Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag

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Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag


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mache dich aufmerksam, Hummel,« warf die Gattin ein, »daß der Doctor dem Schäfer bereits Geld gegeben hat.«

      »Geld für mein Kind, das leide ich nicht,« rief Hummel, »wieviel war’s?«

      »Aber Vater –,« bat Laura. – »Wie kannst du verlangen,« rief Frau Hummel vorwurfsvoll, »daß deine Tochter in Todesgefahr die Groschen zählt, welche ihr Retter auslegt.«

      »So seid ihr Weiber,« grollte der Hausherr, »für Geschäfte fehlt der Sinn. Konntest du ihn nicht nachträglich fragen? Den Schäfer nehme ich auf mich, der Doctor kümmert mich nicht. Nur das sage ich euch, die Sache wird kurz abgemacht, und im übrigen bleibt’s bei unserm Verhältniß zu diesem Hause. Ich fordere mir glattes Geschäft, und ich will diese Hähne nicht grüßen.«

      Nach diesem Entscheid überließ er die Frauenstube ihren Gefühlen. »Der Vater hat Recht,« begann Frau Hummel, »daß er uns die Hauptsache anvertraut. Seinem strengen Sinne würde der Dank zu schwer ankommen.«

      »Mutter,« bat Laura, »du bist geschickt in Artigkeiten, könntest du nicht hinübergehen?«

      »Mein Kind,« erwiederte Frau Hummel sich räuspernd, »das ist nicht leicht. Dieser unglückliche Vorfall mit den Hunden hat uns Frauen zu sehr auseinandergebracht. Nein, da du die Hauptperson bei dem heutigen Vorfalle bist, mußt du selbst hinübergehen.«

      »Ich kann doch nicht den Doctor besuchen,« rief Laura erschrocken.

      »Das ist gar nicht nöthig,« begütigte Frau Hummel. »Den einzigen Vortheil hat diese Nachbarschaft, daß wir von unserem Fenster sehen, wenn die Männer ausgehen. Dann springst du zu der Mutter hinüber und richtest an sie noch einmal deinen Dank für den Sohn. Du bist mein kluges Kind und wirst dir zu helfen wissen.«

      Darauf saß Laura am Fenster, ohne Freude sah sie sich zur Wächterin der Nachbarn gesetzt, und recht widerwärtig erschien ihr das Auflauern. Endlich trat der Doctor auf die Thürschwelle. Sein Aussehen war wie gewöhnlich, gar nichts Ritterliches darin zu erkennen, die Gestalt war zart und der Wuchs regelmäßig, Laura liebte das Hohe; er hatte geistvolle Züge, aber sie wurden versteckt durch die große Brille, welche ihm einen recht pedantischen Ausdruck gab; wenn er einmal lachte, wurde sein Gesicht recht hübsch, aber sein gewöhnlicher Ernst kleidete ihn gar nicht. Fritz verschwand um die Ecke, und Laura setzte mit schwerem Herzen ihr Hütchen auf und ging in das feindliche Haus, dessen Räume sie noch niemals betreten hatte. Dorchen, die nicht im Geheimniß war, blickte den Besuch erstaunt an, brachte ihn aber scharfsinnig mit der Rückkehr des Doctors in Verbindung und verkündete aus freien Stücken, von den Herren sei Niemand zu Hause, Frau Hahn aber im Garten.

      Frau Hahn saß im chinesischen Tempel. Verlegen standen die beiden Frauen einander gegenüber, beide dachten zugleich an ihr letztes Gespräch, und beiden war die Erinnerung peinlich. Aber bei Frau Hahn überwog sogleich der menschliche Schauder vor der Gefahr, welche Laura umzingelt hatte. »Ach, Sie armes Fräulein,« begann sie. Und während sie von Mitleid aufwallte, fühlte sie, daß der chinesische Bau für diesen Besuch kein geeigneter Ort sei, sie steuerte zartfühlend davon ab und lud auf die kleine Bank vor der weißen Muse. Das war der glücklichste Platz des Hauses, hier lachte der Orangenbaum seine Käuferin an, und Laura vermochte sich in dankbare Stimmung zu versetzen. Sie sagte der Nachbarin, wie sehr sich sie dem Herrn Doctor verpflichtet fühle, und daß sie die Mutter bitte, dem Sohne dies zu sagen, weil sie selbst in der Verwirrung diese Pflicht nicht gebührend erfüllt habe. Dazu fügte sie das Geschäftliche wegen des bösen Schäfers. Der Dank vergnügte die gute Frau Hahn, und mütterlich bat sie Laura, ihren Hut ein wenig abzunehmen, weil es im Garten noch warm sei. Laura aber nahm den Hut nicht ab. Sie sprach schickliche Freude aus, wie hübsch der Garten blühe, und hörte mit Befriedigung, daß das Prachtstück im Topfe dem Herrn Hahn von einem Unbekannten geschenkt sei, auch die Früchte seien süß, denn Herr Hahn habe die Rückkehr seines Sohnes durch ein künstliches Getränk gefeiert und dazu die erste Frucht des kleinen Baumes genommen.

      Es war bei alledem ein diplomatischer Besuch, er wurde nicht über die nothwendige Zeit ausgedehnt, und Laura war froh, als sie beim Abschied Empfehlung und Dank an den Herrn Doctor wiederholt hatte.

      Auch in den stillen Aufzeichnungen Laura’s wurde die Begebenheit des Tages sehr kurz abgefertigt. Sogar eine angefangene Betrachtung über das Glück einsamer Waldbewohner blieb unvollendet. Wie, Laura? Du schreibst ja Alles nieder; wenn ein Holzwurm tickt, oder ein Sperling in dein Fenster schreit, hüpfen dir einige Versfüße auf. Hier wäre ein Erlebniß, gewaltig für dein junges Leben: Gefahr, Bewußtlosigkeit, Arme eines Fremden, der trotz seinem gelehrten Aussehen doch ein hübscher Knabe ist. Jetzt wäre Zeit zu schildern und zu schwärmen. Eigensinniges Kind, warum liegt das Abenteuer als totes Gestein in der phantastischen Landschaft, welche dich umgibt? Geht dir’s wie dem Reisenden, der müde auf die Alpengegend zu seinen Füßen blickt und sich wundert, daß die fremdartige Natur ihn so wenig ergreift, bis allmählich, vielleicht nach Jahren, die Bilder ihn im Traum und Wachen verfolgen und von neuem in die Berge ziehen? Oder hat die Nähe des argen Wichtes, der die Missethat verübt, auch dir die freien Schwingen gelähmt?

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