Soll und Haben. Gustav Freytag

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Soll und Haben - Gustav Freytag


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fremden Menschen umhertrieb, wie ein steuerloses Schiff unter rauschenden Wellen, trat Fink zu ihm und sagte: »Höre, du Duckmäuser, entweder hast du süßen Wein getrunken oder du bist ein heimlicher Intrigant. Woher kennst du die Rothsattel? Du hast mir ja nie etwas von der Bekanntschaft gesagt. Sie ist eine hübsche Figur und hat ein klassisches Gesicht. Hat sie denn auch Verstand?«

      Anton hätte in diesem Augenblick seinem Freund erklären können, daß er ihn aufs tiefste verachte. Eine solche Roheit des Ausdrucks konnte nur aus einem ganz entmenschten Gemüt kommen.

      »Verstand?« erwiderte er und sah Fink mit einem Blick tödlicher Feindschaft an. »Wer daran zweifeln kann, muß selbst sehr wenig besitzen.«

      »Nun, nun«, sagte Fink erstaunt, »ich bin nicht in dieser trostlosen Lage. Ich finde das Mädchen, oder was ihrer würdiger sein wird, das junge Fräulein sehr einnehmend, ja, um in der Sprache eines gebildeten Menschen die Wahrheit zu sagen, ungewöhnlich liebenswürdig, und wenn ich nicht anderweit kleine Verpflichtungen hätte, so weiß ich nicht, ob ich nicht genötigt würde, das Fräulein, dessen Namen ich soeben auszusprechen wagte, für die Herrin meines Herzens zu erklären. So freilich darf ich sie nur von fern bewundern.«

      Fink war doch nicht schlecht. Er war in seinen Ausdrücken nicht immer gewählt, aber er hatte im Grunde ein sehr richtiges Gefühl und ein treues Gemüt. Deshalb faßte Anton seinen Arm, drückte ihn kräftig und sagte: »Du hast recht.«

      »Wirklich?« fuhr Fink wieder in seiner gewöhnlichen Weise fort. »Na, du fängst gut an, ich will mich lieber mit einem Stück brennendem Schwefel in ein Pulverfaß setzen als mit dir und deinem schüchternen Wesen. Übrigens vergiß nicht, Fräulein Eugenie zum nächsten Tanz aufzufordern, du wirst einen Korb bekommen, denn sie ist bereits engagiert. Du hast dich bis jetzt gut gehalten, fahr so fort, mein Sohn.«

      Und Anton fuhr fort, seinem Lehrer Ehre zu machen. Wohl war er berauscht, aber durch einen stärkeren Trank als süßen Wein. Die Musik, die Aufregung des Tanzes und das fröhliche Geschwirr um ihn herum steigerten seine Begeisterung, er fühlte sich den ganzen Abend sicher, ja übermütig, und betrug sich, einige kleine Verstöße abgerechnet, wie einer, der täglich von Wachskerzen und servierenden Dienern umgeben ist. Er wurde bemerkt, er machte als Fremder einiges Aufsehen. Dunkle Sagen von seinen geheimnisvollen Verbindungen flogen aus einer Ecke des Saales, wo Mütter prüfend und richtend zusammensaßen, bis in die andere. Es wurde unzweifelhaft, daß dies heitere und harmlose Sichgehenlassen die Folge eines ganz besonderen Selbstgefühls war. Er erfuhr Zuvorkommenheit von den älteren Damen, bald auch von einzelnen Herren.

      Und endlich kam der Kotillon. O du längster und merkwürdigster aller Tänze! Du halb Spiel und halb Tanz! Reizend, wenn du die einzelnen Paare im Kreise umhertreibst, noch reizender, wenn du ihnen erlaubst, ungestört und ein wenig versteckt zu plaudern. Wir hören, daß du dem Geschlecht der Gegenwart für veraltet und spießbürgerlich giltst. Wankelmütiges Jahrhundert! Wissenschaft und Staatskunst werden nichts Neues erfinden, was so vielfachen Bedürfnissen des Menschengeschlechts Genüge tat, als du. Da ist das kindliche Gemüt, es kann sich als Pyramide aufstellen, es kann sich in Schlangenwindungen umherdrehen, es kann hier- und dorthin laufen, alte Herren vom Spieltisch zu Extratouren holen, es kann auf dem Stuhle sitzend drei bis vier junge Damen verächtlich vor sich stehenlassen, es kann, von Tanzlust ergriffen, plötzlich aufspringen, irgendeine Dame ergreifen und im Kreise umhertanzen, und kein Mensch kann es ihm verwehren. Da sind höher strebende Naturen, welche Gefühl haben oder Ehrgeiz oder Bosheit und Menschenhaß, allen bist du gefällig. Du gibst jedem Herrn das Recht; sich mehr als einmal eine Tänzerin nach seinem Herzen zu suchen, du erlaubst jeder Dame, in der allerzartesten Weise anzudeuten, welche zwei oder drei Herren ihre höchste Achtung genießen, du verteilst an strebsam Kavaliere Schleifen und Orden, du heftest massenhafte Blumensträuße vor die Brust der gefeierten Dame. Du läßt aber auch verschmähte Herren zähneknirschend umherlaufen und sich irgendeine Surrogattänzerin suchen; du offenbarst die Lieblinge der Gesellschaft, aber du machst den Unbekannten und Unbeliebten noch einsamer und verlassener. Wenn du beginnst, werden die Blicke der Mütter besorgt, die Nasen vieler Tanten spitz. Du kindischer, lustiger, endloser Tanz! Wieviel Glückliche hast du gemacht, wieviel stille Tränen hast du verursacht, wie manches Brautpaar hast du zusammengeführt, und welche Qualen der Eifersucht hast du erregt! Freilich hast du auch endlosen Staub aufgerührt, zahllose Toiletten unscheinbar gemacht und manche grimmige Feindschaft hervorgerufen. So bist du in deiner Blütezeit gewesen, die Freude der Jugend, die große Angelegenheit der Mütter, die Furcht der ermüdeten Väter, ein Greuel nur für die Musiker.

