Der Glückliche glaubt nicht, Daß noch Wunder geschehn; denn nur im Elend erkennt man Gottes Hand und Finger, der gute Menschen zum Guten Leitet. Was er durch Euch an uns tut, tu er Euch selber." Und ich sah die Wöchnerin froh die verschiedene Leinwand, Aber besonders den weichen Flanell des Schlafrocks befühlen. "Eilen wir", sagte zu ihr die Jungfrau, "dem Dorf zu, in welchem Unsre Gemeine schon rastet und diese Nacht durch sich aufhält; Dort besorg ich sogleich das Kinderzeug, alles und jedes." Und sie grüßte mich noch und sprach den herzlichsten Dank aus, Trieb die Ochsen; da ging der Wagen. Ich aber verweilte, Hielt die Pferde noch an; denn Zwiespalt war mir im Herzen, Ob ich mit eilenden Rossen das Dorf erreichte, die Speisen Unter das übrige Volk zu spenden, oder sogleich hier Alles dem Mädchen gäbe, damit sie es weislich verteilte. Und ich entschied mich gleich in meinem Herzen und fuhr ihr Sachte nach und erreichte sie bald und sagte behende: "Gutes Mädchen, mir hat die Mutter nicht Leinwand alleine Auf den Wagen gegeben, damit ich den Nackten bekleide, Sondern sie fügte dazu noch Speis' und manches Getränke, Und es ist mir genug davon im Kasten des Wagens. Nun bin ich aber geneigt, auch diese Gaben in deine Hand zu legen, und so erfüll ich am besten den Auftrag; Du verteilst sie mit Sinn, ich müßte dem Zufall gehorchen." Drauf versetzte das Mädchen: "Mit aller Treue verwend ich Eure Gaben; der Dürftige soll sich derselben erfreuen." Also sprach sie. Ich öffnete schnell die Kasten des Wagens, Brachte die Schinken hervor, die schweren, brachte die Brote, Flaschen Weines und Biers, und reicht' ihr alles und jedes. Gerne hätt' ich noch mehr ihr gegeben; doch leer war der Kasten. Alles packte sie drauf zu der Wöchnerin Füßen und zog so Weiter; ich eilte zurück mit meinen Pferden der Stadt zu."

      Als nun Hermann geendet, da nahm der gesprächige Nachbar Gleich das Wort und rief: "O glücklich, wer in den Tagen Dieser Flucht und Verwirrung in seinem Haus nur allein lebt, Wem nicht Frau und Kinder zur Seite bange sich schmiegen! Glücklich fühl ich mich jetzt; ich möcht' um vieles nicht heute Vater heißen und nicht für Frau und Kinder besorgt sein. Öfters dacht' ich mir auch schon die Flucht und habe die besten Sachen zusammengepaßt, das alte Geld und die Ketten Meiner seligen Mutter, das alles noch heilig verwahrt liegt. Freilich bliebe noch vieles zurück, das so leicht nicht geschafft wird. Selbst die Kräuter und Wurzeln, mit vielem Fleiße gesammelt, Mißt' ich ungern, wenn auch der Wert der Ware nicht groß ist. Bleibt der Provisor zurück, so geh ich getröstet von Hause. Hab ich die Barschaft gerettet und meinen Körper, so hab ich Alles gerettet; der einzelne Mann entfliehet am leichtsten."

      "Nachbar", versetzte darauf der junge Hermann mit Nachdruck, "Keinesweges denk ich wie Ihr und tadle die Rede. Ist wohl der ein würdiger Mann, der im Glück


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