Das Abenteuer des Leutnant Jergunow. Иван Тургенев

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Das Abenteuer des Leutnant Jergunow - Иван Тургенев


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Tante eine russische Köchin engagirt habe (eine sehr gute Köchin und nicht theuer, aber ohne Paß,) daß eben diese Köchin am selben Tage sie bestohlen habe und auf und davon gegangen sei, man wisse nicht wohin, daß sie zur Polizei habe gehen müssen . . . Hierbei fiel ihr wieder die ihr dort zu Theil gewordene Beschimpfung ein, und von Neuem fing sie an zu schluchzen. Der Lieutenant war wiederum in Verlegenheit, wie er sie trösten sollte, aber das junge Mädchen, bei dem, wie es schien, Eindrücke ebenso rasch schwanden, als sie kamen, unterbrach sich plötzlich, um mit ruhiger Stimme und die Hand ausstreckend zu sagen: – Da ist unser Haus.

      Das Haus war eine Art von vertieft liegender Hütte mit vier kleinen, nach der Straße gehenden Fenstern. Hinter den Scheiben gewahrte man das dunkle Grün von Geraniumstöcken und durch eines der Fenster fiel das schwache Licht einer Kerze. Die Nacht brach herein. Das Haus war, fast bis zur Höhe des Daches, von einer Holzumzäunung mit einem Halbthor darin, umgeben. Diesem näherte sich das junge Mädchen und rüttelte, da sie es verschlossen fand, ungeduldig an dem schweren Eisenring des alten Schlosses. Schleppende Schritte, wie von einer mit alten Pantoffeln an den Füßen bekleideten Person, ließen sich hinter der Umzäunung vernehmen und die heisere Stimme eines Weibes that eine Frage auf Deutsch, die der Lieutenant nicht verstand. Als echter Seemann konnte er nur Russisch. Das junge Mädchen antwortete auch seinerseits auf Deutsch. Das Thor wurde darauf halb geöffnet und nachdem das junge Mädchen eingelassen war, heftig gerade vor Jergunow’s Nase wieder zugeworfen, dem nichtsdestoweniger noch genug Zeit blieb, um im Halbdunkel die Gestalt einer dicken alten Frau im rothen Kleide mit einer Laterne in der Hand zu unterscheiden. Der Lieutenant blieb einige Zeit vor Erstaunen regungslos stehen; bald aber machte er bei dein Gedanken, daß man sich gegen ihn, einen Offizier, eine solche Unhöflichkeit zu erlauben wage, rasch eine halbe Wendung und schlug den Weg nach seinen Hause ein. Kaum aber hatte er zehn Schritte gethan, als die Thür sich wieder öffnete, und das junge Mädchen, welches inzwischen Zeit genug gehabt hatte, der Alten einige Worte in‘s Ohr zu flüstern, auf der Schwelle erschien und mit lauter Stimme sagte: – Wohin gehen Sie denn, mein Herr Officier, werden Sie nicht bei uns eintreten?

      Jergunow zögerte einen Augenblick, dann lenkte er seine Schritte wieder dem Hause zu.

      Seine neue Bekannte, die wir von nun an Emilie nennen werden, führte ihn durch ein kleines, feuchtes, dunkles Gemach in ein ziemlich großes, aber sehr niedriges Zimmer. Ein mächtiger Schrank und ein mit Glanzleinwand überzogenes Sopha nahmen die eine Wand desselben ein; über den Thüren und zwischen den Fenstern erblickte man die verschobenen Portraits zweier Erzbischöfe mit der Mitra und das eines Türken mit einem Turban. Koffer und Hutschachteln füllten die Winkel des Zimmers, und, umgeben von wackligen Stühlen, stand dort noch ein aufgeschlagener Spieltisch, auf dem eine Männermütze neben einem halbgeleerten Glase Kwaß lag. Die Alte, welche der Lieutenant an der Thür bemerkt hatte, folgte ihm auf dem Fuße. Es war eine Jüdin von schmutzigem Aussehen, Ihre kleinen, schief stehenden Augen warfen unheimliche Blicke; einige graue Haare bedeckten ihre dicke Oberlippe. Emilie stellte sie dem Lieutenant mit den Worten vor:

      – Dies ist mein Tantchen, Madame Fritsche.

      Jergunow konnte eine Bewegung der Ueberraschung nicht unterdrücken, doch hielt er es für Pflicht, seinen Namen und Stand zu nennen, worauf Madame Fritsche nur durch einen schiefen Blick antwortete und ihre Nichte auf Russisch fragte, ob sie Thee trinken wolle.

      – Ach ja, Thee! sagte Emilie. – Nicht wahr, Herr Officier, Sie trinken Thee? Bitte, Tantchen, bringen Sie den Samowar. Doch warum bleiben Sie stehen, mein Herr, statt sich zu setzen? Mein Gott, wie ceremoniös Sie sind! Erlauben Sie mir, meinen Shawl abzulegen.

