Drei Meister: Balzac, Dickens, Dostojewski. Стефан Цвейг
Читать онлайн книгу.war sie, ein Schlafmittel, das ihn seinen Lebenshunger vergessen lassen sollte. Er selbst, zum Genießer, zum Verschwender befähigt wie keiner, hat zugestanden, daß diese fieberhafte Arbeit ihm nichts war als ein Mittel zum Genuß. Denn ein so zügellos Begehrender konnte, wie die Monomanen seiner Bücher, auf jede andere Leidenschaft nur verzichten, weil er sie ersetzte. All die Aufpeitschungen des Lebensgefühls, Liebe, Ehrsucht, Spiel, Reichtum, Reisen, Ruhm und Siege konnte er missen, weil er siebenfaches Surrogat in seinem Schaffen fand. Die Sinne sind töricht wie Kinder. Sie können das Echte vom Falschen, Trug von der Wirklichkeit nicht unterscheiden. Sie wollen nur gefüttert sein, gleichviel mit Erlebnis oder Traum. Und Balzac hat seine Sinne ein Leben lang betrogen, indem er ihnen Genüsse vorlog, statt sie ihnen hinzuwerfen, er sättigte ihren Hunger mit dem Duft der Gerichte, die er ihnen versagen mußte. Sein Erlebnis war das leidenschaftliche Beteiligtsein an den Genüssen seiner Kreaturen. Denn er war es ja, der jetzt die zehn Louis hinwarf auf den Spieltisch, zitternd stand, während die Roulette sich drehte, der jetzt die klingende Flut der Gewinste mit heißen Fingern einstrich, er war es, der jetzt im Theater den großen Sieg erfocht, der jetzt mit Brigaden die Höhen stürmte, mit Pulverminen die Börse in ihren Grundfesten erbeben ließ; alle die Lüste seiner Kreaturen gehörten ja ihm, sie waren die Ekstasen, in denen sein äußerlich so armes Leben sich verzehrte. Er spielte mit diesen Menschen so wie Gobsec, der Wucherer, mit den Gequälten, die hoffnungslos zu ihm kamen, um sich Geld auszuborgen, die er aufschnellen ließ an seiner Angel, deren Schmerz, Lust und Qual er nur prüfend mitansah als das mehr oder minder talentvolle Sichgebärden von Schauspielern. Und sein Herz spricht unter dem schmutzigen Kittel Gobsecs: „Glauben Sie, daß es nichts bedeutet, wenn man so in die verborgensten Falten des menschlichen Herzens eindringt, wenn man so tief darin eindringt und es in seiner Nacktheit vor sich hat?“ Denn er, der Zauberer des Willens, schmolz Fremdes zu Eigenem um, Traum zu Leben. Man erzählt von ihm, daß er in seiner Jugend, als er in seiner Mansarde trockenes Brot, seine ärmliche Mahlzeit, verzehrte, sich auf den Tisch mit Kreide die Randspur von Tellern gezeichnet habe und in ihre Mitte die Namen der erlesensten Lieblingsgerichte geschrieben, um so im trockenen Brot nur durch die Suggestion des Willens den Geschmack der verschwenderischesten Speisen zu spüren. Und so wie er hier den Geschmack zu schmecken meinte, wie er ihn wirklich schmeckte, so hat er sicherlich alle Reize des Lebens in den Elixieren seiner Bücher unbändig in sich getrunken, so eigene Armut betrogen mit dem Reichtum und der Verschwendung seiner Knechte. Er, der ewig von Schulden Gehetzte, von Gläubigern Gequälte, empfand sicherlich einen geradezu sinnlichen Reiz, wenn er hinschrieb: Hunderttausend Francs Rente. Er war es, der in den Bildern von Elie Magus wühlte, der diese beiden Gräfinnen liebte als ihr Vater Goriot, der gipfelhoch mit Seraphitus über die niegesehenen Fjorde Norwegens aufstieg, der mit Rubempré die bewundernden Blicke der Frauen genoß, er, er selbst war es, für den er aus all diesen Menschen die Lust wie Lava aufschießen ließ, denen er Glück und Schmerz aus den hellen und dunklen Kräutern der Erde braute. Kein Dichter war je mehr Mitgenießer seiner Gestalten. Gerade an jenen Stellen, wo er den Zauber des so sehr ersehnten Reichtums schildert, spürt man stärker als in den erotischen Abenteuern den Rausch des Selbstbezauberten, die Haschischträume des Einsamen. Das ist seine innerste Leidenschaft, dieses Auf- und Abströmen von Zahlen, dieses gierige Gewinnen und Zerrinnen von Summen, dieses Schleudern von Kapitalien von Hand zu Hand, das Schwellen der Bilanzen, der Wettersturz der Werte, diese Stürze und Aufstiege ins Grenzenlose. Millionen läßt er wie Ungewitter über Bettler hereinbrechen, Kapitale wieder in weichen Händen wie Quecksilber zerrinnen, mit Wollust malt er die Paläste der Faubourgs, die Magie des Geldes. Die Worte Millionen, Milliarden, das ist immer hingestammelt mit jenem ohnmächtigen Nicht-mehr-sprechen-können, dem Röcheln letzten sinnlichen Begehrens. Voluptuös wie die Frauen eines Serails sind die Prunkstücke der Gemächer gereiht, wie wertvolle Kronjuwelen die Insignien der Macht ausgebreitet. Bis in seine Manuskripte hat sich dieses Fieber eingebrannt. Man kann sehen, wie die anfangs ruhigen und zierlichen Zeilen aufschwellen gleich den Adern eines Zornigen, wie sie taumeln, rascher werden, wie sie rasend sich überhetzen, befleckt von den Spuren des Kaffees, mit dem er die ermatteten Nerven vorwärtspeitschte, hört fast das rastlose, ratternde Keuchen der überhitzten Maschine, den fanatischen, maniakalischen Krampf ihres Schöpfers, diese Gier des Don Juan du verbe, des Menschen, der alles besitzen will und alles haben. Und sieht den nochmaligen impetuosen Ausbruch des ewig Ungenügsamen in den Korrekturbogen, deren starres Gefüge er immer wieder aufriß wie der Fiebernde seine Wunde, um noch einmal das rote pochende Blut der Zeilen durch den schon starren, erkalteten Körper zu jagen.
