Armadale. Уилки Коллинз
Читать онлайн книгу.ihm jene Zeitung nicht in die Hände fallen zu lassen?«
Mr. Brock gab das von ihm geforderte Versprechen und ließ sie auf das rücksichtsvollste allein.
Der Pfarrer hegte eine zu bewährte und aufrichtige Zuneigung für Mrs. Armadale, um eines unwürdigen Argwohns gegen sie fähig zu sein. Doch würde es überflüssig sein zu leugnen, daß er ihren Mangel an Zutrauen zu ihm tief empfand und daß er die Annonce auf seinem Heimwege wieder und wieder prüfend durchlas. Es war jetzt klar genug, daß der Zweck, den Mrs. Armadale bei ihrer Zurückgezogenheit in einem entlegenen Dorfe im Auge hatte, nicht so sehr darin bestand, ihren Sohn mit eigenen Augen zu überwachen, als vielmehr, ihn davor zu bewahren, daß sein Namensbruder ihn entdecke. Warum fürchtete sie den Gedanken, daß sie einander einst begegnen könnten? Galt die Furcht ihrer eigenen oder der Person ihres Sohnes? Mr. Brock’s aufrichtige Ueberzeugung von der Reinheit seiner Freundin verwarf jede Lösung des Geheimnisses die auf ein früheres Mißverhalten ihrerseits hindeutete und dasselbe mit jenen schmerzlichen Erinnerungen, deren sie erwähnt hatte, oder mit jener Entfremdung von ihren Brüdern in Verbindung brachte, wodurch sie seit Jahren von ihren Verwandten und ihrer Heimath fern gehalten worden war. An jenem Abende vernichtete er mit eigner Hand die Annonce und faßte den Entschluß, den Gegenstand nie wieder in seinem Geiste aufkommen zu lassen. Es gab noch einen Allan Armadale in der Welt, der mit seinem Zöglinge keine Verwandtschaft hatte und ein Umherstreicher war; dieser war es, der in öffentlichen Blättern aufgerufen wurde. » So viel hatte der Zufall ihm verrathen. Mehr verlangte er, um Mrs. Armadale’s willen, nicht zu entdecken – und mehr wollte er nie zu erfahren suchen.
Dies war das zweite in der Reihe von Ereignissen, die sich aus des Pfarrers Bekanntschaft mit Mrs. Armadale und deren Sohne datierten.
Siebentes Kapitel
Mr. Brock’s Gedächtniß wandte sich immer mehr und mehr der Gegenwart zu, und auf der dritten Station seiner Reise durch die Vergangenheit angelangt, hielt es zunächst beim Jahre achtzehnhunderts fünfzig an.
Die fünf Jahre, welche inzwischen verflossen waren, hatten in Allan’s Charakter wenig oder gar keine Veränderung hervorgebracht. Er war eben ganz einfach, um uns des Ausdrucks seines Lehrers zu bedienen, aus einem Knaben von sechzehn ein Knabe von einundzwanzig Jahren geworden, der noch immer so offen und unbefangen und noch immer ebenso gutherzig war und sich unbekümmert seinen Einfällen überließ, wohin dieselben ihn immer führen mochten. Seine Vorliebe für das Meer hatte mit den Jahren zugenommen. Vom Bauen eines Boots war er jetzt so weit vorgeschritten, daß er mit Hilfe zweier Schiffszimmergesellen ein verdecktes Schiff von fünfunddreißig – Tonnen zu bauen angefangen hatte. Mr. Brock hatte sich auf das gewissenhafteste bemüht, ihn zu höheren Bestrebungen zu leiten; er war mit ihm nach Oxford gegangen, um ihm das Universitätsleben zu zeigen; er war mit ihm nach London gereist, um durch den Anblick der gewaltigen Hauptstadt seinen Gesichtskreis zu erweitern. Die Abwechselung hatte Allan Unterhaltung gewährt, ihn jedoch nicht im mindesten verändert. Er war so hoch über allen weltlichen Ehrgeiz erhaben wie Diogenes selbst. »Was ist besser«, frug dieser unbewußte Philosoph, »daß man für sich selber entdeckt, wie man am glücklichsten ist, oder daß man Andere versuchen läßt, dies für uns zu entdecken?« Von diesem Augenblicke an unterließ Mr. Brock jeden weiteren Versuch, auf den Charakter seines Zöglings einzuwirken, und Allan widmete sich ununterbrochen dem Bau seiner Jacht.
