Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3. Александр Дюма
Читать онлайн книгу.war Katharine sechszehn Jahre alt und Pitou vierzehn.
Allmählig war Katharine dahin gekommen, daß sie die Talente von Pitou schätzte, denn Pitou teilte ihr Proben davon mit, indem er ihr seine schönsten Vögel und seine fettesten Kaninchen bot. Infolgedessen machte Katharine Pitou Komplimente, und Pitou, der um so empfänglicher für Komplimente war, als er selten solche erhielt, überließ sich dem Zauber der Neuheit, und statt wie früher, seine Wanderung bis zur Wolfsheide fortzusetzen, blieb er auf halbem Wege stehen; und statt seinen ganzen Tag mit der Buchellese oder mit dem Legen der Schlingen zuzubringen, verlor er seine Zeit damit, daß er bei dem Pachthofe des Vaters Billot umherstrich, in der Hoffnung, Katharine einen Augenblick zu sehen.
Daraus ging eine merkliche Verminderung im Ertrage der Kaninchenbälge und ein beinahe völliger Mangel an Rotkehlchen und Drosseln hervor.
Die Tante Angélique beklagte sich. Pitou antwortete, die Kaninchen werden mißtrauisch, und die Vögel, welche die Fallen erkannt haben, trinken aus der Höhlung der Blätter und der Baumstämme. Eines tröstete die Tante Angélique über den Verstand der Kaninchen und diese Schlauheit der Vögel, die sie den Fortschritten der Philosophie zuschrieb, nämlich, daß ihr Neffe das Stipendium erhalten, in das Seminar eintreten, hier drei Jahre zubringen und das Seminar wieder als Abbé verlassen werde. Haushälterin eines Pfarrers zu sein, war aber das ewige Trachten von Mademoiselle Angélique.
Dieses Trachten mußte sich notwendig verwirklichen: denn war Ange Pitou einmal Abbé, so konnte er nicht umhin, seine Tante als Haushälterin zu nehmen, besonders nach dem, was diese Tante für ihn gethan hatte.
Der einzige Umstand, der die goldenen Träume der armen Mademoiselle störte, war der, daß, als sie von ihrer Hoffnung mit dem Abbé Fortier sprach, dieser den Kopf schüttelnd erwiderte:
»Meine liebe Mademoiselle Pitou, um Abbé zu werden, müßte sich Ihr Neffe viel weniger der Naturgeschichte und viel mehr dem De viris illustribus oder dem Selecta e profanis scriptoribus widmen.«
»Das will besagen?«
»Daß er viel zu viel Barbarismen und unendlich zu viel Solécismen macht,« antwortete der Abbé Fortier.
Eine Antwort, die Mademoiselle Angélique in der betrübendsten Unbestimmtheit ließ.
IV.
Ueber den Einfluß, den auf das Leben eines Menschen ein Barbarismus und sieben Solécismen haben können
Pitou befand sich also außerhalb der Schule. Einer von seinen Armen hing an der Seite herab, der andere hielt seine Truhe auf dem Kopfe im Gleichgewicht, sein Ohr surrte noch von den wütenden Ausbrüchen des Abbés Fortier, und so ging er nach dem Pleux mit einer Sammlung des Geistes, die nichts anderes war, als die auf den höchsten Grad gestiegene Bestürzung. Endlich machte sich eine Idee Licht in seinem Geiste, und drei Worte, die seinen ganzen Gedanken enthielten, entschlüpften seinen Lippen:
Jesus! meine Tante!
In der That, was würde Mademoiselle Angélique Pitou über den Umsturz aller ihrer Hoffnungen sagen?
Was aus den Betrachtungen von Ange Pitou hervorging und was von seinen Lippen den kläglichen Ausruf springen gemacht hatte, war, daß Ange Pitou begriff, die Unzufriedenheit werde bei der alten Mademoiselle groß sein, wenn sie die unselige Kunde erfahre. Er kannte aber aus Erfahrung das Resultat einer Unzufriedenheit von Mademoiselle Angélique. Nur mußten diesmal, da die Ursache der Unzufriedenheit sich zu einer unberechenbaren Macht erhob, die Resultate eine unberechenbare Summe erreichen.
Er hatte beinahe eine Viertelstunde gebraucht, um den Weg, der vom großen Thore des Abbés Fortier zum Eingang der Straße in Pleux führte, zurückzulegen, und das war doch nur ungefähr dreihundert Schritte von einander entfernt.
In diesem Augenblick schlug die Glocke der Kirche ein Uhr.
Er bemerkte nun, daß ihn seine letzte Unterredung mit dem Abbé und die Langsamkeit, mit der er den Weg zurückgelegt, um sechszig Minuten verspätet hatten, und daß demnach seit dreißig Minuten die unerstreckbare Frist abgelaufen war, nach der man bei der Tante Angélique nicht mehr zu Mittag aß.
