Три товарища / Drei Kameraden. Эрих Мария Ремарк
Читать онлайн книгу.gut geblieben. Aber eine Wohnung kostete Geld, und ein Kind bei diesen unsicheren Zeiten – wer konnte sich das leisten! So hockten sie zu dicht aufeinander, die Frau war hysterisch geworden, und der Mann hatte ständig Angst, seinen kleinen Posten zu verlieren. Dann war er fertig. Er war fünfundvierzig Jahre alt. Niemand nahm ihn mehr, wenn er einmal arbeitslos wurde.
Es klopfte und Hasse ging herein. Er fiel auf einen Stuhl: »Ich ertrage es nicht mehr…«
Er war ein guter Mann. Ein bescheidener, pflichttreuer Angestellter. Aber gerade die hatten es heute am schwersten. Sie hatten es wohl immer am schwersten. Bescheidenheit und Pflichttreue werden nur in Romanen belohnt. Im Leben werden sie ausgenutzt und dann beiseite geschoben. Hasse hob die Hände.
»Denken Sie, schon wieder zwei Kündigungen im Geschäft. Der nächste bin ich, passen Sie auf, ich!«
In dieser Angst lebte er von einem Ersten zum andern. Ich schenkte ihm einen Schnaps ein. Seine Frau war zweiundvierzig. Sie war noch nicht so verbraucht wie der Mann. Sie litt an Torschlußpanik[3]. Es hatte keinen Zweck, sich da einzumischen.
»Hören Sie, Hasse«, sagte ich, »bleiben Sie ruhig hier sitzen, solange Sie wollen. Ich muß weg. Kognak steht im Kleiderschrank, wenn Sie den lieber mögen. Das hier ist Rum. Da liegen Zeitungen. Und dann gehen Sie heute nachmittag mit Ihrer Frau doch mal‚ raus aus dem Bau hier. Vielleicht ins Kino. Das kostet ebensoviel wie zwei Stunden im Café, und Sie haben mehr davon!«
Nebenan stand die Tür offen. Die Frau schluchzte, daß man es draußen hören konnte. Die nächste Tür war angelehnt. Eine Wolke Parfüm kam heraus. Da wohnte Erna Bönig, Privatsekretärin. Viel zu elegant für ihr Gehalt; aber einmal in der Woche diktierte ihr Chef ihr bis zum Morgen. Dann war sie am nächsten Tag sehr schlechter Laune. Dafür ging sie jeden Abend tanzen. Wenn sie nicht mehr tanzen könne, wolle sie nicht mehr leben, erklärte sie. Sie hatte zwei Freunde. Einer liebte sie und brachte ihr Blumen. Den anderen liebte sie und gab ihm Geld. Neben ihr Rittmeister Graf Orlow, russischer Emigrant. Eintänzer, Kellner, Filmkomparse, Gigolo mit grauen Schläfen, wunderbarer Gitarrespieler. Nächste Tür. Frau Bender, Krankenschwester in einem Säuglingsheim. Fünfzig Jahre alt. Mann im Kriege gefallen. Zwei Kinder 1918 an Unterernährung gestorben. Hatte eine bunte Katze. Das einzige. Daneben – Müller, pensionierter Rechnungsrat. Schriftführer eines Philatelistenvereins. Lebendige Briefmarkensammlung, sonst nichts. Glücklicher Mensch.
An der letzten Tür klopfte ich.
»Na, Georg«, sagte ich, »immer noch nichts?«
Georg Block schüttelte den Kopf. Er war Student im vierten Semester. Um die vier Semester machen zu können, hatte er zwei Jahre im Bergwerk gearbeitet. Das ersparte Geld war jetzt fast verbraucht; er hatte nur noch für zwei Monate zu leben. Ins Bergwerk konnte er nicht wieder zurück – da waren heute schon zuviel Bergleute ohne Arbeit. Er hatte auf jede Weise versucht, eine Stelle nebenbei zu bekommen. Eine Woche lang war er Zettelausteiler für eine Margarinefabrik gewesen; aber die Fabrik war pleite gegangen. Kurz darauf bekam er einen Posten als Zeitungsausträger, aber nicht lange. Jetzt saß er jeden Tag in seinem Zimmer. Er aß einmal am Tage. Dabei war es egal, ob er die Restsemester noch machte oder nicht – auf eine Stelle konnte er auch nach dem Examen in frühestens zehn Jahren rechnen. Eltern hatte er auch nicht mehr.
Die Küche. Das Telefon. Halbdunkel. Geruch nach Gas und schlechtem Fett. Die Korridortür mit den vielen Visitenkarten neben dem Klingelknopf. Meine auch.
»Robert Lohkamp, stud. phil., zweimal lang klingeln.« Sie war gelb und schmutzig. Stud. phil. War lange her. Ich ging die Treppe hinunter zum Café International.