Die Zeit, welche an dem Sohne so wenig Veränderung hervorgebracht, war an der Mutter nicht so spurlos vorübergegangen. Mrs. Armadales Gesundheit hatte bedeutend zu wanken angefangen, und in dem Grade, wie ihre Kräfte wichen, verschlimmerte sich ihre Laune; sie wurde immer reizbarer, gab sich immer mehr ihren krankhaften Ideen und Befürchtungen hin und war immer schwerer zu bewegen, ihr Schlafzimmer zu verlassen. Seit jene Annonce vor fünf Jahren in der Zeitung erschienen war, hatte sich nichts weiter ereignet, um ihrem Gedächtnisse jene schmerzlichen Umstände wieder aufzudringen, die mit ihrem Jugendleben in Verbindung standen. Es war zwischen ihr und dem Geistlichen kein Wort über den verpönten Gegenstand wieder erwähnt worden. Allan hatte noch immer keine Ahnung von dem Dasein eines Namensbruders; und obgleich sonach Mrs. Armadale nicht den geringsten Grund zu besonderer Besorgniß hatte, so war sie dennoch in den letzteren Jahren unaufhörlich von einer aufreibenden Angst um ihren Sohn erfüllt. Einmal beglückwünschte sie sich über die Vorliebe zum Schiffbau und Segeln, die ihn vor ihren eignen Augen in glücklicher und zufriedener Beschäftigung festhielt, und dann sprach sie wieder mit Grausen von seiner tief eingewurzelten Vorliebe für den falschen Ocean, in dem ihr Gatte den Tod, gefunden. Sie stellte die Langmuth ihres Sohnes bald auf diese, bald auf jene Weise auf die Probe, so daß Mr. Brock mehr als einmal befürchtete, daß es zu einer ernstlichen Veruneinigung zwischen ihnen kommen werde; doch Allan’s natürliche Sanftmuth, gepaart mit inniger Liebe zu seiner Mutter, trug ihn siegreich durch alle diese Prüfungen hindurch. Kein einziges unfreundliches, hartes Wort entschlüpfte ihm je in ihrer Gegenwart, kein unfreundlicher Blick kränkte sie je; er war bis zuletzt unveränderlich liebevoll und nachsichtig gegen sie.
In diesen Verhältnissen nun standen Sohn, Mutter und Freund zu einander, als sich das nächste bemerkenswerthe Ereigniß in dem Leben dieser Drei zutrug.
An einem düsteren Nachmittage zu Anfange des Monats November ward Mr. Brock durch den Besuch des Gastwirthes aus dem Dorfe in der Abfassung seiner Predigt gestört.
Nachdem der Wirth zunächst seine Entschuldigungen vorgebracht, erzählte er mit ziemlicher Kürze und Klarheit die dringende Angelegenheit, die ihn nach dem Pfarrhause geführt. Vor einigen Stunden hätten ein paar Feldarbeiter einen jungen Mann nach seinem Wirthshause gebracht, der in einem Zustande augenscheinlicher Geisteszerrüttung auf einem der Felder ihres Herrn umhergewandert war. Er, der Wirth, habe dem armen Geschöpfe Obdach gewährt und inzwischen nach ärztlichen Beistande ausgesandt; der Arzt aber habe, sobald er ihn gesehen, erklärt, daß er an einer Gehirnentzündung leide und daß seine Fortschaffung nach der nächsten Stadt, wo es ein Hospital oder Arbeitshaus zu seiner Aufnahme gebe, nicht räthlich erscheine. Nachdem er diesen Ausspruch vernommen und sich überzeugt habe, daß das einzige Gepäck des Fremden in einer Handtasche bestehe, die neben ihm auf dem Felde gefunden worden, habe er sich sofort aus den Weg gemacht, um den Pfarrer um seinen Rath zu ersuchen und ihn zu fragen, welches Verfahren er zunächst in dieser ernstlichen Verlegenheit einschlagen solle.
Mr. Brock war nicht nur der Geistliche, sondern auch zugleich der Magistratsherr des Bezirks, und das zunächst einzuschlagende Verfahren schien ihm klar genug. Er setzte seinen Hut auf und kehrte mit dem Wirthe nach dessen Hause zurück. An der Thür des Wirthshauses trafen sie Allan, der die Nachricht aus anderem Wege erfahren hatte und jetzt Mr. Brocks Ankunft abwartete, um dem Magistratsherrn zu folgen und sich den Fremden anzusehen. In demselben Augenblicke gesellte sich auch der Dorfarzt zu ihnen und die Vier gingen zusammen hinein.
Bei ihrem Eintreten erblickten sie den Sohn des Wirths an der einen, und den Stallknecht an der andern Seite des Mannes, den sie in seinem Sessel festzuhalten bemüht waren. Obgleich jung, schmächtig und unter mittlerer Größe, war er doch in diesem Augenblick stark genug, um den Beiden einige Mühe zu machen, ihn zu halten. Seine gelbliche Gesichtsfarbe, seine großen glänzenden braunen Augen und sein schwarzer Schnurr- und Backenbart gaben ihm ein fremdländisches Aussehen. Seine Kleidung war ein wenig abgetragen, aber seine Wäsche sauber. Seine bräunlichen Hände waren dünn und nervig und trugen an verschiedenen Stellen die gelblichen Narben alter Verletzungen. Die Zehen seines rechten Fußes, von dem er den Schuh abgeschleudert, klammerten sich um das Querholz des Stuhles, und zwar mit einer Kraft, wie man sie nur bei Leuten wahrnimmt, welche barfuß zu gehen gewohnt gewesen. Bei der Wuth, die sich seiner jetzt bemächtigt hatte, war es unmöglich, mehr als dies an ihm zu beobachten. Nach einer leise geführten Berathung mit Mr. Brock ließ der Arzt unter seiner persönlichen Aufsicht den Kranken nach einem ruhigen Schlafzimmer auf der Hinterseite des Hauses bringen. Bald darauf wurden seine Kleider und seine Handtasche hinunter gesandt und in Gegenwart des Magistratsherrn untersucht, um dadurch wo möglich einigen Aufschluß über seine Person und Verhältnisse zu erlangen und seine Angehörigen benachrichtigen zu können.
In der Handtasche befand sich nichts als ein einziger Anzug und zwei Bücher, Sophocles’ Tragödien in griechischen und Goethe’s Faust in deutscher Sprache. Beide Bücher waren durch häufiges Lesen stark mitgenommen, und auf dem ersten weißen