Der Zauberberg. Volume 1. Томас Манн

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Der Zauberberg. Volume 1 - Томас Манн


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schien Ihnen nur so! Auf mein Wort, das war Täu-schung", sagte der Italiener mit einer entscheidenden Handbe-wegung. "Wir sind tief gesunkene Wesen, nicht wahr, Leut-nant", wandte er sich an Joachim, der sich über diese Anrede nicht wenig freute, dies aber zu verbergen suchte und besonnen erwiderte:

      "Wir sind wohl wirklich etwas versimpelt. Aber man kann sich schließlich wieder zusammenreißen."

      "Ja, Ihnen traue ich's zu; Sie sind ein anständiger Mensch", sagte Settembrini. "So, so, so", sagte er dreimal mit scharfem S, indem er sich wieder gegen Hans Castorp wandte, und schnalz-te dann ebensooft mit der Zunge leise am oberen Gau-men. "Sieh, sieh, sieh", sagte er hierauf, ebenfalls dreimal und mit scharfem S-Laut, indem er dem Neuling so unverwandt ins Auge blickte, daß seine Augen in eine fixe und blinde Ein-stellung gerieten, und fuhr dann, seinen Blick wieder belebend, fort:

      "Ganz freiwillig kommen Sie also herauf zu uns Herunterge-kommenen und wollen uns einige Zeit das Vergnügen Ihrer Gesellschaft gönnen. Nun, das ist schön. Und welche Frist haben Sie in Aussicht genommen? Ich frage nicht fein. Aber es soll mich doch wundernehmen, zu hören, wieviel man sich zu-diktiert, wenn man selbst zu bestimmen hat und nicht Rhadamanth!"

      "Drei Wochen", sagte Hans Castorp mit etwas eitler Leich-tigkeit, da er merkte, daß er beneidet wurde.

      "O dio, drei Wochen! Haben Sie gehört, Leutnant? Hat es nicht fast etwas Impertinentes, zu sagen: Ich komme auf drei Wochen hierher und reise dann wieder? Wir kennen das Wo-chenmaß nicht, mein Herr, wenn ich Sie belehren darf. Unsere kleinste Zeiteinheit ist der Monat. Wir. rechnen im großen Stil, das ist ein Vorrecht der Schatten. Wir haben noch andere, und sie sind alle von ähnlicher Qualität. Darf ich fragen, welchen Be-ruf Sie ausüben im Leben – oder wohl richtiger: aufweichen Sie sich vorbereiten? Sie sehen, wir legen unserer Neugier keine Fes-seln an. Auch die Neugier rechnen wir zu unseren Vorrechten."

      "Bitte sehr", sagte Hans Castorp. Und er gab Auskunft.

      "Ein Schiffsbaumeister! Aber das ist großartig!" rief Settembrini. "Seien Sie überzeugt, daß ich das großartig finde, obgleich meine eigenen Fähigkeiten in anderer Richtung liegen."

      "Herr Settembrini ist Literat", sagte Joachim erläuternd und etwas verlegen. "Er hat für deutsche Blätter den Nachruf für Carducci geschrieben, – Carducci, weißt du." Und er wurde noch verlegener, da sein Vetter ihn verwundert ansah und zu sagen schien: Was weißt denn du von Carducci? Ebenso wenig wie ich, sollte ich meinen.

      "Das ist richtig", sagte der Italiener kopfnickend. "Ich hatte die Ehre, Ihren Landsleuten von dem Leben dieses großen Po-eten und Freidenkers zu erzählen, als es abgeschlossen war. Ich kannte ihn, ich darf mich seinen Schüler nennen. In Bologna habe ich zu seinen Füßen gesessen. Ihm verdanke ich, was ich an Bildung und Frohsinn mein eigen nenne. Aber wir sprachen von Ihnen. Ein Schiffsbaumeister! Wissen Sie, daß Sie zuse-hends emporwachsen in meinen Augen? Sie sitzen da plötzlich, als der Vertreter einer ganzen Welt der Arbeit und des prakti-schen Genies!"

      "Aber Herr Settembrini – ich bin ja eigentlich noch Student und fange erst an."

      "Gewiß, und aller Anfang ist schwer. Überhaupt, alle Arbeit ist schwer, die diesen Namen verdient, nicht wahr?"

      "Ja, das weiß der Teufel!" sagte Hans Castorp, und es kam ihm von Herzen.

      Settembrini zog rasch die Brauen empor.

      "Sogar den Teufel rufen Sie an", sagte er, "um das zu bekräftigen? Den leibhaftigen Satan? Wissen Sie auch, daß mein gro-ßer Lehrer eine Hymne an ihn gerichtet hat?"

      "Erlauben Sie", sagte Hans Castorp, "an den Teufel?"

      "An ihn selbst. Sie wird in meiner Heimat zuweilen gesungen, bei festlichen Gelegenheiten. O salute, o Satana, o Ribel-lione, o forza vindice della Ragione … Ein herrliches Lied! Aber dieser Teufel war es wohl kaum, den Sie im Sinne hatten, denn er steht mit der Arbeit auf ausgezeichnetem Fuß. Der, den Sie meinten und der die Arbeit verabscheut, weil er sie zu fürchten hat, ist vermutlich jener andere, von dem es heißt, daß man ihm nicht den kleinen Finger reichen soll –"

      Das alles wirkte recht sonderbar auf den guten Hans Castorp. Italienisch verstand er nicht, und das übrige war ihm auch nicht behaglicher. Es schmeckte nach Sonntagspredigt, obgleich es in leichtem und scherzhaftem Plauderton vorgetragen wurde. Er sah seinen Vetter an, der die Augen niederschlug, und sagte dann:

      "Ach, Herr Settembrini, Sie nehmen meine Worte viel zu genau. Das mit dem Teufel war nur so eine Redewendung von mir, ich versichere Sie!"