      Während Emilie sprach, drehte sich ihr Kopf von einer Seite zur andern und gab ihren Schultern kleine Rucke, genau so, wie‘s die Vögel machen, wenn sie sich aus der Spitze eines Baumes zurecht gesetzt haben und die Sonne sie von allen Seiten bescheint.

      Der Lieutenant nahm einen Stuhl und eröffnete, seiner Haltung die nöthige ernste Würde gebend, die Unterhaltung über die Diebstahlsangelegenheit, aber Emilie unterbrach ihn bald. – Machen Sie sich keine solche Sorge darüber, sagte sie, es ist nichts weiter, meine Tante erzählte mir soeben, daß die Hauptgegenstände wiedergefunden sind. (Madame Fritsche brummte dazu einige Worte in den Bart und verließ das Zimmer.) – Es war nicht einmal nöthig, auf die Polizei zu gehen, aber ich kann mich niemals halten. Ich bin . . . Sie verstehen nicht deutsch . . . ich bin so vorschnell. Sehen Sie mich an; jetzt denke ich nicht mehr daran, auch ganz und gar nicht!

      Der Lieutenant blickte Emilie an; ihr Gesicht hatte in der That den Ausdruck von Sorglosigkeit wiedergewonnen. Alles lächelte in diesem allerliebsten Gesichten, Alles: die von langen, aschgrauen Wimpern beschatteten Augen, der Mund, die Wangen, das Kinn, ja selbst das Grübchen im Kinn, selbst die Spitze des kleinen Stumpfnäschens. Sie näherte sich einem zerbrochenen Spiegel und ordnete unter Singen und Augenblinzeln ihr Haar. Jergunow folgte mit Aufmerksamkeit jeder ihrer Bewegungen; sie gefiel ihm ungemein. —

      – Werden Sie mir verzeihen, sagte sie, fortwährend mit dem Spiegel coquettirend, – daß ich Sie hierhergeführt habe? Sollte es Ihnen unangenehm sein?

      – Was sagen Sie da?

      – Ich sagte Ihnen schon: ich bin so vorschnell! Ich handle zuerst und dann denke ich, ja oft denke ich ganz und gar nicht. Doch wie heißen Sie, mein Herr Officier? Kann man’s erfahren? Dies sagend, stellte sie sich entschlossen vor ihn hin und kreuzte ihre rundlichen Arme über der Brust.

      – Ich heiße Jergunow, Kuzma Wassiliewitsch Jergunow, erwiederte der Lieutenant.

      – Jergu . . . Ach, den Namen kann ich nicht aussprechen, er ist zu schwer für mich; ich werde Sie Florestan nennen. Ich kannte in Riga einen Herrn Florestan, der ausgezeichnetes Seidenzeug verkaufte und schön war er! . . . nicht weniger als Sie, aber welch’ schönen Wuchs Sie haben, ganz den eines echten russischen Helden. Ich liebe die Rassen, ich bin selbst eine Russin; ja, ich bin Russin, denn mein Vater war Officier, er sollte sogar einen Orden erhalten . . . Aber ich habe weißere Hände als Sie. Sie hob ihre Arme über den Kopf, bewegte die Hände hin und her, damit das Blut heruntersteige, und sie wieder rasch herablassend, sagte sie: – Sehen Sie, ich wasche sie immer mit wohlriechender griechischer Seife. Riechen Sie einmal . . . Ach nein . . . keinen Kuß . . . deßhalb zeigte ich sie Ihnen nicht. Wo dienen Sie?

      – Ich diene in der Flotte, in der neunzehnten Equipage des schwarzen Meeres.

      – Acht Sie sind Marine-Officier . . . Haben Sie großen Gehalt?

      – Nein, nicht allzu groß.

      – Sie müssen sehr tapfer sein; ich lese es in Ihren Augen. Was für dicke Augenbrauen Sie haben! Es soll gut sein, sie Nachts mit Lichttalg zu bestreichen, damit sie besser wachsen; aber warum tragen Sie keinen Schnurrbart?

      – Das ist gegen das Dienstreglement.

      – Pfui, wie dumm das ist, Ihr Dienstreglement! Ist das ein Dolch, den Sie da tragen?

      – Es ist ein Hirschfänger, das unterscheidende Zeichen eines Marinesoldaten.

      – Ach; ein Hirschfänger!l Ist er scharf! Lassen Sie sehen!

      Und indem Sie die Augen schloß und sich auf die Lippen biß, zog sie mit Anstrengung die Klinge aus der Scheide und brachte die Schneide an die Nase. – Er ist ja schartig, Ihr Hirschfänger, sagte sie, – und dennoch könnte ich Sie durch einen einzigen Schnitt tödten. Dabei drohte sie dem Lieutenant, der, sich furchtsam stellend, unter lautem Lachen zurückwich. Auch sie fing zu lachen an.

      – Ich werde Sie begnadigen, sagte sie, eine majestätische Stellung annehmend, – da nehmen Sie Ihre Waffe zurück. A propos! wie alt sind Sie?

      – Fünf und zwanzig Jahre.

      – Und ich neunzehn. Mein Gott, wie drollig!

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