Der Graf von Bragelonne. Александр Дюма
Читать онлайн книгу.zu riechen; die Höflinge besitzen die oberste Wissenschaft: sie sind Diplomaten, um die großen Entwickelungen schwieriger Umstände aufzuklären, Feldherren, um den Ausgang der Schlachten zu errathen, Aerzte, um die Krankheiten zu heilen.
Ludwig XIV., den seine Mutter dieses Axiom wie so viele andere gelehrt hatte, begriff, daß Seine Eminenz Monseigneur der Cardinal Mazarin sehr krank war.
Kaum hatte Anna von Oesterreich die junge Königin in ihre Gemächer zurückgeführt und ihre Stirne von der Last des Ceremonienschmuckes erleichtert, als sie ihren Sohn in dem Cabinet aufsuchte, wo er allein, düster und das Herz geschworen, gleichsam um seinen Willen zu üben, über sich selbst eine von jenen dumpfen und furchtbaren Stimmungen des Zorns, eines Königszorns, ergehen ließ, welche Stimmungen, wenn sie zum Ausbruch kommen, Ereignisse werden und bei Ludwig XIV., in Folge seiner wunderbaren Selbstbeherrschung, so liebreiche Stürme wurden, daß sein aufbrausendster, sein einziger Zorn, der, welchen Saint-Simon mit Verwunderung bezeichnet, der bekannte Zorn war, welcher fünfzig Jahre später wegen eines Verstecks des Herrn Herzogs du Maine losbrach und zum Resultat einen Hagel von Stockstreichen auf den Rücken eines armen Lackeien hatte, der ein Zwieback gestohlen.
Der König war also, wie wir gesehen, einer schmerzlichen Aufregung preisgegeben, und sagte zu sich selbst, indem er sich in einem Spiegel betrachtete:
»O König! . . . König dem Namen und nicht der Sache nach! Phantom, leeres Phantom, das du bist! träge Bildfäule ohne eine andere Macht, als die, eine Begrüßung bei den Höflingen hervorzurufen, wann wirst du deinen Sammetarm erheben, deine seidene Hand schließen können? Wann wirst du, um etwas Anderes zu thun, als zu seufzen oder zu lächeln, deine zur albernen Unbeweglichkeit des Marmors einer Gallerie verdammten Lippen öffnen können?«
Dann fuhr er mit der Hand über seine Stirne, trat Luft suchend an das Fenster und sah unten einige Kavaliere, welche unter sich plauderten, und einige schüchtern neugierige Gruppen. Diese Cavaliere waren eine Abtheilung von der Wache; diese Gruppe bestand aus den Geschäftigen vom Volk, aus den Leuten, für die ein König immer eine Curiosität ist, wie ein Rhinoceros, ein Krokodil! oder eine Schlange.
Er schlug sich mit der fischen Hand vor die Stirne und rief:
»König von Frankreich! welch ein Titel! Volk von Frankreich! welche Masse von Geschöpfen! Und ich kehre in meinen Louvre zurück, kaum ausgespannt, rauchen meine Pferde noch, und ich habe gerade hinreichend Interesse erregt, daß kaum zwanzig Neugierige mich vorübergehen sehen . . . Was sage ich! Nein, es gibt nicht zwanzig Neugierige für den König von Frankreich. Es gibt nicht einmal zehn Bogenschützen, um über meinem Haus zu wachen: Bogenschützen, Voll, Garden, Alles ist im Palais Royal. Mein Gott! warum? Habe ich, der König, nicht das Recht, Euch dies zu fragen?«
»Weil,« antwortete hierauf eine Stimme, welche jenseits des Thürvorhangs vom Cabinet ertönte, »weil im Palais Royal alles Gold, das heißt, alle Macht desjenigen ist, welcher regieren will.«
Ludwig wandte sich hastig um. Die Stimme, welche diese Worte ausgesprochen hatte, war die von Anna von Oesterreich. Der König bebte, ging seiner Mutter entgegen und sagte:
»Ich hoffe, Eure Majestät hat keine Aufmerksamkeit den leeren Declamationen geschenkt, zu denen die bei den Königen einheimische Einsamkeit und Langweile die glücklichsten Charaktere veranlassen.«
»Ich habe nur Eines bemerkt, mein Sohn: daß Ihr Euch beklagtet.«
»Ich! keines Weges,« sprach Ludwig XIV., »in der That nicht; Ihr täuscht Euch, Madame.«
»Was machtet Ihr denn, Sire?«
»Es kam mir vor, als stände ich unter der Ruthe meines Lehrers und hätte einen rhetorischen Gegenstand zu entwickeln.«
»Mein Sohn erwiederte Anna von Oesterreich, den Kopf schüttelnd, »Ihr habt Unrecht, nicht auf mein Wort zu bauen; Ihr habt Unrecht, mir kein Vertrauen zu schenken. Es wird ein Tag kommen, ein Tag, der vielleicht nahe ist, wo Ihr Euch nothwendig werdet des Axioms erinnern müssen: »»Das Gold ist die Allmacht, und nur diejenigen allein sind wahrhaft Könige, welche allmächtig sind.««
»Es ist aber nicht Eure Absicht, die Reichen dieses Jahrhunderts zu schmähen?« versetzte der König.