      "Irgend jemand muß Geist haben", sagte Settembrini, indem er melancholisch in die Luft blickte. Aber sich wieder belebend, erheiternd und anmutig einlenkend fuhr er fort:

      "Jedenfalls schließe ich wohl mit Recht aus Ihren Worten, daß Sie da einen ebenso anstrengenden wie ehrenvollen Beruf erwählt haben. Mein Gott, ich bin Humanist, ein homo huma-nus, ich verstehe nichts von ingeniösen Dingen, so aufrichtig der Respekt ist, den ich ihnen zolle. Aber vorstellen kann ich mir wohl, daß die Theorie Ihres Faches einen klaren und schar-fen Kopf und seine Praxis einen ganzen Mann verlangt, – ist es nicht so?"

      "Gewiß ist es so, ja, da kann ich Ihnen unbedingt zustimmen", antwortete Hans Castorp, indem er sich unwillkürlich bemühte, ein wenig beredt zu sprechen. "Die Anforderungen sind kolossal heutzutage, man darf es sich gar nicht so klar ma-chen, wie scharf sie sind, sonst könnte man wahrhaftig den Mut verlieren. Nein, ein Spaß ist es nicht. Und wenn man nun auch nicht der Stärkste ist … Ich bin ja hier nur zu Gaste, aber der Stärkste bin ich doch auch nicht gerade, und da müßte ich lü-l',en, wenn ich behaupten wollte, daß mir das Arbeiten so ausge-zeichnet bekäme. Vielmehr nimmt es mich ziemlich mit, das muß ich sagen. Recht gesund fühle ich mich eigentlich nur, wenn ich gar nichts tue –"

      "Zum Beispiel jetzt?"

      "Jetzt? Oh, jetzt bin ich noch so neu hier oben, – etwas ver-wirrt, können Sie sich denken."

      "Ah, – verwirrt."

      "Ja, ich habe auch nicht ganz richtig geschlafen, und dann war das erste Frühstück zu ausgiebig … Ich bin ja ein ordentliches Frühstück gewöhnt, aber das heutige war doch, wie es scheint, zu kompakt für mich, too rich, wie die Engländer sagen. Kurz, ich fühle mich etwas beklommen, und besonders wollte mir heute morgen meine Zigarre nicht schmecken, – denken Sie! Das passiert mir so gut wie nie, nur, wenn ich ernstlich krank bin, – und nun schmeckte sie mir heute wie Leder. Ich mußte sie wegwerfen, es hatte keinen Zweck, daß ich es forcier-te. Sind Sie Raucher, wenn ich fragen darf? Nicht? Dann können Sie sich nicht vorstellen, was für ein Ärger und eine Enttäu-schung das für jemanden ist, der von Jugend auf so besonders gern raucht, wie ich …"

      "Ich bin ohne Erfahrung auf diesem Gebiet", erwiderte Settembrini, "und befinde mich übrigens mit dieser Unerfahrenheit in keiner schlechten Gesellschaft. Eine Reihe von edlen und nüchternen Geistern haben den Rauchtabak verabscheut. Auch Carducci liebte ihn nicht. Aber da werden Sie bei unserem Rhadamanth Verständnis finden. Er ist ein Anhänger Ihres La-siere."

      "Nun, – Laster, Herr Settembrini …"

      "Warum nicht? Man muß die Dinge mit Wahrheit und Kraft bezeichnen. Das verstärkt und erhöht das Leben. Auch ich habe Laster."

      "Und Hofrath Behrens ist also Zigarrenkenner? Ein reizender Mann."

      "Sie finden? Ah, Sie haben also schon seine Bekanntschaft gemacht?"

      "Ja, vorhin, als wir fortgingen. Es war beinahe so etwas wie eine Konsultation, aber sine pecunia, wissen Sie. Er sah gleich, daß ich ziemlich anämisch bin. Und dann riet er mir, hier so zu leben 'wie mein Vetter, viel auf dem Balkon zu liegen, und messen soll ich mich auch gleich mit, hat er gesagt."

      "Wahrhaftig?" rief Settembrini … "Vorzüglich!" rief er nach oben in die Luft hinein, indem er sich lachend zurückneigte. "Wie heißt es doch in der Oper Ihres Meisters? 'Der Vogelfän-ger bin ich ja, stets lustig, heisa hopsassa!' Kurz, das ist sehr amüsant. Sie werden seinen Rat befolgen? Zweifelsohne. Wie sollten sie nicht. Ein Satanskerl, dieser Rhadamanth! Und wirk-lich 'stets lustig', wenn auch zuweilen ein wenig gezwungen. Er neigt zur Schwermut. Sein Laster bekommt ihm nicht – sonst wäre es übrigens kein Laster – , der Rauchtabak macht ihn schwermütig, – weshalb


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