Aus meinem Leben. Zweiter Teil. Bebel August

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Aus meinem Leben.  Zweiter Teil - Bebel August


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es finden. Hatte Schweitzer 1862 2600 Gulden aus der Schützenfestkasse entnommen, so unterschlug er später, als er Präsident des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins war und als solcher über die Kassengelder verfügte, von schlecht gelohnten Arbeitern gesammelte Groschen, um seine Gelüste zu befriedigen. Es handelte sich hier nicht um große Summen, aber das lag nicht an Schweitzer, sondern an dem mageren Inhalt der Kasse. Diese Mißwirtschaft ist ihm auf verschiedenen Generalversammlungen des Vereins vorgeworfen und nachgewiesen worden, und Bracke, der jahrelang Kassierer des Vereins war und auf Schweitzers Anweisung die Gelder auszahlen mußte, hat ihn öffentlich dieser Schandtat bezichtigt, ohne daß Schweitzer ein Wort der Verteidigung wagte. Wer aber dergleichen fähig ist, von dem soll man nicht behaupten, daß er unfähig gewesen sei, sich politisch zu verkaufen, was doch das einzige halbwegs lukrative Geschäft für ihn sein konnte. Den Nachweis, wieviel gezahlt wurde, kann niemand erbringen, denn dergleichen Geschäfte werden nicht auf offenem Markte abgeschlossen. Es kann sich hier nur um den Nachweis durch Indizien und zahlreiche Tatsachen handeln, die sich anders nicht erklären lassen. Hervorheben möchte ich hier, daß Bismarck nach 1866 die Zinsen aus dem 48 Millionen Mark betragenden Privatvermögen des Königs von Hannover zur Verfügung standen, die er skrupellos für ihm gutdünkende politische Zwecke benutzte. Diesen Fonds, der unter dem Namen „Reptilienfonds“ berüchtigt geworden ist, konnte Bismarck verwenden, ohne jemand darüber Rechenschaft abzulegen. Da ist's nun charakteristisch, daß, während die ganze Oppositionspresse gegen diesen Korruptionsfonds ankämpfte, der „Sozialdemokrat“ den Fonds niemals erwähnte.

      Charakteristisch für den Mann ist ferner, daß, als wir Anfang 1868 das „Demokratische Wochenblatt“ herausgaben, er systematisch den Namen desselben totschwieg und, wenn er nicht umhin konnte, gegen dasselbe zu polemisieren, er immer nur von dem Blatte des Herrn Liebknecht sprach. Er wollte mit dieser Taktik verhindern, daß einer seiner Anhänger durch Nennung des Namens des Blattes auf den Gedanken kommen könnte, das „Demokratische Wochenblatt“ zu abonnieren, wodurch der Leser vieles erfahren konnte, was ihm, Schweitzer, unangenehm war. Das war eine kleinliche und lächerliche Kampfesweise, aber er übte sie.

* * * * *

      Eine merkwürdige Wandlung stellte sich bei Schweitzer wieder im Frühjahr 1868 ein. Gleich dem „Demokratischen Wochenblatt“ druckte jetzt der „Sozialdemokrat“, wenn er vom norddeutschen Reichstag sprach, diese Worte in Gänsefüßchen ab. Auch hielt er im Reichstag – Mitte Juni 1868 – eine Rede, in der er in einer Polemik gegen v. Kirchmann eine ganz andere Auffassung als bisher vom Wert des allgemeinen Wahlrechts entwickelte. Bisher hatte er damit eine Art Kultus getrieben und die Wahl Bismarcks durch seine Anhänger in Barmen-Elberfeld bekanntlich damit zu rechtfertigen gesucht, daß sie dem Geber des allgemeinen Stimmrechts ihre Dankbarkeit beweisen wollten, als sie ihn wählten. Jetzt erklärte er:

      „Ich muß im Interesse derjenigen, die mich gewählt haben, und im Interesse der demokratischen Sache konstatieren, daß dieses Haus nur scheinbar und nicht in Wirklichkeit aus allgemeinen Wahlen hervorgegangen ist.“

      Er motivierte dieses damit, daß Preßfreiheit und volle Vereins-und Versammlungsfreiheit fehlten. Diese fehlten aber von Anfang an, und doch klang damals sein Urteil anders. Das Urteil, das er jetzt über das geltende Wahlrecht fällte, deckte sich mit dem, das das „Demokratische Wochenblatt“ längst und wiederholt abgegeben hatte. Diese plötzliche auffällige Meinungsänderung wurde offenbar wieder durch die zunehmende Opposition in seinem Verein verursacht.

