Die Abenteuer Tom Sawyers. Марк Твен
Читать онлайн книгу.und die Lust, zu springen, zuckte in aller Füßen. Die Akazien blühten, und ihr süßer Duft erfüllte die Luft.
Cardiff Hill, in der Nähe des Hauses und dasselbe überragend, war von Grün bedeckt und war gerade entfernt genug, um wie das gelobte Land, träumerisch, ruhevoll und unberührt zu erscheinen.
Tom erschien auf der Bildfläche mit einem Eimer voll Farbe und einem großen Pinsel. Er überblickte die Umzäunung – und aller Glanz schwand aus der Natur, und tiefe Schwermut bemächtigte sich seines Geistes. Dreißig Yards lang und neun Fuß hoch war der unglückliche Zaun! Das Leben erschien ihm traurig. Er empfand sein kleines Dasein als Last. Seufzend tauchte er den Pinsel in den Topf und strich einmal über die oberste Planke, wiederholte die Operation, und nochmals, und verglich das kleine gestrichene Stückchen mit der unendlichen noch zu erledigenden Strecke – und hockte sich entmutigt auf einen Baumstumpf. Jim kam mit einem Zinneimer aus der Tür, „Buffalo Gals“ singend. Wasser von der Pumpe zu holen, war Tom bisher immer als eine der unwürdigsten Verrichtungen erschienen, jetzt schien es ihm anders. Er sagte sich, daß er dort Gesellschaft finden werde; Weiße, Mulatten und Neger, Knaben und Mädchen traf man immer dort, die, bis an sie die Reihe, zu pumpen kam, herumlungerten, irgend ein Spiel trieben, sich zankten, prügelten und Wetten anstellten. Und dann überlegte er, daß die Pumpe zwar nur einhundertundfünfzig Yards entfernt sei, Jim trotzdem aber nie unter einer Stunde brauchte, um einen Eimer Wasser zu holen, und dann auch noch gewöhnlich geholt werden mußte. Er sagte also: „Du, Jim, ich will Wasser holen, wenn du inzwischen anstreichen willst.“
Jim schüttelte den Kopf und antwortete: „Es geht nicht, Master Tom. Alte Dame sagen mir zu gehen und holen Wasser und nix aufhalten mit irgendwem. Sie sagen, sie wissen, daß Master Tom werden versuchen zu gewinnen mich zu streichen, und so sie sagen, Jim zu gehen nach sein eigenes Geschäft und nix zu streichen.“
„Ach was, Jim, laß sie nur reden! So macht sie‘s immer. Gib mir nur den Eimer – du sollst sehen, ich bin gleich wieder da! Sie braucht‘s ja nicht zu wissen.“
„Nein, Master Tom, ich nix tun! Alte Dame wollen ihm Kopf abreißen, wenn er tut so. Sicher, Master Tom!“
„Sie? Sie kann ja gar nicht schlagen – sie fährt einem mit dem Fingerhut über den Kopf, und wer macht sich daraus was? Ihre Worte sind gefährlich, hm, – ja, aber sagen, ist doch nicht tun, wenn sie nur nicht so viel dabei weinen wollte. – Du, Jim, ich geb dir auch ‘ne Murmel! Oder ‘ne Glaskugel!“
Jim begann zu schwanken.
„Eine weiße Glaskugel, Jim – und horch mal, was für ‘nen schönen Klang hat sie!“
„Ach, sein das schöne, wunderschöne Glaskugel! Aber Master Tom, ich haben so furchtbar Angst vor alte Dame!“
Aber Jim war auch nur ein Mensch – diese Verführungskünste waren zu stark für ihn. Er setzte seinen Eimer hin und griff nach der Kugel. Im nächsten Augenblick sauste er die Straße hinunter mit seinem Eimer und einem Schreckensschrei, – Tom arbeitete mit Vehemenz, und Tante Polly, einen Pantoffel in der Hand und Triumph im Auge, kehrte vom Felde zurück.
Aber Toms Energie hielt nicht lange an. Er begann, an all die Streiche zu denken, die er für heute geplant hatte, und sein Kummer wurde immer größer. Bald würden seine Spielgefährten, frei und sorglos, vorbeikommen, um auf alle möglichen Expeditionen auszugehen und die würden ihre Witze reißen über ihn, der dastand und arbeiten mußte – der bloße Gedanke daran brannte wie Feuer. Er kramte seine weltlichen Schätze aus und hielt Heerschau: allerhand selbsterfundenes Spielzeug, Murmel und Plunder – genug, um sich einen Arbeitstausch zu erkaufen, aber nicht genug, um dadurch auch nur für eine halbe Stunde die Freiheit zu bekommen. So steckte er seine armselige Habe wieder in die Tasche und gab den Gedanken auf, einen Bestechungsversuch bei den Jungen zu machen. Mitten in diese trüben und hoffnungslosen Betrachtungen kam plötzlich ein Einfall über ihn. Durchaus kein großer, glänzender Einfall. Er nahm seinen Pinsel wieder auf und setzte ruhig die Arbeit fort. Ben Rogers erschien in Sicht, der Junge aller Jungen, der sich über alle lustig machen durfte. Bens Gang war springend, tanzend, hüpfend – Beweis genug, daß sein Herz leicht und seine Gedanken und Pläne großartig waren. Er knupperte an einem Apfel und ließ ein langes, melodiöses ho! ho! hören, gefolgt von einem gegrunzten: ding, dong, ding! ding, dong, dong! – denn er war in diesem Augenblick ein Dampfboot. Als er näher kam, mäßigte er seine GeschwindigKeit, nahm die Mitte der Straße, bog nach Steuerbord über und legte elegant und mit vielem Geschrei und Umstand bei, denn er vertrat hier die Stelle des „Big Missouri“ und hatte neun Fuß Tiefgang. Er war Dampfboot, Kapitän, Bemannung zugleich und sah sich selbst auf der Kommandobrücke stehend, Befehle gebend und ihre Ausführung überwachend.
