Die Wahlverwandtschaften. Johann Wolfgang von Goethe

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Die Wahlverwandtschaften - Johann Wolfgang von Goethe


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sagte Eduard, "wir wollen das gleich abmachen; das Genauere können wir immer noch nachholen".

      Sie gingen zum Wirt und zu dem alten Paare, und die Sache war abgetan.

      "Ich weiß recht gut", sagte Eduard, indem sie zusammen den Schloßberg wieder hinaufstiegen, "daß alles in der Welt ankommt auf einen gescheiten Einfall und auf einen festen Entschluß.

      So hast du die Parkanlagen meiner Frau sehr richtig beurteilt und mir auch schon einen Wink zum Bessern gegeben, den ich ihr, wie ich gar nicht leugnen will, sogleich mitgeteilt habe".

      "Ich konnte es vermuten", versetzte der Hauptmann, "aber nicht billigen.

      Du hast sie irregemacht; sie läßt alles liegen und trutzt in dieser einzigen Sache mit uns; denn sie vermeidet davon zu reden und hat uns nicht wieder zur Mooshütte eingeladen, ob sie gleich mit Ottilien in den Zwischenstunden hinaufgeht".

      "Dadurch müssen wir uns", versetzte Eduard, "nicht abschrecken lassen.

      Wenn ich von etwas Gutem überzeugt bin, was geschehen könnte und sollte, so habe ich keine Ruhe, bis ich es getan sehe.

      Sind wir doch sonst klug, etwas einzuleiten!

      Laß uns die englischen Parkbeschreibungen mit Kupfern zur Abendunterhaltung vornehmen, nachher deine Gutskarte!

      Man muß es erst problematisch und nur wie zum Scherz behandeln; der Ernst wird sich schon finden".

      Nach dieser Verabredung wurden die Bücher aufgeschlagen, worin man jedesmal den Grundriß der Gegend und ihre landschaftliche Ansicht in ihrem ersten, rohen Naturzustande gezeichnet sah, sodann auf andern Blättern die Veränderung vorgestellt fand, welche die Kunst daran vorgenommen, um alles das bestehende Gute zu nutzen und zu steigern.

      Hievon war der übergang zur eigenen Besitzung, zur eignen Umgebung und zu dem, was man daran ausbilden könnte, sehr leicht.

      Die von dem Hauptmann entworfene Karte zum Grunde zu legen, war nunmehr eine angenehme Beschäftigung; nur konnte man sich von jener ersten Vorstellung, nach der Charlotte die Sache einmal angefangen hatte, nicht ganz losreißen.

      Doch erfand man einen leichtern Aufgang auf die Höhe; man wollte oberwärts am Abhange vor einem angenehmen Hölzchen ein Lustgebäude aufführen; dieses sollte einen Bezug aufs Schloß haben; aus den Schloßfenstern sollte man es übersehen, von dorther Schloß und Gärten wieder bestreichen können.

      Der Hauptmann hatte alles wohl überlegt und gemessen und brachte jenen Dorfweg, jene Mauer am Bache her, jene Ausfüllung wieder zur Sprache.

      "Ich gewinne", sagte er, "indem ich einen bequemen Weg zur Anhöhe hinaufführe, gerade soviel Steine, als ich zu jener Mauer bedarf. Sobald eins ins andre greift, wird beides wohlfeiler und geschwinder bewerkstelligt".

      "Nun aber", sagte Charlotte, "kommt meine Sorge.

      Notwendig muß etwas Bestimmtes ausgesetzt werden; und wenn man weiß, wieviel zu einer solchen Anlage erforderlich ist, dann teilt man es ein, wo nicht auf Wochen, doch wenigstens auf Monate.

      Die Kasse ist unter meinem Beschluß; ich zahle die Zettel, und die Rechnung führe ich selbst".

      "Du scheinst uns nicht sonderlich viel zu vertrauen", sagte Eduard.

      "Nicht viel in willkürlichen Dingen", versetzte Charlotte. "Die Willkür wissen wir besser zu beherrschen als ihr".

      Die Einrichtung war gemacht, die Arbeit rasch angefangen, der Hauptmann immer gegenwärtig und Charlotte nunmehr fast täglich Zeuge seines ernsten und bestimmten Sinnes.

      Auch er lernte sie näher kennen, und beiden wurde es leicht, zusammenzuwirken und etwas zustande zu bringen.

      Es ist mit den Geschäften wie mit dem Tanze: Personen, die gleichen Schritt halten, müssen sich unentbehrlich werden, ein wechselseitiges Wohlwollen muß notwendig daraus entspringen, und daß Charlotte dem Hauptmann, seitdem sie ihn näher kennengelernt, wirklich wohlwollte, davon war ein sicherer Beweis, daß sie ihn einen schönen Ruheplatz, den sie bei ihren ersten Anlagen besonders ausgesucht und verziert hatte, der aber seinem Plane entgegenstand, ganz gelassen zerstören ließ, ohne auch nur die mindeste unangenehme Empfindung dabei zu haben.