      In Nr. 80 des „Sozialdemokrat“ vom 19. Juli kündigt Schweitzer an, daß er eine dreiwöchige Haft in der Stadtvogtei antrete, die ihm wegen eines Flugblattes vom Landgericht Elberfeld zuerkannt worden war. Er ernannte W. Real in Düsseldorf zum Vizepräsidenten und Hasselmann zum Leiter des Vereinsorgans, mit dessen Eintritt die Rüpelhaftigkeit im Ton des Blattes einkehrte. Der pathetische Schluß der Ansprache lautete:

      „Indem ich meine Haft antrete, richte ich an alle Parteigenossen meinen herzlichsten Abschiedsgruß. Ich hoffe, den Verein in derselben Blüte, in der ich ihn verlasse, oder in noch gesteigertem Maße (nach ganzen drei Wochen) wiederzufinden.“

      Im Sommer 1868 hatte Johann Jacoby eine Rede über „Die soziale Frage“ gehalten, in der er stark nach links und weit ab von der Fortschrittspartei rückte. Auf einem großen Volksfest, das auf der Asse bei Braunschweig abgehalten wurde, hatte sich Bracke über dieses Auftreten Jacobys sehr günstig ausgesprochen und es begrüßt. Bracke stellte hier über die Rede folgende Thesen auf: Erstens, das demokratische Programm von Johann Jacoby verdient im höchsten Maße die Beachtung des deutschen Volkes; zweitens, nach demselben gibt es in den Zielen keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der entschiedenen demokratischen Partei und der eigentlichen Arbeiterpartei; drittens, beide Parteien müssen in dem von Jacoby aufgestellten Ziel: Umgestaltung der bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Zustände im Sinne der Freiheit, gegründet auf Gleichheit alles dessen was Menschengesicht trägt, übereinstimmen. Darauf antwortete der „Sozialdemokrat“ in einem „Verwirrung“ überschriebenen Artikel:

      „Der von Jacoby aufgestellte Satz einer gerechten Verteilung des Arbeitslohnes zwischen Kapital und Arbeit, die zu erstreben wäre, ist eine über alle Maßen verfehlte, alberne und hohle Phrase; es ist traurig, daß es Mitglieder des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins gibt, die an diesen elenden Brocken herumkauen. … Wenn einer behauptet, es seien beachtenswerte Gedanken in Jacobys Rede, wird es hoffentlich von allen Seiten tönen: Nein! es ist albernes, hohles Geschwätz eines wichtigtuenden Bourgeois.“

      Diese erregte, grobe Sprache zeigte, welche Aufregung es Schweitzer verursachte, sobald Mitglieder des Vereins den Anschein erweckten, als wollten sie mit Vertretern nahestehender Parteien Fühlung nehmen. Der Verein mußte nach außen mit einer Art chinesischer Mauer umgeben sein, damit er ihn absolut beherrschen und nach seinem Willen lenken konnte.

      Die nächste Generalversammlung des Vereins war auf den 22. bis 26. August nach Hamburg einberufen. Waren auf der Braunschweiger Generalversammlung nur 2508 Mitglieder vertreten, auf der Berliner 3102, so jetzt 8192 durch 36 Delegierte. Der Verein war also wesentlich stärker geworden. Man hat diese Entwicklung ausschließlich der Tätigkeit und der Leitung Schweitzers zugeschrieben. Mit Unrecht. Der Druck der Krise, die sich als Folge des sechsundsechziger Krieges eingestellt hatte, war gewichen, an deren Stelle brachte das Jahr 1868 eine Prosperitätsperiode. Damit hatte die Hoffnungsfreudigkeit und das politische Leben in den Arbeiterkreisen von neuem eingesetzt, wovon nicht nur der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, sondern auch der Verband der Arbeitervereine profitierte, an dessen Spitze ich stand und der damals über 13000 Mitglieder zählte, die freilich keine programmatische Geschlossenheit wie der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein besaßen. Schweitzer suchte jetzt Karl Marx für sich zu gewinnen. Er hatte Marx den Dank des Vorstandes für sein Werk „Das Kapital“ votieren lassen, auch hatte er ihn zur Generalversammlung nach Hamburg eingeladen, eine Einladung, die Marx wegen Ueberbürdung mit Arbeit ablehnte. Auch erlaubte er, daß Geib folgenden Antrag stellte:

      „Die Generalversammlung erklärt, da der Druck des Kapitals und der Reaktion in allen Kulturländern aus im wesentlichen gleichen Ursachen auf der Arbeiterklasse lastet und da die Bestrebungen der Arbeiter nur dann erfolgreich sein können, wenn sie einheitlich zusammenhängend in allen Kulturländern auftreten, ist es die Pflicht der deutschen Arbeiterpartei und der Arbeiterparteien aller Kulturländer, die von denselben Prinzipien geleitet werden, gemeinsam vorzugehen.“

      Dieser Antrag wurde einstimmig angenommen. Aber wie radikal sich Schweitzer auch gebärdete, die Unzufriedenheit mit seiner Diktatur nahm zu. So beantragten die Erfurter Mitglieder: Schweitzer solle spezifizierte Rechnung ablegen über die Gelder, die er seit dem 1. Januar 1868 der Kasse entnommen habe. Der Vorstand solle die Abrechnung prüfen. Düsseldorf verlangte, daß Präsidium und Redaktion des Vereinsorgans getrennt würden, die Einrichtung könne leicht zu Despotismus führen; sie hätte bereits dazu geführt. Weiter waren lebhafte Klagen auf den vermiedenen Generalversammlungen laut geworden, daß die Redaktion des „Sozialdemokrat“ ihr mißfallende Korrespondenzen unterdrücke, andere willkürlich ändere, ja fälsche. Ein Antrag, das Organ von seiten des Vereins zu übernehmen, wurde auf der Generalversammlung für untunlich, die Trennung der Redaktion vom Präsidium als unzweckmäßig erklärt. Dagegen wurde beschlossen, daß der vierundzwanzigköpfige Vorstand des Vereins, der in vielen Orten


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