„Stopp!! Ling – a, ling, ling!!“ Die Hauptroute war zu Ende, und er wandte sich langsam einem Nebenarme des Flusses zu. „Stopp! Zurück!! Ling – a, ling, ling!“ Seine Arme sanken ermüdet herunter. „Steuerbord wenden! Ling – a, ling, ling! Tschschschuh! Tschuh! Tschuuuhhh!!!“ Sein Arm beschrieb jetzt große Kreise, denn er stellte ein Rad von 40 Fuß Durchmesser dar. „Backbord zurück! Ling – a, ling, ling! Tschschuh! Tschuh! Tschuuuhhh!!“ Wieder beschrieb der Arm – diesmal der linke – gewaltige Kreise. „Steuerbord stopp!! Ling – a, ling, ling! Backbord stopp! Halt! Langsam überholen! Ling – a, ling, ling! Tschschuh! Tschuh! Tschuuuhhh!! Heraus mit dem Tau dort! Lustig, hoho! Heraus damit! He – wird‘s bald?! Ein Tau dort um den Pfeiler – so, nun los, Jungens – los!! Maschine stopp!! Ling – a, ling, ling!!“
„Tschschuh! Schscht! Schscht!!“ (Läßt den Dampf ausströmen.)
Tom war ganz vertieft in seine Anstreicherei, er merkte nichts von der Ankunft des Dampfbootes! Ben blieb einen Moment stehen, dann sagte er: „Ho, ho, Strafarbeit, Tom, he?“
Keine Antwort. Tom überschaute seine Arbeit mit dem Auge eines Künstlers. Dann machte er mit dem Pinsel noch einen eleganten Strich und übte wieder Kritik. Ben rannte zu ihm hin, Tom wässerte der Mund nach dem Apfel, aber er stellte sich ganz vertieft in seine Arbeit. Ben sagte: „Hallo, alter Bursche, Strafarbeit, was?“
„Ach, bist du‘s, Ben. Ich hatte dich nicht bemerkt.“
„Weißt, ich geh‘ grad zum Schwimmen. Würdest du gern mitgehen können? Aber, natürlich, bleibst du lieber bei deiner Arbeit, nicht?“
Tom schaute den Burschen erstaunt an und sagte: „Was nennst du Arbeit?“
„Na, ist das denn keine Arbeit?“
Tom betrachtete seine Malerei und sagte nachlässig: „Na, vielleicht ist das Arbeit, oder es ist keine Arbeit, jedenfalls macht es Tom Sawyer Spaß.“
„Na, na, du willst doch nicht wirklich sagen, daß dir das da Spaß macht!?“
Der Pinsel strich und strich.
„Spaß? Warum soll‘s denn kein Spaß sein? Kannst du vielleicht jeden Tag einen Zaun anstreichen?“
Ben erschien die Sache plötzlich in anderem Lichte. Er hörte auf, an seinem Apfel zu knuppern. Tom fuhr mit seinem Pinsel bedächtig hin und her, hin und her, hielt an, um sich von der Wirkung zu überzeugen, half hier und da ein bißchen nach, prüfte wieder, während Ben immer aufmerksamer wurde, immer interessierter. Plötzlich sagte er: „Du, Tom, laß mich ein bißchen streichen!“
Tom überlegte, war nahe daran, einzuwilligen, aber er besann sich: „Ne, ne. Ich würde es herzlich gern tun, Ben. Aber – Tante Polly gibt so viel gerade auf diesen Zaun, gerade an der Straße – weißt du. Aber wenn es der schwarze Zaun wäre, wär‘s mir recht und ihr wär‘s auch recht. Ja, sie gibt schrecklich viel auf diesen Zaun, deshalb muß ich das da sehr sorgfältig machen! Ich glaube von tausend, was – zweitausend Jungen ist vielleicht nicht einer, der‘s ihr recht machen kann, wie sie‘s haben will.“
„Na – wirklich? – Du – gib her, nur mal versuchen, nur ein klein – bißchen versuchen. Ich würde dich lassen, wenn‘s meine Arbeit wäre, Tom.“
„Ben, ich würd‘s wahr – haf – tig gern tun; aber Tante Polly – weißt du, Jim wollt‘s auch schon tun, aber