Solche titanische Arbeit bliebe unverständlich, wäre sie nicht Wollust gewesen und noch mehr: der einzige Lebenswille eines asketisch allen anderen Machtformen entsagenden Menschen, eines Leidenschaftlichen, dem die Kunst die einzige Möglichkeit der Entäußerung war. Einmal, zweimal hatte er ja flüchtig in anderem Material geträumt. Er hatte sich im praktischen Leben versucht, zum erstenmal, als er, verzweifelnd am Schaffen, die wirkliche Geldgewalt wollte, Spekulant wurde, eine Druckerei gründete und eine Zeitung; aber mit jener Ironie, die das Schicksal immer für Abtrünnige bereit hat, hat er, der in seinen Büchern alles kannte, die Coups der Börsenleute, die Raffinements der kleinen und der großen Geschäfte, die Schliche der Wucherer, der jedem Ding seinen Wert wußte, der Hunderten von Menschen in seinen Werken die Existenz errichtet, ein Vermögen mit richtigem, logischem Aufbau gewonnen hatte, er selbst, der Grandet, Popinot, Crevel, Goriot, Bridau, Nucingen, Wehrbrust und Gobsec reich gemacht hat, er selbst hat sein Kapital verloren, ist schmählich zugrunde gegangen, und nichts blieb ihm als jenes furchtbare Bleigewicht von Schulden, die er dann stöhnend auf seinen breiten Lastträgerschultern das halbe Jahrhundert seines Lebens weiterschleppte, Helote der unerhörtesten Arbeit, unter der er eines Tages mit zersprengten Adern lautlos zusammenbrach. Die Eifersucht der verlassenen Leidenschaft, der einzigen, der er sich hingegeben hatte, der Kunst, hat sich furchtbar an ihm gerächt. Selbst die Liebe, den andern ein wunderbarer Traum über ein Erlebtes und Wirkliches, wurde bei ihm erst Erlebnis aus einem Traum. Frau von Hanska, seine spätere Gattin, die étrangère, der jene berühmten Briefe galten, war von ihm leidenschaftlich schon geliebt, ehe er in ihre Augen gesehen, war damals schon geliebt von ihm, als sie noch Unwirklichkeit war, wie die fille aux yeux d'or, wie die Delphine und die Eugenie Grandet. Für den wahrhaften Schriftsteller ist jede andere Leidenschaft als die des Schaffens, des Erträumens eine Abirrung. „L'homme des lettres doit s'abstenir des femmes, elles font perdre son temps, on doit se borner à leur écrire, cela forme le style“, sagte er zu Theophile Gautier. Im Innersten liebte er auch nicht Frau von Hanska, sondern die Liebe zu ihr, liebte nicht die Situationen, die ihm begegneten, sondern die er sich erschuf, er fütterte den Hunger nach Wirklichkeit so lange mit Illusionen, spielte so lange in Bildern und Kostümen, bis er, wie die Schauspieler in den erregtesten Momenten, selbst an seine Leidenschaft glaubte. Unermüdlich hat er dieser Leidenschaft des Schaffens gefrönt, den inneren Verbrennungsprozeß so lange beschleunigt, bis die Flamme aufschlug und nach außen brach, bis er zugrunde ging. Mit jedem neuen Buch schrumpfte, wie die magische Elentiershaut seiner mystischen Novelle, bei jedem so betätigten Wunsch sein Leben zusammen, und er unterlag seiner Monomanie wie der Spieler den Karten, der Trinker den Weinen, der Haschischträumer der verhängnisvollen Pfeife und der Wollüstling den Frauen. Er ging an der überreichen Erfüllung seiner Wünsche zugrunde.
Es ist ein nur Selbstverständliches, daß ein dermaßen kolossalischer Wille, der Träume so mit Blut und Lebendigkeit erfüllte, der sie so anspannte, bis ihre Erregungen nicht minder stark waren wie die Phänomene der Wirklichkeit, daß ein solch ungeheuer zauberkräftiger Wille in seiner eigenen Magie das Geheimnis des Lebens sah und sich selbst zum Weltgesetz erhob. Eine eigentliche Philosophie konnte der nicht haben, der nichts von sich verriet, vielleicht nichts mehr war als ein Wandelhaftes, der keine Gestalt hatte wie Proteus, weil er alle in sich verkörperte, der wie ein Derwisch, ein flüchtiger Geist, in die Körper von tausend Gestalten unterschlüpfte und sich verlor in den Irrgängen ihres Lebens, jetzt mit dem einen Optimist, jetzt Altruist, jetzt Pessimist und Relativist, der alle Meinungen und Werte in sich ein- und ausschalten konnte wie elektrische Ströme. Er gibt keinem unrecht und gibt keinem recht. Balzac hat immer nur épousé les opinions des autres – wir haben kein deutsches Wort für dieses spontane Aufnehmen einer Meinung ohne dauernde Identifizierung –, er war eingefangen im Augenblick, in der Brusthöhle seiner Menschen, trieb mit im Schwall ihrer Leidenschaften und Laster. Wahrhaft und unabänderlich mußte ihm nur der ungeheure Wille sein, dieses