»Nein,« antwortete Anna von Oesterreich rasch, »nein, Sire; diejenigen, welche in diesem Jahrhundert unter Eurer Regierung reich sind, sind es, weil Ihr es so habt wollen, und ich hege weder Groll, noch Neid gegen sie; sie haben ohne Zweifel Eurer Majestät so gut gedient, daß sie ihnen sich selbst zu belohnen erlaubte. Dies meinte ich mit den Worten, die Ihr mir zum Vorwurf zu machen scheint.«
»Gott behüte mich, Madame, daß ich meiner Mutter je etwas zum Vorwurf mache.«
»Ueberdies,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »überdies gibt der Herr die Güter der Erde nur immer für eine gewisse Zeit: der Herr hat als auflösende Mittel für Ehren und Reichthümer das Leiden, die Krankheit, den Tod geschaffen; und Niemand,« fügte die Königin Mutter mit einem schmerzlichen Lächeln bei, das bewies, daß sie auf sich selbst diesen traurigen Lehrsatz anwandte, »Niemand nimmt seine Habe oder seine Größe in das Grab mit. Dadurch erfolgt, daß die Jungen die Früchte der für die Alten bereiteten üppigen Ernte einheimsen.«
Ludwig horchte mit wachsender Aufmerksamkeit auf diese von Anna von Oesterreich, offenbar in einer tröstlichen Absicht, stark betonten Worte.
»Madame,« sagte Ludwig XIV., seine Mutter fest anschauend, »man sollte in der Thai glauben, Ihr hättet mir etwas mehr zu verkündigen.«
»Ich habe durchaus nichts, mein Sohn; Ihr mußtet nur diesen Abend bemerken, daß der Herr Cardinal sehr krank ist.«
Ludwig schaute seine Mutter an: er suchte eine Erschütterung ihrer Stimme, einen Schmerz in ihrer Physiognomie. Das Gesicht von Anna von Oesterreich schien leicht angegriffen; doch dieses Leiden hatte einen ganz persönlichen Charakter. Vielleicht wurde die Veränderung durch den Krebs veranlaßt, der schon an ihrer Brust zu nagen anfing.
»Ja, Madame,« sagte der König, »ja, Herr von Mazarin ist sehr krank.«
»Und es wäre ein großer Verlust für das Reich, wenn Seine Eminenz von Gott abberufen würde. Ist meine Meinung nicht auch die Eurige, mein Sohn?« fragte Anna von Oesterreich.
»Ja, Madame, ja, gewiß, es wäre ein großer Verlust für das Königreich,« antwortete Ludwig erröthend; »doch die Gefahr ist nicht so bedeutend, wie mir scheint . . . und überdies ist der Herr Cardinal noch jung.«
Kaum hatte der König diese Worte gesprochen, als ein Huissier den Vorhang aufhob und unter der Thüre stehen blieb, wo er, ein Papier in der Hand, wartete, bis ihn der König fragen würde.
»Was wollt Ihr?« fragte der König.
»Eine Sendung von Herrn von Mazarin,« antwortete der Huissier.
»Gebt,« sprach der König.
Und er nahm das Papier, Doch in dem Augenblick, wo er es öffnen wollte, entstand ein gewaltiger Lärmen in der Gallerie, in den Vorzimmern, im Hof.
»Ah! ah!« sprach Ludwig XIV., der ohne Zweifel dieses dreifache Geräusch erkannte, »was sagte ich doch, es gebe nur einen König in Frankreich! ich täuschte mich, es gibt zwei.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre und der Oberintendant der Finanzen, Fouquet, erschien vor Ludwig XIV. Er war es, der den Lärmen in der Gallerte machte; die Lackeien waren es, die den Lärmen in den Vorzimmern machten; die Pferde waren es, die den Lärmen Im Hof machten. Dabei hörte man ein anhaltendes Gemurmel auf seinem Wege, das erst, nachdem er längst vorübergegangen war, erlosch. Es war dies das Gemurmel, das Ludwig XIV. nicht unter feinen Tritten zu hören so sehr bedauerte.
»Das ist nicht gerade ein König, wie Ihr glaubt,« sprach Anna von Oesterreich zu ihrem Sohn; »es ist nur ein zu reicher Mann.«
Und indem sie dies sagte, gab ein bitteres Gefühl den Worten der Königin ihren gehässigsten Ausdruck, während die Stirne von Ludwig, der ruhig und seiner Herr blieb, von der leisesten Falte frei war.
Er begrüßte also Fouquet ganz ungezwungen mit dem Kopf, indeß er das Papier, das ihm der Huissier übergeben, zu entfalten