Armadale. Уилки Коллинз
Читать онлайн книгу.einem Freunde gefunden. Ich hatte den Weg zu einem der unbarmherzigsten Geizhälse in ganz England gefunden und mich durch ein ganz einfaches commercielles Verfahren in der kleinen Welt von Shrewsbury emporgearbeitet, indem ich meine Dienste wohlfeiler gab, als alle meine Mitbewerber. Die Arbeit in der Niederlage war von allen Leuten der Stadt, die gerade beschäftigungslos waren, ausgeschlagen worden – und ich übernahm dieselbe. Der regelmäßig angestellte Markthelfer nahm seinen armseligen Wochenlohn unter allwöchentlichem Protest in Empfang; ich dagegen begnügte mich mit zwei Schillingen weniger und erhob keine Klage. Der Ladendiener sagte seinem Herrn den Dienst auf, weil er nicht allein zu schlecht besoldet, sondern auch zu schlecht beköstigt wurde. Ich erhielt die Hälfte seines Gehalts und ernährte mich von den spärlichen Brocken, die mir mein Herr zukommen ließ. Noch nie paßten zwei Menschen besser für einander, als jener Buchhändler und ich! Sein einziger großer Lebenszweck ging dahin, Jemand zu finden, der bereit war, seine Arbeit für Hungerlohn zu thun; mein einziger Lebenszweck, Jemanden zu finden, der mir ein Obdach geben wollte. Ohne ein einziges Gefühl mit einander gemein zu haben; ohne daß überhaupt irgendein Gefühl, ob der Feindschaft oder Freundschaft, zwischen uns erwuchs; ohne einander abends an der Haustreppe Gute Nacht, oder morgens am Ladentische Guten Morgen zu wünschen – lebten wir, von Anfang bis zu Ende einander fremd, zwei Jahre lang zusammen in jenem Hause. Dies war eine traurige Existenz für einen Burschen in meinem Alter, wie? Sie sind ein Geistlicher und Gelehrter und können deshalb gewiß errathen, was mir jenes Leben erträglich machte.«
Mr. Brock erinnerte sich der zerlesenen Bände, die in der Handtasche des Unterlehrers gefunden worden waren. »Die Bücher machten Ihnen dasselbe erträglich«, sagte er.
Die Augen des Armen funkelten in einem neuen Lichte.
»Ja«, sagte er, »die Bücher – die großmüthigen Freunde, die mir ohne Argwohn entgegenkamen – die barmherzigen Lehrer, die mich nie mißhandelten! Die einzigen Jahre meines Lebens, auf die ich mit einer Art von Stolz zurückzublicken im Stande bin, waren die, welche ich im Hause des Geizhalses zubrachte. Das einzige unverdorbene Vergnügen, das ich je genossen, ist das, welches ich auf den Bücherbrettern des Geizhalses fand. Früh und spät, an den langen Winterabenden und den stillen Sommertagen, trank ich an der Quelle des Wissens, ohne des Trunkes überdrüssig zu werden. Wir hatten wenig Kunden zu bedienen, denn die Bücher waren meistens von der soliden, wissenschaftlichen Sorte. Es ruhten keine Verantwortlichkeiten auf mir, denn die Rechnungsbücher wurden von meinem Herrn geführt und es gingen nur geringe Geldsummen durch meine Hände. Er lernte mich bald hinreichend kennen, um zu wissen, daß er meiner Ehrlichkeit vertrauen und sich auf meine Geduld verlassen dürfe, wie er mich immer behandeln mochte. Der einzige Einblick, den ich in seinen Charakter that, entfernte mich noch mehr von ihm. Er war im Geheimen ein leidenschaftlicher Opiumesser – in Laudanum förmlich verschwenderisch, obgleich in allem Uebrigen ein Geizhals. Er gestand mir diese Schwäche niemals ein, und ich sagte ihm nie, daß ich dieselbe entdeckt habe. Er genoß sein Vergnügen allein, und ich genoß das meinige ebenso. Eine Woche nach der andern, einen Monat nach dem andern saßen wir da, ohne je ein freundschaftliches Wort mit einander auszutauschen; ich allein mit meinem Buche an dem Ladentische, er allein mit seinem Rechnungsbuche in seinem Privatzimmer, wo er mir durch das schmutzige Fenster der Glasthür undeutlich sichtbar war, wie er zuweilen stundenlang über seinen Zahlen brütete oder regungslos in der Verzückung des Opiumrausches dasaß. Die Zeit verging und brachte keine Veränderungen für uns mit sich; die Jahreszeiten zweier Jahre wechselten und ließen uns unverändert. Eines Morgens, zu Anfange des dritten Jahres, erschien mein Herr nicht wie gewöhnlich, um mir mein Frühstück zuzumessen. Ich ging auf sein Zimmer und fand ihn hilflos im Bette. Er weigerte sich, mir die Schlüssel zum Vorrathschranke anzuvertrauen oder mich einen Doctor holen zu lassen. Ich kaufte mir ein Stückchen Brod und kehrte zu meinen Büchern zurück, und zwar ohne mehr für ihn zu fühlen – dies gestehe ich offen – als er unter ähnlichen Umständen für mich gefühlt haben würde. Ein paar Stunden später ward ich von einem gelegentlichen Kunden, einem Arzte, der seine Praxis aufgegeben, in meiner Lectüre gestört. Er ging in das Zimmer meines Herrn hinauf, und ich war froh, seiner los zu werden, um zu meinen Büchern zurückzukehren. Er kam wieder herunter und unterbrach mich nochmals. »Ihr gefallt mir nicht besonders, mein Bursche«, sagte er zu mir; »aber ich halte es für meine Pflicht, Euch zu sagen, daß Ihr bald für Euch selber zu sorgen genöthigt sein werdet. Ihr seid nicht sehr beliebt im Orte und werdet deshalb vielleicht einige Mühe haben, eine neue Stelle zu finden. Laßt Euch daher ein schriftliches Zeugniß von Eurem Herrn geben, ehe es zu spät ist.« Er sprach mit Kälte. Ich dankte ihm meinerseits ebenfalls kalt und verschaffte mir noch an demselben Tage das Zeugnis. Glauben Sie etwa, mein Herr habe mir dasselbe umsonst gegeben? Er dachte nicht daran! Noch auf dem Sterbebette handelte er mit mir. Er war mir den Gehalt für einen Monat schuldig und wollte keine Zeile von dem Zeugnisse schreiben, bis ich ihm verspräche, jene Schuld nicht von ihm zu fordern. Drei Tage später starb er, nachdem er bis zuletzt die Seligkeit genossen, seinen Ladendiener zu übervortheilen. »Aha!« flüsterte er, als der Arzt mich zu ihm gebracht hatte, damit ich Abschied von ihm nähme; »ich hab’ Euch wohlfeil gehabt!« War wohl Ozias Midwinters Stock so grausam wie dies? Mir scheint es nicht!
