Ingénue. Александр Дюма
Читать онлайн книгу.meisten auf der Welt geliebt hatte; dessen ungeachtet, als zwei Stunden nach seinem Tode Frau von Maintenon in das Zimmer ihres erhabenen Gemahls, – denn sie war auch verheirathet, – eintrat, dessen ungeachtet, sagt Saint-Simon, fand sie ihn eine kleine Opernarie zu seinem eigenen Lobe singend.
Von dieser Stunde an wurde also das Palais-Royal Eigenthum von demjenigen, welcher vierzehn Jahre später Regent von Frankreich werden sollte.
Wir wissen Alle, etwas mehr, etwas weniger, etwas besser, etwas schlechter, was in dem ernsten Bau des Cardinals vom 1. September 1715 bis zum 25. December 1723 vorging; – und seit jener Zeit vielleicht hat sich das Sprichwort verbreitet: »Die Wände haben Augen und Ohren.«
Außer den Augen und den Ohren hatten die Wände des Palais-Royal eine Sprache, und diese Sprache hat durch den Mund von Saint-Simon und durch den des Herzogs von Richelieu seltsame Dinge erzählt.
Am 25. December 1723 fühlte der Regent, der bei Frau von Phalaris saß, seine Stirne ein wenig beschwert; er neigte den Kopf auf die Schulter des kleinen schwarzen Raben, – so nannte er seine Geliebte, – stieß einen Seufzer aus und starb.
Am Tage vorher hatte Chirac, sein Arzt, den Prinzen dringend ermahnt, er möge sich zur Ader lassen; doch der Herzog hatte die Sache aus den andern Tag verschoben. Der Mensch denkt, Gott lenkt.
Mitten unter allen seinen Lustbarkeiten, so seltsam sie waren, hatte der Regent, der im Ganzen Künstler, durch seinen Architekten Oppenort einen herrlichen, als Eingang für die von Mansart errichtete Gallerie dienenden Salon bauen lassen; diese zwei Constructionen erstreckten sich bis zur Rue de Richelieu und haben dem Saale des Théatre-Francais Platz gemacht.
Dann ließ Louis, der gottesfürchtige Sohn eines sittenlosen, leichtfertigen Vaters, Louis, auf dessen Befehl für dreihunderttausend Franken Bilder von Albano und Tizian wegen der Nuditäten, die sie darstellten, verbrannt werden sollten, Louis ließ, mit Ausnahme der großen Allee des Cardinals, die er beibehielt, den Garten des Palais-Royal nach einer neuen Zeichnung pflanzen; das den Buntspechten theure buschige Gehölze verschwand; zwei schöne Grasplätze dehnten sich aus eingefaßt von Ulmen mit Kugelform, welche ein in einem Halbmonde angebrachtes und mit Gitterwerk und Statuen geschmücktes großes Bassin umgaben; dann, jenseits dieses Halbmondes, fand sich eine Kreuzpflanzung von Linden, die sich der großen Allee anschloß und eine für die Sonnenstrahlen undurchdringliche Laube bildete.
Am 4. Februar 1752 starb Louis von Orleans in der Sainte-Geneviéve-Abtei, in der er seit zehn Jahren seine Wohnung genommen hatte; es war, als hätte er sich, ein frommer Sohn, zurückgezogen, um über die Sünden seines Vaters zu beten! »Das ist ein Seliger, der viele Unglückliche zurückläßt,« sagte Maria Leszinka,3 diese andere Heilige, als sie den frühen Tod des seltsamen Fürsten erfuhr, der seinen Leib der königlichen Chirurgie-Schule vermacht hatte, damit er zum Unterrichte der Zöglinge diene.
Louis Philipp von Orleans folgte ihm als Erbe: die Berühmtheit von diesem bestand darin, daß er sich zur ersten Ehe mit der Schwester des Prinzen von Conti und zur zweiten mit Charlotte Jeanne Béraud de la Haie de Riou, Witwe des Marquis von Montesson, verheirathet hatte.
Das war überdies, – denn wir geben die ruchlose Verleugnung des Sohnes nicht zu, – das war überdies der Vater des berufenen, unter dem Namen Philipp Egalite bekannten, Herzogs von Orleans.
Die Leichenrede dieses Fürsten wurde vom Abte Maury gehalten, eine so seltsame Rede, daß der König den Druck derselben verbot.
Seit einigen Jahren hatte der Herzog von Orleans, der bald auf seinem Landgute Bagnolet, bald in seinem Schlosse Villers-Cotterets zurückgezogen lebte, seinem Sohne nicht nur den Genuß, sondern sogar das Eigenthum des Palais-Royal überlassen; da bekam dieser die Idee, das Schloß des Cardinal-Herzogs in einen großen Bazar zu verwandeln.
Es bedurfte hierzu der Ermächtigung des Königs: der König gab sie durch Patent vom 12. August 1784.