      Als dieser vielseitige Tanz herankam, suchte Anton wieder in Lenores Nähe zu kommen; er bat sie um den Tanz.

      »Ich wußte, daß Sie mit mir tanzen würden«, sagte sie aufrichtig; er holte ihr einen Stuhl, schob sich neben sie und war selig. Und als er die Aufgabe hatte, in der Tour eine fremde Dame zu führen, dieser etwas zu schenken, was in einem Körbchen mitten im Kreise aufgestellt war, und darauf mit ihr zu tanzen, da gab er der Welt die energische Erklärung ab, daß für keine andere Dame die Möglichkeit irgendeiner Stellung in seinem Herzen vorhanden sei: er holte sein Geschenk aus dem Korbe, wartete, bis seine Tänzerin auf ihren Platz zurückkam, und überreichte dann ihr die rote Schleife. Das war für beide der größte Augenblick in dem ganzen großen Abend.

      Was darauf folgte, war nur undeutliches Traumgesicht. Er sah sich mit Fink Arm in Arm durch den Saal schlendern, er hörte sich mit ihm und andern Herren über allerlei sprechen und lachen, er bemerkte sich vor der Dame vom Hause einen Dank murmeln und eine Verbeugung machen; es kam ihm vor, als ob ein Diener den Paletot überreichte, worauf er in die Tasche griff und ihm etwas in die Hand drückte. Schattenhaft und unklar waren alle diese Begebenheiten. Nur eins sah er noch deutlich, einen weißen Damenmantel mit einer seidenen Kapuze und einer Quaste daran, o diese Quaste, sie war unsäglich entzückend! Noch einmal fiel ein Blick aus den großen Augen voll und glänzend auf ihn, und er hörte von ihren Lippen noch ein leises Flüstern, wie »gute Nacht«. Das übrige war wieder ein nichtssagender Traum, daß er neben Fink die Treppe herunterstieg und die spöttischen Reden des Freundes nur mit halbem Ohr hörte, daß er in seiner kleinen Stube ankam, die Lampe anzündete und sich umsah, ob er auch wirklich hier wohne, und daß er sich langsam entkleidete, sich noch in seinem Bett wunderte, daß er all diese Herrlichkeit erlebt hatte, und endlich ermüdet einschlief. Und ein Traum war’s, daß sein Hausgeist, die gelbe Katze, sich auf ihrem Postament hoch aufrichtete und den Kopf schüttelte über den langen Zug fremdartiger Bilder und Gefühle, welche in der friedlichen Stube eingekehrt waren.

      2

      Seit diesem großen Abend hatte die Tanzstunde regelmäßigen Verlauf. Als Anton das Fegefeuer der Einführung bestanden hatte, fühlte er sich unter den Florkleidern, den vornehmen Namen und den Sofakissen mit gestickten Wappen bald heimisch. Er selbst wurde ein nützliches Mitglied des Kränzchens, und zwar durch die bürgerlichsten aller Tugenden, durch Ordnung und Pflichttreue. Und das ging so zu. Das Kränzchen war keine gewöhnliche Tanzstunde, denn bei sämtlichen Teilnehmern wurden die ersten Anfänge der Kunst vorausgesetzt; es hatte vielmehr den Zweck, einige neue Tänze einzuüben und nebenbei eine Vereinigung der befreundeten Familien in bequemer Fasson hervorzubringen. Nun ergab sich bald, daß die bequeme Fasson allerdings nach Finks Herzen war, das Einstudieren neuer Tänze aber von ihm und mehreren seiner Kameraden mit einer sträflichen Lauheit betrieben wurde. Er kam oft gegen Ende der Tanzstunde, er betrachtete den Salon nur als eine Gelegenheit, die jüngeren Damen zu necken und sich mit den reiferen Schönheiten eine Stunde zu unterhalten; er vertrat zum Entsetzen des Tanzmeisters den Grundsatz, wo man im Tanz nicht mit dem gewöhnlichen Schritt fortkomme, sei der einfache Pas des Galopps für alle Fälle gut genug, und das einzige Vergnügen bei unsern Tänzen sei, regelmäßig aus dem Takt und wieder hineinzukommen. »Aber, Herr von Fink«, klagte der Tanzmeister, »das heißt nicht mehr tanzen; dabei ist keine Kunst.«

      »Es soll auch keine dabei sein«, sagte Fink, »was hat die Kunst mit unserm Tanzen zu tun? Was Sie die Jugend lehren, ist weiter nichts als eine gesellschaftliche Rotation um einen imaginären Mittelpunkt. Mir ist das langweilig, ich gehe deshalb in Kometenbahn.« Und er blieb dieser Ansicht getreu, er zwang die unglücklichen Opfer, welche er zu engagieren sich herabließ, sich quer durch die Reihen der Tanzenden zu stürzen, aus einer Ecke des Saals in die andere, aus dem


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