Dies war in der That der heilsame Zügel, den die alte Mademoiselle zugleich den Schularresten und den tollen Leidenschaften ihres Neffen angelegt hatte; dabei ersparte sie, ein Jahr in das andere gerechnet, ungefähr sechszig Mittagsmahle an dem armen Jungen.
Doch diesmal war es nicht das magere Mittagessen der Tante, was den saumseligen Schüler beunruhigte: so karg auch das Frühstück gewesen, Pitou hatte ein zu volles Herz, um zu bemerken, sein Magen sei leer.
Es giebt eine furchtbare, dem Schüler, ein so großer Wicht er auch sein mag, wohlbekannte Qual; das ist der unrechtmäßige Aufenthalt in irgend einem abgelegenen Winkel nach einer Austreibung aus der Schule; es ist der entschiedene und gezwungene Urlaub, den er zu benützen genötigt ist, während seine Mitschüler, die Mappe und die Bücher unter dem Arm, vorüberziehen, um zur täglichen Arbeit zu gehen. Diese verhaßte Schule nimmt eine wünschenswerte Gestalt an. Der Schüler beschäftigt sich ernstlich mit der großen Angelegenheit der Aufgaben und Uebersetzungen, mit der er sich nie beschäftigt hat, und die dort während seiner Abwesenheit verhandelt wird. Es findet eine große Ähnlichkeit zwischen diesem von seinem Lehrer weggeschickten Schüler und dem wegen seiner Gottlosigkeit Exkommunizierten statt, der nicht mehr das Recht hat, in die Kirche zurückzukehren, während er vor Verlangen, eine Messe zu hören, brennt.
Darum dünkte dem armen Pitou, je näher er zu dem Hause seiner Tante kam, desto schrecklicher der Aufenthalt in diesem Hause. Darum stellte er sich zum ersten Male in seinem Leben vor, die Schule sei ein irdisches Paradies, aus dem ihn der Abbé Fortier als ein Würgengel mit seiner Geißel in Form eines flammenden Schwertes vertrieben habe.
So langsam er indessen ging, und obgleich Pitou von zehn zu zehn Schritten Stationen machte, die immer länger wurden, je mehr er sich dem Schreckensorte näherte, er mußte nichtsdestoweniger zur Schwelle des so sehr gefürchteten Hauses kommen. Pitou erreichte also die Schwelle, indem er seine Schuhe schleppte und maschinenmäßig seine Hand auf der Naht seiner Hose rieb.
»Ah! ich bin sehr krank, Tante Angélique,« sagte er, um jedem Spott oder jedem Vorwurf zuvorzukommen, und vielleicht auch, um es zu versuchen, das arme Kind beklagen zu machen.
»Gut,« erwiderte Mademoiselle Angélique, »ich kenne diese Krankheit, und man würde sie leicht heilen, wenn man den Zeiger der Pendeluhr um anderthalb Stunden zurückrückte.«
»Oh mein Gott, nein!« rief Pitou bitter, »denn ich habe keinen Hunger.«
Die Tante Pitou war erstaunt und beinahe unruhig; eine Krankheit beunruhigt gleich sehr die guten Mütter und die Stiefmütter; die guten Mütter wegen der Gefahr, welche die Krankheit herbeiführt, die Stiefmütter wegen des Nachteils, den sie der Börse zufügt.
»Nun, was Hast du denn, laß hören?« fragte die alte Mademoiselle.
Bei diesen Worten, die indessen ohne eine sehr zärtliche Sympathie ausgesprochen wurden, zerfloß Ange Pitou in Thränen, und es ist nicht zu leugnen, die Grimasse, die er von der Klage zu den Thränen übergehend machte, gehörte zu den häßlichsten und unangenehmsten Grimassen, die man sehen kann.
»Oh! meine gute Tante, es ist mir ein sehr großes Unglück begegnet,« sagte er.
»Welches?« fragte die alte Mademoiselle.
»Der Herr Abbé hat mich weggeschickt,« rief Ange Pitou in ein ungeheures Schluchzen ausbrechend.
»Weggeschickt?« wiederholte die Tante, als ob sie ihn nicht recht verstanden hätte.
»Ja, meine Tante.«
»Von wo?«
»Von der Schule.«
Hier verdoppelte sich das Schluchzen von Pitou.
Von der Schule? Also keine Prüfungen, keine Stipendien, kein Seminar mehr?
Das Schluchzen von Pitou verwandelte sich in ein Geheule. Mademoiselle Angélique schaute ihn an, als hätte sie in der Tiefe des Herzens ihren Neffen den Grund seiner Ausweisung lesen wollen.
»Wetten