Das International war ein großer, dunkler, verräucherter Saal mit mehreren Hinterzimmern. Vorn, neben der Theke, stand das Klavier. Es war verstimmt, aber ich liebte es. Es hatte das Jahr meines Lebens mit mir geteilt, als ich als Stimmungsklavierspieler hier engagiert gewesen war. Vorn saßen die Huren. Das Lokal war leer. Nur der Kellner Alois stand hinter der Theke.
»Wie immer?« fragte er.
Ich nickte. Er brachte mir ein Glas Portwein mit Rum, halb und halb. Ich setzte mich an einen Tisch.
Die Katze des Wirtes saß auf dem Klavier und schnurrte. Ich rauchte langsam eine Zigarette. Die Luft machte schläfrig. Eine sonderbare Stimme hatte das Mädchen gestern gehabt. Dunkel, etwas rauh, fast heiser, aber doch weich.
»Gib mir mal ein paar Magazine, Alois«, sagte ich.
Da knarrte die Tür. Rosa kam. Rosa, die Friedhofshure, genannt das Eiserne Pferd. Sie wollte eine Tasse Schokolade trinken. Die leistete sie sich jeden Sonntagmorgen hier; dann fuhr sie nach Burgdorf, um ihr Kind zu besuchen.
»Servus, Robert.«
»Servus, Rosa. Was macht die Kleine?«
»Will mal sehen. Hier – das bring‘ ich ihr mit.«
Sie packte aus einem Paket eine Puppe mit roten Backen und drückte ihr auf den Bauch.
»Ma-ma«, quäkte die Puppe. Rosa strahlte.
»Fabelhaft!« sagte ich.
»Paß mal auf.«
Sie beugte die Puppe nach hinten. Mit einem Klapp schlössen sich die Augen.
»Unerhört, Rosa.« Sie war befriedigt und packte die Puppe wieder weg. »Du verstehst was von solchen Sachen, Robert. Wirst mal ein guter Ehemann.«
»Na, na«, sagte ich zweifelnd.
Rosa hing an ihrem Kinde. Bis vor einem Vierteljahr, solange es noch nicht laufen konnte, hatte sie es bei sich in ihrem Zimmer gehabt. Dann gab sie in ein teures Kinderheim. Dort galt sie als Witwe. Sonst hätte man das Kind nicht angenommen.
»Du kommst doch Freitag? Du weißt doch, was los ist?«
»Natürlich.« Ich hatte keine Ahnung, was los war; aber ich hatte auch keine Lust, danach zu fragen. Ich trank noch einen Rum, streichelte die Katze und ging dann.
Am späten Nachmittag ging ich in unsere Werkstatt. Köster war da. Er arbeitete an dem Cadillac. Wir hatten ihn vor einiger Zeit alt gekauft. Es war eine Spekulation. Wir hofften, gut damit zu verdienen. Ich zweifelte, ob es ein Geschäft sein würde. Bei den schlechten Zeiten wollten alle Leute kleine Wagen kaufen, aber nicht so einen Omnibus.
»Billige werden gekauft und ganz teure auch. Es gibt immer noch Leute, die Geld haben. Oder so aussehen wollen.«
»Wo ist Gottfried?« fragte ich.
»In irgendeiner politischen Versammlung…«
»Verrückt! Was will er denn da?« Köster lachte.
»Das weiß er selbst nicht. Da muß er ja immer irgend etwas Neues haben.«
»Kann sein«, sagte ich. »Komm, ich helf‘ dir etwas.«
»Weißt du, was ich hier habe?« fragte er.
»Na?«
»Karten zum Boxen heute abend. Zwei. Du gehst doch mit, was?«
Ich zögerte. Er sah mich erstaunt an.
»Stilling boxt«, sagte er, »gegen Walker. Wird ein guter Kampf.«
»Nimm Gottfried mit«, schlug ich vor und fand mich lächerlich, daß ich nicht mitging. Aber ich hatte keine rechte Lust, ich wußte nicht warum.
»Hast du was vor?« fragte er.
»Nein.« Er sah mich an. »Ich gehe mal nach Hause«, sagte ich. »Briefe schreiben und so was. Muß auch mal sein…«
»Na schön. Wie du willst.«
Ich ging nach Hause. Aber als ich in meinem Zimmer saß, wußte ich auch nicht, was ich anfangen sollte. Ich ging über den Korridor, um Georgie zu besuchen. Ich hielt mich nicht lange bei Georgie auf. Nach einer Viertelstunde ging ich zurück. Ich überlegte, ob ich etwas trinken wollte. Aber ich wollte nicht. Ich setzte mich ans Fenster und schaute auf die Straße. Draußen brannten schon die Laternen; aber es war noch nicht dunkel genug. Schließlich – anrufen konnte ich ja mal. Hatte es doch sogar halb und halb versprochen. Wahrscheinlich war das Mädchen auch
3
Ее угнетал страх приближающейся старости.