      Indem nun Charlotte mit dem Hauptmann eine gemeinsame Beschäftigung fand, so war die Folge, daß sich Eduard mehr zu Ottilien gesellte.

      Für sie sprach ohnehin seit einiger Zeit eine stille, freundliche Neigung in seinem Herzen.

      Gegen jedermann war sie dienstfertig und zuvorkommend; daß sie es gegen ihn am meisten sei, das wollte seiner Selbstliebe scheinen.

      Nun war keine Frage: was für Speisen und wie er sie liebte, hatte sie schon genau bemerkt; wieviel er Zucker zum Tee zu nehmen pflegte und was dergleichen mehr ist, entging ihr nicht.

      Besonders war sie sorgfältig, alle Zugluft abzuwehren, gegen die er eine übertriebene Empfindlichkeit zeigte und deshalb mit seiner Frau, der es nicht luftig genug sein konnte, manchmal in Widerspruch geriet.

      Ebenso wußte sie im Baum – und Blumengarten Bescheid.

      Was er wünschte, suchte sie zu befördern, was ihn ungeduldig machen konnte, zu verhüten, dergestalt daß sie in kurzem wie ein freundlicher Schutzgeist ihm unentbehrlich ward und er anfing, ihre Abwesenheit schon peinlich zu empfinden.

      Hiezu kam noch, daß sie gesprächtiger und offener schien, sobald sie sich allein trafen.

      Eduard hatte bei zunehmenden Jahren immer etwas Kindliches behalten, das der Jugend Ottiliens besonders zusagte.

      Sie erinnerten sich gern früherer Zeiten, wo sie einander gesehen; es stiegen diese Erinnerungen bis in die ersten Epochen der Neigung Eduards zu Charlotten.

      Ottilie wollte sich der beiden noch als des schönsten Hofpaares erinnern; und wenn Eduard ihr ein solches Gedächtnis aus ganz früher Jugend absprach, so behauptete sie doch, besonders einen Fall noch vollkommen gegenwärtig zu haben, wie sie sich einmal bei seinem Hereintreten in Charlottens Schoß versteckt, nicht aus Furcht, sondern aus kindischer überraschung.

      Sie hätte dazusetzen können: weil er so lebhaften Eindruck auf sie gemacht, weil er ihr gar so wohl gefallen.

      Bei solchen Verhältnissen waren manche Geschäfte, welche die beiden Freunde zusammen früher vorgenommen, gewissermaßen in Stocken geraten, sodaß sie für nötig fanden, sich wieder eine übersicht zu verschaffen, einige Aufsätze zu entwerfen, Briefe zu schreiben.

      Sie bestellten sich deshalb auf ihre Kanzlei, wo sie den alten Kopisten müßig fanden.

      Sie gingen an die Arbeit und gaben ihm bald zu tun, ohne zu bemerken, daß sie ihm manches aufbürdeten, was sie sonst selbst zu verrichten gewohnt waren.

      Gleich der erste Aufsatz wollte dem Hauptmann, gleich der erste Brief Eduarden nicht gelingen.

      Sie quälten sich eine Zeitlang mit Konzipieren und Umschreiben, bis endlich Eduard, dem es am wenigsten vonstatten ging, nach der Zeit fragte.

      Da zeigte sich denn, daß der Hauptmann vergessen hatte, seine chronometrische Sekundenuhr aufzuziehen, das erstemal seit vielen Jahren; und sie schienen, wo nicht zu empfinden, doch zu ahnen, daß die Zeit anfange, ihnen gleichgültig zu werden.

      Indem so die Männer einigermaßen in ihrer Geschäftigkeit nachließen, wuchs vielmehr die Tätigkeit der Frauen.

      überhaupt nimmt die gewöhnliche Lebensweise einer Familie, die aus den gegebenen Personen und aus notwendigen Umständen entspringt, auch wohl eine außerordentliche Neigung, eine werdende Leidenschaft in sich wie ein Gefäß auf, und es kann eine ziemliche Zeit vergehen, ehe dieses neue Ingrediens eine merkliche Gärung verursacht und schäumend über den Rand schwillt.

      Bei unsern Freunden waren die entstehenden wechselseitigen Neigungen von der angenehmsten Wirkung.

      Die Gemüter öffneten sich, und ein allgemeines Wohlwollen entsprang aus dem besonderen.

      Jeder Teil fühlte sich glücklich und gönnte dem andern sein Glück.

      Ein solcher Zustand erhebt den Geist, indem er das Herz erweitert, und alles, was man tut und vornimmt, hat


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