Śnieżka musi umrzeć. Nele Neuhaus

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Śnieżka musi umrzeć - Nele Neuhaus


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Sowjetunion ihre Truppen nicht aus dem Iran abzöge. Die Deutschen waren jedoch kriegsmüde, arrangierten sich mit der Teilung ihres Vaterlandes in vier Besatzungszonen und schauten nach vorne. Die Amerikaner entwickelten für die europäischen Länder einschließlich Deutschlands den Marshallplan. Auslöser für die Wirtschaftshilfe war der beginnende Kalte Krieg und der damit befürchtete Einfluss der Sowjetunion und des Kommunismus bei der notleidenden und teilweise hungernden Bevölkerung in Europa.

      Mein dritter Glücksfall war die Flucht meiner Familie aus dem sowjetisch besetzten Teil Ostberlins nach Hamburg-Bramfeld in den Bereich der britisch besetzten Zone. So wurde ich unter der Obhut der Briten in dieser hanseatischen Hafenstadt geboren, wo man bemüht war eine Demokratie zum Wohle der Bevölkerung aufzubauen. Zuversicht ließen die Demütigungen des erlebten Kriegs- und Nachkriegstraumas nach und nach schwinden. Diese Sehnsucht hatten auch die Deutschen, die im vormaligen Westpreußen die Nachkriegszeit unter polnischer und russischer Besatzung ertragen und erleiden mussten. Bei einigen dieser deutschen Aussiedlerfamilien brauchte es allerdings mehr als ein Jahrzehnt bis sie ihren Traum von Freiheit erfüllt bekamen. Aus so einer Familie stammt Monika, deren Nachkriegsgeschichte ebenso aufregend war wie meine. In meiner Familie und in unserem Umfeld löste sich in den fünfziger Jahren allmählich die Starre der Verbitterung. Man fing an die erlebten Grausamkeiten zu verarbeiten und den Blick nach vorne zu richten. In eine bessere Zukunft. Die Erinnerungen an Fliegeralarme, Bombennächte, Einmarsch, Todesangst, Vergewaltigung, Demütigungen, Flucht, Hunger, Elend, Tod und Trauer wurden langsam verdrängt von neuem Mut zu Lebenswille und Lebensfreude. Durch den Verlust von allem Hab und Gut waren die täglichen Entbehrungen noch tiefgreifend im Alltag zu spüren. Es begann eine spannende Zeit des Wiederaufbaus. Millionen von Frauen im Alter von 15 bis 50 Jahre wurden als Trümmerfrauen zwangsverpflichtet. Diese Heldinnen schufteten sich durch die Berge von Bauschutt der zerbombten Gebäude, um Raum und Material für den Neubau von Wohnungen zu schaffen, das dringend benötigt wurde. Denn im Krieg waren etwa vier Millionen Wohnungen und zahlreiche Fabriken in Deutschland durch die alliierten Luftangriffe zerstört worden. Schätzungen zufolge gab es in Deutschland nach Kriegsende mehr als 400 Millionen Kubikmeter Schutt. Auf die primitivste Weise, kaum mit schwerer Technik, wurden die Trümmerteile mit Spitzhacken oder Hämmer soweit zerkleinert, dass die Ziegelsteine gesäubert für Reparaturen oder Neubauten wiederverwendet werden konnten. Mit dem neuen Mut der Verzweiflung und mit der Hilfe von den westlichen Alliierten wurden Strukturen geschaffen, um die bittere Not der Nachkriegsarmut zu bekämpfen. Ganz langsam fruchtete das Engagement der Deutschen. Der Wiederaufbau der zerstörten Städte begann. Teilweise nutzte man die Situation zu einem radikalen Neuanfang. Auch meine entwurzelte Familie aus Berlin bemühte sich in der neuen Heimat, ohne den Einheimischen zur Last zu fallen, ein neues Leben zu beginnen und man wagte auch schon einmal von etwas Schönem zu träumen.

      Wer ist meine Familie?

      Im Februar 1955, ich war 8 Jahre alt, beschäftigte mich eines Nachts ein heftiger Traum. Der triste Alltag war mir zu öde. Als kleiner Bruder wollte ich einmal ein spannendes Abenteuer erleben. Die mahnenden Gesichter meiner älteren Brüder kamen mir in Gedanken als hässliche Fratzen immer näher. Aus ihren Mündern sprudelte es nur so von Beschimpfungen und beleidigten Erniedrigungen. Sie machten mich nieder, der Traum wurde zum Alptraum. Schweißgebadet wurde ich wach. Allerdings lagen diese Motzköpfe, anders als ich es mir im Schlaf vorstellte, friedlich auf ihren klapprigen Eisenbetten in unserem Zimmer und schliefen. Bitterkalt und stockdunkel war es. Ich hörte nur das leise Atmen der Schlafenden. Ein heftiges Magengrummeln war der Grund meiner saublöden Panikattacke. Mir war unwohl. Zum Anlass der Geburtstagsfeier meiner Mutter aßen wir zur letzten Mittagsmahlzeit Berliner Küche. Gekochte Blut- und Leberwürste lagen auf dem Teller. Als Beilage gab es Sauerkraut und Quetschkartoffeln überzogen mit ausgelassenem Speck. Dieses Gericht schmeckte sehr lecker, war aber für meinen empfindlichen Magen- und Darmtrakt einfach zu fettig.