Nun, da stand ich wieder draußen in der Welt, doch diesmal sicherlich mit besseren Aussichten. Ich hatte auf eigene Hand Lateinisch, Griechisch und Deutsch gelernt und hatte ein schriftliches Zeugniß aufzuweisen, das zu meinen Gunsten sprach. Es nützte alles nichts! Der Arzt hatte vollkommen Recht – ich war nicht beliebt im Orte. Die niederen Klassen verachteten mich, weil ich dem Geizhalse für seinen schmalen Lohn gedient hatte. Was die besseren Klassen betrifft, so ging es mir mit ihnen – Gott mag wissen, wie es kam wie es mir, Mr. Armadale ausgenommen, stets mit allen Leuten ergangen ist – ich machte im ersten Augenblicke einen unangenehmen Eindruck, und dies konnte ich später nicht wieder gut machen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß ich alle meine Ersparnisse, mein armseliges kleines goldenes Erzeugniß zweier kümmerlicher Jahre ausgegeben hätte, wenn ich nicht in einem Localblatte eine Schullehrerstelle angezeigt gefunden hätte. Die herzlosen Bedingungen derselben ermuthigten mich, mich um die Stelle zu bewerben, und ich erhielt dieselbe. Wie es mir in der Schule erging und was dann ferner aus mir wurde, brauche ich Ihnen nicht zu erzählen. Der Faden meiner Erzählung ist völlig abgewunden; mein Vagabondenleben liegt, alles Geheimnisses entkleidet, vor Ihnen, und Sie wissen endlich das Schlimmste von mir.«
Elftes Kapitel
Den letzten Worten der Erzählung Midwinter’s die wir im vorigen Kapitel berichtet haben, folgte ein kurzes Schweigen. Dann verließ Midwinter den Fenstersitz und kam mit dem Briefe aus Wildbad in der Hand an den Tisch zurück.
»Das Bekenntniß meines Vaters hat Ihnen gesagt, wer ich bin, und das meinige, welch ein Leben ich geführt habe«, sagte er zu Mr. Brock, ohne den Sitz anzunehmen, den der Pfarrer ihm mit der Hand andeutete. »Als ich um Erlaubniß bat, in dies Zimmer kommen zu dürfen, versprach ich, mir durch ein offenes Geständniß die Brust zu erleichtern. Habe ich Wort gehalten?«
»Es unterliegt dies keinem Zweifel«, erwiderte Mr. Brock »Sie haben Ihr Anrecht an mein Zutrauen und meine Theilnahme dargethan, und ich würde in der That ein gefühlloser Mensch sein, wenn ich, nachdem ich die Geschichte Ihrer Jugend gehört, für Allan’s Freund nicht etwas von Allan’s Freundschaft fühlte.«
»Ich danke Ihnen, Sir«, sagte Midwinter einfach und ernst. Dann setzte er sich zum ersten Male Mr. Brock gegenüber an den Tisch.
»In wenigen Stunden werden Sie diesen Ort verlassen haben«, fuhr er fort. »Falls ich dazu beitragen kann, daß Sie denselben mit beruhigtem Gemüthe verlassen, so will ich dies thun. Wir haben noch mehr mit einander zu sprechen; meine zukünftigen Beziehungen zu Mr. Armadale sind noch nicht festgestellt worden, und die ernste Frage, die in dem Briefe meines Vaters: aufgeworfen wird, ist noch nicht von uns in Erwägung gezogen worden.«
Er schwieg und blickte mit einer momentanen Ungeduld auf die im Morgengrauen noch immer auf dem Tische brennende Kerze. Der Kampf, mit vollkommener Fassung zu sprechen und seine eigenen Gefühle in stoischem Gleichmuth außer Betracht zu lassen, wurde ihm offenbar innner schwerer und schwerer.
»Sie werden vielleicht schneller zu einer Entscheidung kommen«, fuhr er fort, »wenn ich Ihnen erzähle, in welcher Weise ich, nachdem ich diesen Brief gelesen und mich hinreichend gesammelt