So gleichgültig er im Uebrigen war, der Herzog von Orleans erwachte bei der Kunde, sein Sohn wolle Speculant werden. Vielleicht kam ihm eine Caricatur zu Gesichte, welche zu jener Zeit erschien und den Herzog von Chartres als Lumpensammler verkleidet und Miethsleute4 suchend darstellte.
»Nehmen Sie sich in Acht,« sagte der alte Herzog, »die öffentliche Meinung wird gegen Sie sein, mein Sohn.«
»Bah!« versetzte dieser, »die öffentliche Meinung, ich würde sie für einen Thaler geben!«
Dann sich verbessernd:
»Für einen großen, wohlverstanden!«
Es gab zweierlei Arten von Thalern, die kleinen und die großen; die kleinen waren drei Livres, die großen sechs werth.
Dem zu Folge wurde zwischen dem Prinzen und seinem Baumeister Louis beschlossen, das Palais-Royal sollte nicht nur ein anderes Ansehen, sondern auch eine andere Bestimmung erhalten.
Der alte Herzog starb ein Jahr, nachdem dieser Beschluß gefaßt worden war, und als man eben die Arbeiten auszuführen begann. Man hätte glauben sollen, um nicht zu sehen, was vorgehe, verhülle der Enkel von Heinrich IV. seine Augen mit dem Steine eines Grabes.
Von da an stand den Plänen des neuen Herzogs von Orleans kein Hinderniß mehr entgegen, wenn nicht etwa jene öffentliche Meinung, mit der ihn sein Vater bedroht hatte.
Die ersten Gegner waren die Eigenthümer der Häuser, welche ans Palais-Royal gränzten, und deren Fenster auf den prächtigen Garten gingen: sie machten dem Herzog von Orleans einen Proceß, den sie verloren, und in ihre Hotels durch die neuen Erbauungen eingemauert, waren sie genöthigt, zu niedrigen Preisen zu verkaufen, oder in dunklen, ungesunden Winkeln zu wohnen.
Die anderen Gegner waren die Spaziergänger; jeder Mensch, der zehnmal in einem öffentlichen Garten spazieren gegangen ist, betrachtet diesen Garten als ihm gehörig und glaubt ein Recht der Opposition gegen jede Veränderung zu haben, die man, daran vornehmen will; die Veränderung war aber groß: die Art fällte einen nach dem andern die vom Cardinal gepflanzten herrlichen Kastanienbäume! Keine Siesta mehr unter ihren Blättern, keine Plaudereien mehr in ihrem Schatten; Alles, was blieb, war die Kreuzpflanzung von Linden, und mitten unter diesen Linden der berühmte Baum von Krakau.
Sagen wir, was dieser berühmte Baum von Krakau war, dessen Fall im Jahre 1783 beinahe einen Aufruhr, nicht minder ernst als der Fall der Freiheitsbäume im Jahre 1850, hervorgerufen hätte.
II
Der Baum von Krakau
Der Baum von Krakau war, die Einen sagen eine Linde, die Andern ein Kastanienbaum; die Archäologen sind getheilt über diese wichtige Frage.
In jedem Falle war es ein Baum viel höher, viel buschiger, viel reicher an Schatten und Kühle, als die anderen Bäume, die ihn umgaben. Zur Zeit der ersten Zerstückelung von Polen, im Jahre 1772, hielten sich die Neuigkeitskrämer und die Politiker unter diesem Baume in der freien Luft zu ihren Besprechungen auf. Der Mittelpunkt der Gruppe, welche über das Leben und den Tod dieser von Friedrich und Katharina ans Kreuz geschlagenen und von Ludwig XV. verleugneten edlen Missethäterin discutirte, war ein Abbé, der, da er Verbindungen in Krakau hatte, sich zum Verbreiter aller nach Frankreich aus dem Norden kommenden Gerüchte machte, und dieser Abbé, welcher, wie es scheint, überdies ein großer Tactiker war, ließ jeden Augenblick und bei jedem Anlaß eine Armee von dreißigtausend Mann manoeuvriren, deren Märsche und Gegenmärsche die Bewunderung der Zuhörer verursachten.
Eine Folge hiervon war, daß der Strategiker-Abbé den Beinamen der Abbé dreißigtausend Mann erhielt und der Baum, unter dem er seine geschickten Manoeuvres ausführte, der Baum von Krakau genannt wurde.
Vielleicht hatten auch, die Nachrichten, die er mit derselben Leichtigkeit verkündigte, mit welcher er seine Armee manoeuvriren ließ, dazu beigetragen, daß dieser Baum unter seiner fast ebenso gasconischen, als polnischen Benennung bekannt wurde.
Wie dem sein mag, der Baum von Krakau, der unter den im Palais-Royal vom Herzog von Orleans vorgenommenen Veränderungen stehen geblieben war, bildete fortwährend den Mittelpunkt der Zusammenkünfte, welche
3
Gemahlin von Ludwig XV.
4
Ein unübersetzbarer Calembour: cherchant des loataires, Miethsleute suchend, und cherchant des loques à terre, Fetzen auf der Erde suchend.