      Das rächte sich nun. Der Durchfall kündigte sich mit heftigen Magenkrämpfen an. Ich musste noch einmal raus zum Klo. Raus im wahrsten Sinne des Wortes. Es war wohl schon Mitternacht vorbei. Vorsichtig kroch ich aus meinem Bett um bloß keinen Lärm zu machen. Ich durfte meine Brüder nicht wecken. Schließlich mussten alle morgens wieder früh aufstehen um entweder zur Arbeit oder zur Schule zu gehen. Leise schlich ich mich im Dunkeln aus dem Zimmer, zog mir in der Küche meine Gummistiefel an und verließ das Haus. Denn unser Plumpsklo, auch Donnerbalken genannt, befand sich weit hinter unserem Wohngebäude, abseits im Dunklen, des Nachts geheimnisvoll anmutenden Garten. Die zweistelligen Minustemperaturen sorgten in diesem fiesen, vereisten Winter dafür, dass sich schon seit längerer Zeit die Eisblumen an den Fensterscheiben unseres Behelfsheimes in ihrer schönsten kunstvollsten Pracht zeigten. Nur im Pyjama bekleidet, mit meinen Gummistiefeln an den Füßen, stampfte ich, widerwillig, frierend durch den hohen Schnee, der sich im Garten seit einiger Zeit immer mehr und höher auftürmte. Gespenstige Geräusche und gruselige Mondschatten prägten nachts, in der damaligen dünnbesiedelten Gegend am Rande des Dorfes Bramfeld die Szene. Hinter jeder Ecke vermutete ich eine böse, finstere, skrupellose Gestalt.

      Mein Darm meldete sich mit ernsthaften Attacken. Es wurde höchste Zeit, dass ich alsbald das Örtchen der Glücksseligkeit erreichen würde, sonst wäre alles in die Hose gegangen. Als ich endlich am Schuppen angekommen war, öffnete ich mit großer Sorge, dass sich hoffentlich im Inneren niemand aufhält, der mir Gewalt antun könnte, die marode Tür. Knarrend und quietschend bewegte sie sich schwerfällig in den Raum hinein. Der starke Wind rüttelte heftig an den Holzwänden und aufgepeitschter Schnee drängte sich durch die Ritzen und den Spalten der Außenbretter. In dieser baufälligen Bretterbude waren neben Gartengeräten, Kohlen und anderem Krimskrams auch unsere Hühner und unser Klo untergebracht. Für mich war es hier im Dunkeln ein Horrorort. Nachdem es mir nach einigen Versuchen geglückt war mit einem Streichholz eine Kerze anzuzünden, um ein wenig Licht in der Dunkelheit dieser Hölle zu haben, sah ich, dass sich der Schnee inwendig als Teppich niedergelassen hatte. Auch die Sitzfläche vom Klo war weiß überzogen. Ein besorgter, vorsorglicher Blick, bei Kerzenschein, in die Tiefe des Kackeimers und drum herum war mir sehr wichtig und notwendig, um mich davon zu überzeugen, dass dort kein Vieh lauerte und etwa auf die Idee käme mich zu beißen, denn Ratten und anderes Ungeziefer suchten hier auch Schutz vor der Kälte. Besonders Marder schlichen sich immer wieder in unseren Stall, um die Hühner zu killen. Nachdem ich den Sicherheitscheck durchgeführt und den Schnee von der Sitzfläche der Klobretter entfernt hatte, saß ich nun zitternd, nicht nur vor Angst, sondern auch vor der scheußlichen Kälte, auf dem Klo. Der Darm wollte es so, dass ich einsam und allein dieser Situation ausgesetzt war. Kein Familienmitglied dachte daran, mich in der späten Stunde meiner Not zu begleiten und zu beschützen. Hätte ich Schwäche gezeigt, wäre ich obendrein noch als Angsthase verspottet worden. Gespenstiges, lautes Hundegeheul, als ob Wölfe jaulten, war aus der Ferne zu hören. Aus dem nahen Hühnerstall konnte man unruhiges Scharren vernehmen. Die Gummistiefel baumelten nun nervös unter den heruntergelassenen Pyjamahosenbeinen, während ich bemüht war mein Geschäft schnellstens zu erledigen. Jedoch der Durchfall brauchte seine Zeit. Hoffnungsvoll bald fertig zu sein, rieb ich ängstlich am Klopapier, wie damals üblich, ein Blatt einer in Stücke gerissenen alten Bildzeitung. Dieses Groschenblatt, wie es der Volksmund in der Zeit nannte, weil eine Zeitung 10 Pfennige kostete, bekam zum Schluss seiner Existenz noch eine bedeutende Aufgabe. Um mich von meinem Elend abzulenken, schaute ich mir im Kerzenschein das Stückchen Papier genauer an. Voller Begeisterung sah ich, als begnadeter Knabenfußballer, mit einer eigenen ansehnlichen Torquote, schemenhaft auf diesem Fetzen ein Bild mit Fußballern von meinem Hamburger Sport Verein. Für einen Moment waren meine fürchterlichen Ängste wie weggeblasen. Ich schwärmte kurz vom Fußball und träumte davon auch einmal meiner Lieblingself im Stadion zuschauen und zujubeln zu können. Für mich war klar, sollte ich es von hier wieder lebend ins Haus und bis in mein Bett schaffen, werde ich alles daran setzen, mir im kommenden Frühjahr ein Spiel vom Hamburger SV, im Stadion am Rothenbaum, mit meinem Idol, dem Jungstar und Mittelstürmer Uwe Seeler, anzusehen. Ich schaffte es auch diesmal wieder unversehrt, allerdings mit dem Abdruck des verschmierten Spielerbildes am Po, zurück in mein Bett. Diese in all den Jahren notwendigen, nächtlichen, voller Angst und Panik absolvierten Plumpsklobesuche, entwickelten in mir eine gewisse Entschlossenheit, Dinge anzupacken, die sich nicht jeder traute. Bewusst


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